Thema: soziales

Analyse: Wie lebt es sich im Landkreis Lüchow-Dannenberg?

Rund 1200 Kinder leben in Lüchow-Dannenberg in Armut. Das ist nur eines der Ergebnisse der "Sozialraumanalyse", die Fachdienstleiterin Dagmar Schulz am Mittwoch im Gartower Sozialausschuss vorstellte.

Es sind - wie überall in der Republik - die Alleinerziehenden, die am meisten in prekären Einkommensverhältnissen leben. Rund 60 % von ihnen erzielen nach den Daten des Finanzamtes weniger als 25 000 Euro Gesamteinkommen im Jahr.

Mit einer sogenannten "Sozialraumanalyse" hatte der Landkreis Lüchow-Dannenberg vom Bielefelder Institut Gesellschaft für Organisation und Entscheidung ( GOE) ermitteln lassen, wie die sozialen Verhältnisse in der Region sind. Wieviel verdienen Lüchow-Dannenberger im Schnitt? Wieviele leben von Arbeitslosenunterstützung? Worunter leiden die Lüchow-Dannenberger am meisten? waren nur einige Fragen, die die Studie beantworten wollte.

4000 Seiten stark ist die Analyse geworden, die bereits im vergangenen Jahr fertiggestellt worden war. 4500 Fragebögen waren an Haushalte und Vertreter sozialer Einrichtungen, Schulen etc. verschickt worden. Rund 1200 Antworten konnten ausgewertet werden- dazu zahlreiche Daten von Landkreis, Finanzamt und Agentur für Arbeit.

Vergangene Woche stellte die Fachdienstleiterin Jugend, Familie, Bildung, Dagmar Schulz, im Sozialausschuss der Samtgemeinde Gartow eine Kurzfassung der Ergebnisse vor:

  • Trotz finanzieller Engpässe sehen die meisten Befragten ihre Schwierigkeiten eher im Bereich Gesundheit. "Vor allem die Zunahme von Dauerkrankheiten bei Kindern macht uns Sorgen," so Dagmar Schulz. Dabei geht es oft nicht um schwere Krankheiten sondern z.B. um Allergien oder Hauterkrankungen.
  • Vor allem Alleinerziehende klagen über Überlastung - nicht zuletzt wegen der Notwendigkeit, sich mit Zweitjobs über Wasser zu halten
  • Ebenfalls große Probleme bereiten vor allem den Alleinerziehenden fehlende ganztägige Kinderbetreuungsmöglichkeiten, so dass eine Vollzeitstelle für viele nicht möglich ist.
  • Wie in anderen Bereichen auch kämpfen Familien mit dem unzureichenden öffentlichen Nahverkehr. Oft ein Grund, warum Kinder und Jugendliche nicht an Freizeit- und Sportangeboten in anderen Gemeinden teilnehmen können.
  • Überproportional hoch ist der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die in Wohneinrichtungen leben. Von den über 300 Kindern, die dort leben, kommen über 3/4 aus anderen Landkreisen und Städten.

Im Bildungsbereich zeigt die Analyse wenig Auffälligkeiten. Die meisten SchülerInnen verließen die Schulen mit dem Realschulabschluss (50,4 %). Rund ein Viertel der Jugendlichen (26,9 %) machten Abitur (Niedersachsen 28,8 %) und 17,4 % verließen die Schule mit dem Hauptschulabschluss (Niedersachsen: 14,4 %). Die Zahl der SchulabgängerInnen ohne Abschuss lag mit 3,7 % deutlich unter Landesniveau (5 %).

Was dem Sozialdienst im Landkreis besonders zu denken gibt, ist die Rückmeldung vieler Befragten, dass sie die sozialen Hilfsangebote im Landkreis gar nicht kennen. Familienservicebüro, Pro-Aktiv-Center oder die Hilfsangebote des Jugendamts sind rund der Hälfte der Befragten unbekannt. "Seit wir darum wissen, haben wir Konsequenzen gezogen und die Öffentlichkeitsarbeit weiter entwickelt," so Dagmar Schulz in Gartow. Diejenigen, die die Dienste in Anspruch nähmen, seien aber sehr zufrieden mit deren Angeboten.

Es gibt aber durchaus auch positive Ergebnisse: trotz aller Schwierigkeiten wollen die meisten Befragten im Landkreis bleiben. Die Hilfsbereitschaft von Verwandten und Nachbarn und gute Wohnverhältnisse helfen nach den Aussagen der Befragten dabei, den Alltag trotz knapper finanzieller Mittel und schwierig zu organisierender Mobilität einfacher zu gestalten.

Ein Landkreis zwischen Arm und Reich

Auch in Lüchow-Dannenberg geht die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinander, das ist ebenfalls ein Ergebnis der Studie. 53,4 % der Einwohner verfügen demnach unter 25 000 Euro Gesamteinkünften pro Jahr, davon sind 30 % ganz ohne Einkommen bzw. verdienen unter 10 000 Euro/Jahr. Demgegenüber stehen 23 % der Einwohner, die über 35 000 Euro verdienen - lediglich 1,3 % Lüchow-Dannenberger verfügen alljährlich über 125 000 Euro. 14,7 % haben Gesamteinkünfte von 25 000 bis 35 000 Euro. Die Grundlage dieser Erkenntnisse bilden die Daten der Lohn- und Einkommenssteuerstatistik 2010 .

Dementsprechend liegt die Kaufkraft (Indexwert 90) im Landkreis rund 8 % unter Landesniveau. Durchschnittlich kann ein/e Bewohner/in Lüchow-Dannenbergs rund 19 000 Euro pro Jahr ausgeben. Damit liegt die Kaufkraft auf dem Niveau von Brandenburg.

Nicht umsonst steigt die Anzahl der Zweitjobber im Landkreis massiv an, wie die Gewerkschaft Nahrungsmittel Gastronomie und Gaststätten (NGG) kürzlich feststellte.

Überhaupt sind nur knapp 40 % der Einwohner berufstätig - nicht überraschend angesichts rund 60 % über 50-jähriger im Landkreis. Fast alle Gemeinden klagen über Bevölkerungsrückgang und Überalterung.

Wie geht es weiter?

Dagmar Schulz betonte in Gartow mehrfach, dass die Sozialraumanalyse nicht einfach "in der Schublade verschwinden" wird. Von den zahlreichen Handlungsempfehlungen der GOE-Gutachter will der Landkreis zunächst ein Pilotprojekt starten. Dabei stehen vor allem Verbesserungen im Bildungsbereich im Mittelpunkt des Projektes.

Unter anderem sollen in diesem Pilotprojekte folgende Themen bearbeitet werden:

  • Die Übergange von Kindergarten und Grundschule sollen näher beleuchtet und möglichst verbessert werden.
  • Ursachen für Bildungshindernisse sollen ergründet und Lösungsmöglichkeiten entwickelt werden.
  • In regionalen Sozialkonferenzen sollen die Hauptprobleme besprochen und Lösungen erarbeitet werden.

Das GOE-Institut hatte für alle Handlungsbereiche zahlreiche Empfehlungen entwickelt. Die 44-seitige Liste klingt wie eine Weihnachtsmann-Wunschliste nach dem Motto "was wir immer schon mal entwickeln wollten". Erhalt von Schulstandorten, Verbesserung des ÖPNV oder eine optimierte Breitbandversorgung stehen ebenso in der umfangreichen Empfehlungsliste wie "Frei-Zeiten" für Eltern und Familien oder Gesundheitsförderungsmaßnahmen für Arbeitslose. Auch die Einrichtung eines speziellen Unterstützungsangebots für Alleinerziehende bei der Agentur für Arbeit ist eine Empfehlung.

Was davon wirklich umgesetzt werden kann, wird von den Entscheidungen im Kreishaus und den politischen Gremien der verschiedenen Gemeinden und Samtgemeinden abhängen. Denn das Dauerbrenner-Problem im sozialen Bereich ist seit langem bekannt: Soziale Angebote kosten Geld und bringen nichts ein - jedenfalls nicht in den Haushaltsplänen der Kommunen. Gute Bildung und Ausbildung, zufriedene Einwohner, deren Kinder gerne im Landkreis bleiben wollen, sind Werte, die dort zunächst keine Rolle spielen.

Wie allerdings das Problem der Überalterung gelöst werden soll - darüber geben die Handlungsempfehlungen keine Auskunft. Da werden wohl nur ganzheitliche Konzepte helfen, an denen viele Akteure aus den verschiedensten Bereich gemeinsam arbeiten müssen.

Foto | pixabay.com : Ein rundum entspanntes Familienleben ist für zahlreiche Familien im Landkreis nur ein Traum - viele müssen Zweitjobs machen, um über die Runden zu kommen.





2017-10-30 ; von Angelika Blank (text),
in Lüchow-Dannenberg, Deutschland

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