Welchen Wert Geld hat, beruht auf Glaubensannahmen, die tief in der Geschichte religiösen Opferglaubens gründen. Die Kulturtheoretikerin Christina von Braun stellte am Samstag in Trebel ihre Thesen zur Rolle des Geldes in der Gesellschaft dar.
Nur noch Finanzfachleute verstehen das komplizierte Gebilde weltweiter Finanzmärkte. Jenseits realer Werte wird dort auf zukünftige Gewinne gezockt oder Wetten auf den Erfolg neuer Unternehmen abgeschlossen. Die Bedeutung des Geldes wird nur noch über Glaubenssätze definiert. Davon ist jedenfalls die Kulturtheoretikerin Christina von Braun überzeugt, die am Samstag vor über 60 Interessierten im Rahmen der "Wendischen Dialoge" einen Vortrag über die religiöse Dimension des Geldes hielt.
"Seit seiner Erfindung hat sich Geld immer mehr von der Realität entfernt," so Christina von Braun in ihrem Vortrag. "Die Frage stellt sich, warum wir immer noch an die Macht eines Systems glauben, dass nur noch wenige verstehen."
Mit zahlreichen Belegen aus allen Kontinenten und Zeitaltern belegte von Braun ihre Theorie vom "Preis des Geldes" - die "Beglaubigung" des Geldes durch den menschlichen Körper. Denn für Christina von Braun gründet der Wert von "Geld" im archaischen Glauben, dass nur durch ein Opfer an die Umwelt die Schuld, sie geschädigt zu haben, getilgt werden kann. Im Christentum sei aus dieser Grundvorstellung ein Gott geworden, der sich in Gestalt seines Sohnes geopfert habe.
Endlich sei dadurch alle Schuld gegenüber der Schöpfung getilgt worden. Mit dieser "Opferlogik" sei das Christentum prädestiniert für die Entwicklung des modernen Finanzsystems. Durch die Vielzahl an Gottheiten, das Fehlen einer grundsätzlichen Schuldzuweisung sowie zahlreiche Schriftsysteme hätten sich in den anderen Weltreligionen keine stringenten Finanzsysteme durchsetzen können. Im Christentum dagegen hätte die moderne Finanzwirtschaft ihren idealen Nährboden gefunden, so von Braun.
Auch in Sachen Schriftentwicklung räumt von Braun mit einem alten Mythos auf: die Schrift sei nicht aus geisteswissenschaftlichen Gründen entwickelt worden, sondern um eine effektive Buchhaltung führen zu können. Belege: archäologische Fundstücke, die beweisen, dass die ersten Schriftzeichen für Buchführung benutzt wurden.
In der Verknüpfung von Wert und Schrift sei im Laufe der Jahrtausende der Wert des Geldes immer abstrakter geworden: von der Münze über Schuldverschreibungen, Papiergeld bis zum
elektronischen Geld. Inzwischen sei der größte Teil des Geldes
Kreditgeld, basierend auf Hoffnung, Glauben, Versprechen.
Dabei war die Wertbestimmung immer fiktiv, ist von Braun überzeugt. "In Babylon zum Beispiel wurde der Wert nach mythischen Kriterien festgelegt. So galt Gold als der Sonne zugeordnet und Silber dem Mond. Der Wert ergab sich dann aus dem rechnerischen Zusammenhang der jeweiligen Umlaufbahnen."
Beglaubigung durch den menschlichen Körper
Heute habe Geld fast ausschließlich nur noch fiktiven Wert - aufrecht erhalten durch Glauben an Deckung. Angefangen habe diese Entwicklung mit dem Glauben, sich von der Schuld für den Eingriff in die Natur 'entschulden' zu müssen. "Je höher der Wert des Opfers in der Gesellschaft, desto höher die 'Entschuldung'," so von Braun über die Logik des Opfers. "Da sie selbst als Menschen die 'Schuldner' waren, musste das Opfer auch etwas vom Menschen Produziertes sein." Später wurden die Opfer durch andere Objekte erracht, die dann nur noch symbolischen Charakter hatten. "So entfernte sich der Wert immer mehr von der Realität."
In der Moderne seien diese symbolischen Objekte durch körperliche Fähigkeiten wie Vernunft, Logik, Berechenbarkeit und geistige Fruchtbarkeit ersetzt worden. Immer stärker sei der Mensch im Laufe der Jahrtausende für die Schuld "in Haft" genommen worden. Heute diene der Mensch selbst als Beglaubigung des Geldes, ist von Braun überzeugt. Die Finanzwelt arbeite nach einem Reproduktionssystem, dass auf Zeichen beruht, deren Logik rationalen Kriterien entwickelt worden sei. "Ein System, welches vor allem das männliche Prinzip repräsentiert," begründet von Braun das fast vollständige Fehlen weiblicher Führungskräfte in der Finanzwelt.
Schon die Tatsache, dass sich zu der Veranstaltung, die morgens um 11 Uhr stattfand, über 60 Interessierte einfanden, machte deutlich, wie sehr die Probleme mit der Finanzwirtschaft Menschen umtreiben.
So war es denn in der Diskussion ein Schwerpunktthema, wie die Erkenntnisse umgesetzt werden könnten, um einen (positiven) Wandel herbeizuführen. Von Braun zeigte sich allerdings skeptisch, ob dies in überschaubarer Zeit passieren wird. "Ich befürchte, dass Geld zur neuen Kraftquelle des Kapitalismus wird," so ihre Vermutung. Zu sehr hätten die Domestizierungsprozesse der Jahrtausende inzwischen dazu geführt, dass vieles im Unbewussten verankert sei.
"Mit der Entwicklung des Alphabets wurde die Spaltung von Körper und Geist immer mehr vollzogen," so von Braun. "Lesen und Schreiben zwingen zur weitgehenden Bewegungslosigkeit auf einen Stuhl, an einen Tisch. Lediglich der Geist liefert die produktiven Ergebnisse." Insofern opfere sich heute der Mensch selbst, um seinen "Obulus" an das Universum zu leisten.
Über Christina von Braun
Christina von Braun ist die Tochter des ehemaligen UNO- und Frankreich-Botschafters Sigismund von Braun, der zum Zeitpunkt ihrer Geburt als Legationssekretär in der Botschaft am Heiligen Stuhl in Rom tätig war. Deshalb verbrachte ihre ersten Lebensjahre im Vatikan.
1994 wurde sie auf den Lehrstuhl für Kulturtheorie mit dem Schwerpunkt Geschlecht und Geschichte am Institut für Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin berufen. Zu ihren Schwerpunkten in Forschung und Lehre zählen: Gender, Medien, Religion und Moderne, Säkularisierung und Geschichte des Antisemitismus.
Darüber hinaus produzierte Christina von Braun ca. fünfzig Filmdokumentationen und Fernsehspiele zu kulturhistorischen Themen und verfasste zahlreiche Bücher und Aufsätze über das Wechselverhältnis von Geistesgeschichte und Körpergeschichte. (Mehr zur Biographie: wikipedia )
Mehr zum Thema:
taz.de: Der Preis des Geldes (Interview mit Christina von Braun)
faz.net: Aus dem Evangelium des Marktes
deutschlandradiokultur.de: Das Unbewusste des Geldes (Interview mit Christina von Braun)
Foto/s: Die Entwicklung von Geld und Religion sind eng miteinander verbunden - darüber referierte die Kulturtheoretikern Christina von Braun (siehe Bild im Text) am Samstag in Trebel.