Fast unbemerkt von der hiesigen Öffentlichkeit trafen sich im Jagdschloss Göhrde am Wochenende rund 70 Gesellschafts-Aktivisten, um über bessere Lebensbedingungen im ländlichen Raum nachzudenken. Vor allem Aktive aus süd- und osteuropäischen Ländern interessierten sich dafür, wie der Einzelne am positiven Umbau der Gesellschaft teilhaben kann.
Veranstalter war das „Forum Synergies“, einer in Brüssel ansässigen europäischen Non-Profit-Organisation, die seit 1994 „Netzwerkarbeit“ in ganz Europa leistet. Mitglieder des Forums sind Professoren von Universitäten und Vertreter von Nicht-Regierungs-Organisationen ebenso wie einfache Bürger. Alle eint das Vorhaben, die Zukunftschancen in den ländlichen Provinzen Europas zu verbessern und mit einer Mischung aus intelligenter Nutzung moderner Technologien sowie der Anwendung traditionellen Wissens, das Leben auf dem Lande attraktiver zu machen und die Verbindung zwischen Stadt und Land zu verbessern. Dabei steht der Begriff der „Nachhaltigkeit“ immer im Vordergrund.
Im Sinne des Forums meint dieser inzwischen bis zur Unkenntlichkeit strapazierte Begriff, dass eine Region bei der Entwicklung ihrer Überlebensfähigkeit nicht nur auf numerische Rentabilitätsrechnungen, sondern auf ganzheitlich organisierte Strukturen setzt, wie z.B. die Erhaltung breit gefächerter lokale Wirtschaftszweige, die Herstellung hoch qualititativer Lebensmittel oder dem Einsatz erneuerbarer Energien. Auch die demokratischen Prozesse sind ein wichtiger Teil der Arbeit. So hilft zum Beispiel das Forum bei der Entwicklung von konstruktiven Verbindungen zwischen privaten Unternehmen und öffentlicher Hand.
Kontinuierlich sucht das Forum, das seinen Sitz in Brüssel hat, europaweit nach den 30 – 40 besten Beispielen, was in Europa nachhaltige Entwicklung im ländlichen Raum bedeutet. „Dabei sammeln wir Erfolgsrezepte ebenso wie Konfliktfelder oder Probleme, die einer positiven Lösung entgegenstehen“, so Hannes Lorenzen, Präsident des Forums Synergies, der die Veranstaltung in der Göhrde eröffnete. An den jeweiligen Orten, die sich durch ein „bestes Beispiel“ hervorgetan haben, finden dann in unregelmässigen Abständen Zusammenkünfte (Gatherings), organisiert durch das Forum, statt. Mit Exkursionen zu Betrieben und Initiativen, themenbezogenen Arbeitskreisen und Gesamtplenen versuchen die Teilnehmer dieser „Gatherings“, dem Erfolg von Entwicklungsstrategien nachzuspüren sowie Lösungsansätze für Konfliktfelder zu finden.
Im Fokus steht dabei immer die Frage, wie sich die besten Konzepte auf die eigene Region übertragen lassen. Schließlich beschreibt das Forym Synergies schon in seinem Untertitel seine Hauptaufgabe: „Linking sustainable practices throughout Europe“ (Nachhaltige Praktiken quer durch Europa vernetzen). Im Sinne dieses Gedankens trafen sich die Netzwerker am Wochenende in der Göhrde, nicht „weil hier alles perfekt läuft, sondern um uns anzuschauen, wie mit Hauptproblemen umgegangen wird“, wie es Hannes Lorenzen ausdrückte.
„Hauptprobleme“, das bedeutet im Sinne des Forums für Lüchow-Dannenberg: Konflikte zwischen Naturschutz und landwirtschaftlichen/ökonomischen Interessen, der steigende Aufbau von Bioenergieanlagen und seine Auswirkungen auf Landwirtschaft und Natur, die Probleme der „multifunktionalen“ Landwirtschaft und der regionalen Vermarktung von Lebensmitteln sowie die Lebensqualität in einer Region, die vom Protest gegen die Atomanlagen in Gorleben seit Jahrzehnten geprägt ist. Für die Gäste aus den europäischen Ländern war die Erkenntnis eher erholsam, zu sehen, dass „in Deutschland auch nicht alles perfekt ist“, wie es ein estnischer Teilnehmer ausdrückte, dass Deutschland ein echter Partner in der Entwicklung von Strategien ist und nicht das "Musterländle", von dem man nur lernen kann.
Erlebte man eine Arbeitsgruppe mit seinem Haufen Kastanien in der Mitte, die Wände gespickt mit Notizen aus anderen Gesprächsrunden, während der Moderator einen Apfel demjenigen weitergab, der das Wort hatte, so hätte man meinen können, sich in einer sozialpädagogischen Therapierunde zu befinden, doch die Erfolge der Forum Synergies sprechen eine andere Sprache: Vor der Jahrtausendwende organisierte die Gruppe die sogenannte „Sustainable Mystery Tour“, die mit einer großen Ausstellung über den ländlichen Raum durch ganz Europa tourte, vor Ort politische Debatten führte und mit Märkten die regionalen Produkte präsentierte. Nach ihrer Reise, vollgepackt mit nationalen Erfolgskonzepten und Erfahrungsberichten formulierte das Forum eine Empfehlung an die EU-Kommission, wie der ländliche Raum weiter zu entwickeln sei.
Auch wenn viele ihrer Vorschläge vermutlich keinen Eingang in die „große“ Europapolitik gefunden haben, so werden die Netzwerker nicht nachlassen, in ihrer Heimat für ein besseres Miteinander und so für eine lebenswerte Zukunft in Europa zu arbeiten. In Estland zum Beispiel hat es eine kleine Initiative mit Unterstützung des Forums geschafft, sich als regierungsberatende Institution zu etablieren. Auch in der Göhrde herrschte eine spürbare Aufbruchstimmung, die Hoffnung keimen lässt, dass der ländliche Raum in Europa noch andere Zukunftschancen hat als auf "Senioren"- oder "Erlebnis"regionen reduziert zu werden bzw. ganz aufgegeben zu werden wie in abgelegenen Regionen Spaniens oder Frankreichs geschehen.