Thema: auswanderer

Nachrichten aus Norwegen

Tolga, den 7.9.2008

Es ist nicht zu fassen, wie schnell die Zeit vorbeigeht ! Nun beginnt schon die siebente Woche unseres “neuen Lebens” hier in Norwegen. Das Haus ist perfekt, auf der neuen Arbeitsstelle klappt alles wunderbar und Deutschland rückt mit jedem Tag ein Stückchen weiter in die Ferne.

Nachdem wendland-net.de uns ja bis zum Packen des Umzugslasters mit der Videokamera verfolgt hat, müssen sich die geneigten Zuschauer nun mit schriftlicher Dokumentation und Fotos zufriedengeben, denn etwas fehlt uns noch hier in Norwegen... die Videokamera.

Bis zur Fähre nach Kiel singt uns Kater Walter in den schönsten Tönen die Ohren taub. Am Fähranleger läßt die Größe der “Color Magic” ihn und uns in staunendes Schweigen versinken. Das ist kein Schiff, das ist ein Hochhaus auf dem Wasser. An Bord bezieht Walter seine Tierbox auf Deck 3 -zu seinem Entsetzen mit einem Bullterrier als direktem Nachbarn- und wir eine luxoriöse Kabine auf Deck 8. Später sehen wir vom Oberdeck aus das Festland -und unser altes Leben- langsam im Dunst versinken. Tschüss Deutschland !

Die Überfahrt bietet alle nur möglichen Annehmlichkeiten. Wir gönnen uns ein leckeres Abendessen in einem der zahlreichen Restaurants und schauen uns hinterher bei einem Erdbeer-Caipirinha die Musicalshow an, die im Bordtheater geboten wird. Wirklich fein ! Am Morgen erwartet uns ein üppiges Frühstücksbuffet, während die ersten Inseln Norwegens an uns vorbeigleiten. Walter ist immer noch verstimmt über die unstandesgemäße Nachbarschaft und schmollt in seinem Transportkäfig vor sich hin.

Und dann sind wir in Oslo ! Irgendetwas stimmt mit den Papieren des Katers nicht, aber der Zollbeamte ist gut gelaunt und winkt uns durch.
 
Und jetzt ? Oslo ist groß und wir fahren prompt erstmal in die falsche Richtung. Wir müßen nach Norden. Schnell haben wir uns an das gemächliche Fahren mit 80 km/h gewöhnt. Ist auch besser so, denn wenn man hier mit zu hohem Tempo geschnappt wird, wird es nicht nur teuer, man riskiert sogar Knast bis zu zwei Jahren !

Um halb vier Uhr nachmittags rückt Tolga {{tpl:GMap |ort=tolga,norwegen }} - unsere neue Heimat in der nördlichen Hedmark, knapp 250 km südlich von Trondheim- in greifbare Nähe. Das Handy klingelt. Unser Umzugslaster ist schon am Zielort. Eine halbe Stunde später sind auch wir da. Endlich !

Und  nun? Wir wissen ja selbst nicht, wo das Haus liegt, in das wir einziehen sollen. Also erstmal zur Kommunalverwaltung, wo tatsächlich noch jemand arbeitet und wir aufs freundlichste empfangen werden. Ja, die Deutschen, ach, da wartet mal ! Da ist doch... und eine nette Dame namens Ragnhild schwingt sich in ihr Auto und geleitet uns und den Truck einen halben Kilometer weiter zu dem Hof, auf den wir einziehen sollen.

Ehe wir allerdings ans Auspacken gehen können, steht erst einmal das Vermieterehepaar vor der Tür, mit einem Tablett mit Kaffee und Kuchen und einem Blumenstrauss und heißt uns herzlichst willkommen. Bis zum Abend vorher haben die beiden noch im Haus gewerkelt, erzählen sie uns. Und dann trifft uns fast der Schlag, als wir das Haus, dessen Innen- und Aussenleben wir ja nur von Bildern kannten, betreten. Per Sindre und Bjørk -wie unsere Vermieter heißen- haben die komplette Hütte grundrenoviert und uns eine funkelnagelneue Küche eingebaut ! Wir sind total platt !

Noch platter sind wir allerdings, als wir drei Stunden später den LKW entladen und nach Deutschland verabschiedet haben. Wir wollen nur noch schlafen. Bett aufbauen ? Nee, Matratze reicht ! So verbringen wir die erste Nacht in unserer neuen Heimat.

12 Tage haben wir noch frei, ehe wir zur Arbeit müßen. Nachdem das Umzugschaos beseitigt , das Haus eingerichtet ist und die lästigen Behördengänge -hallo Deutschland, schick deine Beamten mal hierher zu einem Kurs in Hilfsbereitschaft und Kundenfreundlichkeit- beginnen wir nach und nach, die Gegend zu erforschen und finden uns in einem der schönsten Fleckchen Natur auf Gottes Erdboden.

Wir erklimmen den Hummelfjell, den höchsten Berg der Gegend (1550 m) in einer fünfstündigen Fußtour. Unsere Vermieter nehmen uns mit “på tur” in die Fjells direkt am Ort und zeigen uns gleich am ersten Wochenende ihre Berghütte, die wir selbstverständlich, wenn wir mögen, auch benutzen dürfen. Schlüssel hängt unterm Dachbalken. Wir sind von soviel Freundlichkeit schier überwältigt. Ein netter Abend mit Wein und Käse schließt den Tag dann ab. Sag noch mal einer, die Norweger wären verschlossen.

Alles ist neu, alles fremd und wir sind glücklich über den in Hamburg absolvierten Sprachkurs. Zwar spricht man hier Dialekt, aber zum groben Verständigen reicht es doch. Vieles ist anders hier, auch bei den Lebensmitteln. Richtig scharfen Senf suchen wir bis heute vergebens....

Sehr schön ist es, das wir Pferde auf dem Hof haben. Sechs Isländer lassen uns unsere vier bis 2010 in Deutschland zurückgebliebenen Araber nicht ganz so sehr vermissen. Ein Erlebnis ist es, die Pferde von der Hochlandweide zurück zum Hof zu holen. Ralf und ich reiten die beiden älteren Stuten. Die vier Jungpferde laufen frei mit. Das Tempo ist nicht eben das langsamste, und es begegnen uns durchaus Autos. Aber das, was in Deutschland für Empörung und böse Kommentare gesorgt hätte -freilaufende Pferde auf der Strasse-  bringt uns hier freundliche Zurufe und belustigtes Grinsen ein. Selbst die letzten 500 Meter auf der E 30 -die die Pferde selbstverständlich als ihr persönliches Revier betrachten, in dem man für Autos und ähnliche lästige Motorfahrzeuge keinerlei Platz machen muß- bringen wir ohne Probleme  hinter uns. Es wird einfach gewartet. Deutsches Motoraufheulenlassen und Hupen ist hier völlig fremd. Skandinavisches “Tar det rolig” - “Nimm es gelassen”....

Nach ein paar schönen Urlaubstagen beginnt dann als erstes für mich die Arbeit im kommunalen Pflegeheim. Ein sehr herzlicher Empfang durch die Kollegen macht alles einfacher. Die Angst , es eventuell doch nicht zu schaffen, verfliegt im Nu und nach wenigen Tagen wage ich bereits, mich an den Pausengesprächen zu beteiligen. Das ich bereits relativ gut Norwegisch spreche, bringt mir viele Sympathien ein. Jeder fragt, ob es uns denn hier wirklich gefallen würde und ob wir uns wohlfühlen.

Zwei Wochen später – nachdem alle Sommervikare wieder verschwunden sind- beginnt auch Ralf mit der Arbeit. Es ist alles völlig anders als in Deutschland. Hilfsmittel sind nicht nur da, man hat auch Zeit, diese einzusetzen. Pausen sind wirklich Pausen und keine ständig gestörten Rufbereitschaften. Es ist Zeit für die Patienten da, man kann sich mit ihnen setzen, ein kleines Schwätzchen halten. Es ist immer genug Personal vorhanden, um Stresssituationen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Und das Schönste....wir schreiben unsere Dienstpläne selbst.

Ich kann nicht glauben, dass das klappt, bis ich die erste Teambesprechung hinter mir habe. Jeder Wunschplan ist gelistet, es wird hie und da ein oder zweimal ein Tag getauscht und geschoben, und der Turnusplan steht. 15 Frühdienste, 9 Spätdienste und zwei Nachtwachen in sechs Wochen ist die Arbeitszeit für meine 100 % Stelle. Weil ich im Oktober sechs Tage hintereinander arbeiten muß, ohne einen freien Tag dazwischen, entschuldigt sich die Abteilungsschwester bei mir. Ich denke an deutsche Pflegeheime - an das wenige Geld für die übermässige Arbeit, die sie einem dort ständig aufbürdeten - und bin glücklich, hier zu sein.

Ralf bekommt gleich eine sehr schöne Aufgabe als “personnlig assistent” in der Abteilung der häuslichen Pflege zugeteilt. Dort betreut er einmal in der Woche einen älteren Herrn mit Hirnschwund den ganzen Tag über und entlastet die Ehefrau. Das ist eine Stelle mit Festvertrag und dadurch muß er nicht alle halbe Jahre wieder seine “Arbeidstillatelse” – die Abeitsgenehmigung- neu beantragen. Und er bekommt statt der provisorischen D-Nummer eine P-Nummer, ist damit voll anerkannter norwegischer Arbeitnehmer und muß statt 45% nur noch 36% Steuern bezahlen.

Das hört sich viel an, in diesem Betrag sind aber alle Sozialversicherungen bereits enthalten. Den Rest der Zeit arbeitet er als Vikar im Pflegeheim. Das heißt, er springt ein, wann immer jemand fehlt und ein Dienst nicht besetzt werden kann. Und das ist nicht eben selten. Da man hier bis zu acht Tage im Jahr fehlen kann, ohne eine ärztliche Krankmeldung einzureichen - das ist die sogenannte “egenmelding”, die bis zu drei Tage gilt - kurieren die Leute hier kleine Wehwehchen zuhause aus und schleppen sich nicht wie in Deutschland mit Fieber und Kotzeritis zur Arbeit und stecken das ganze Haus an, nur weil sie Angst haben, ihre Stelle zu verlieren.

Dadurch, das wir den ganzen Tag auf der Arbeit nichts anderes als Norwegisch hören, kommen wir sehr schnell in die Sprach hinein. Es wird täglich einfacher, zu verstehen und zu sprechen. Das tägliche Lesen der Zeitung und das Hören norwegischer Radiosendungen und Fernsehsender tut ein übriges. Ausserdem besuchen wir auch hier weiter einen Norwegischkurs gemeinsam mit zwei niederländischen Paaren und einer indischen Ärztin.

Tja, und nun sind wir schon sechs Wochen hier. Das normale Leben hat uns in den Fängen. Letzte Woche bekamen wir Internetanschluss und Festnetztelefon. Die Welt rückte ein Stück näher. Nun warten wir nur noch auf die P-Nummer, ohne die in Norwegen gar nichts läuft und deren Vorhandensein zwingend ist, um z.B. eine Steuerkarte zu erhalten, ein Konto zu eröffnen und ein Mobiltelefon zu bekommen.

Aber das ist völlig normal, das man darauf sechs bis acht Wochen warten muß. Und das Gehalt bekommt man in dieser Zeit per Scheck als Vorschußzahlung vom Arbeitgeber. Ist das Leben hier in Norwegen besser als in Deutschland ? Unumwunden ja ! Es ist ruhiger, freundlicher, es herrscht ein angenehmerer Umgangston.

Bisher haben wir noch kein Heimweh verspürt. Und wenn wir -so wie heute nachmittag- in der Herbstsonne auf der Wiese hinter dem Haus sitzen und die herrliche Aussicht und die Ruhe in der Natur geniessen, können wir uns nicht vorstellen, wieder in die hektische deutsche Umgebung zurückzukehren. Bis jetzt sind wir der Überzeugung, den richtigen Schritt getan zu haben.


Bis auf weiteres. Herbstliche Grüße aus Tolga in die alte Heimat !

Wir melden uns wieder, wenn der erste Schnee fällt -das ist hier etwa Ende Oktober !

 

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2008-09-08 ; von Marina Trunczik (autor),

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Kommentare

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