Ende Mai war ich in Prag. Leider nicht um mit Milan Horacek über den Prager Frühling zu diskutieren. Ich war beim ENEF. Dieses Kürzel steht für „European Nuclear Energy Forum“. Dahinter steckt die Europäische Kommission. Und hinter der steckt die Atomindustrie Europas. Gemeinsam und dabei unterstützt von einigen EU-Staaten hatte man sich im Herbst 2007 vorgenommen, einen vorurteilsfreien und enttabuisierten Dialog um die Zukunft der Atomenergie zu organisieren. Selbst Kritiker der Atomspaltung sollten in diesem Forum zu Wort kommen.
Tatsächlich befanden sich unter den ca. 200 Teilnehmern auch zwei Vertreter von Anti-AKW Gruppen. Zählt man mich dazu, dann waren wir schon drei. Nach zwei großen ENEF-Veranstaltungen in Bratislava und in der letzten Woche in Prag und etlichen Sitzungen in Arbeitsgruppen kann ich eines festhalten: Ich bekenne, meine (Vor)-Urteile bestehen fort.
Die Sprecher der Atomwirtschaft, die in Prag aufgetreten sind, halten die fehlende Akzeptanz für die Atomkraft für das größte atomare Risiko. Sie fürchten weder große Unfälle, noch sehen sie ein größeres Problem in der Endlagerung von Atommüll. Sie ignorieren oder relativieren Gefahren durch Terrorismus („Aber liebe Frau Harms, Al Qaida könnte doch auch ein Chemiewerk angreifen!“)
Und gegen die Bombe in den falschen Händen – also gegen Proliferation – hat man ja Muhammed El Barradei und den Nichtweiterverbreitungspakt. Und weil der bisher Lücken hatte (man denke an Nordkorea) oder Widersprüche (z.B. in Sachen Iran), weil es einfach gar nicht gut lief, will man sich jetzt bessern. Dazu gelobten Kommissionspräsident Barroso und El Barradei jüngst, ihre Zusammenarbeit zu verstärken, um in Entwicklungsländern die Grundlagen für Atomkraft zu schaffen.
Überall da wo es bisher weder institutionelle noch rechtliche Grundlagen für die Atomkraftnutzung gibt, wollen EU und IAEA helfen. Denn die Verbreitung der Atomkraft in der Welt ist das gemeinsame Ziel.
Besonders drängt es den tschechischen Ministerpräsidenten Topolanek an die Pro-Atom-Front. Er fordert die verstärkte Zusammenarbeit der Pro-Atom-Mitgliedstaaten. Mir schien, er würde am liebsten eigenhändig anpacken in Temelin. Aber bevor es dort um den nächsten Block gehen wird, wird es wohl aus Brüssel grünes Licht für Mochovce geben.
Beim ENEF wurde hier und da gemunkelt, dass ENEL wegen revidierter Kostenkalkulationen Abstand nimmt von diesem verrückten Plan, Reaktoren ohne Containment zu bauen. Unter vier Augen wurde auch schon mal von dem einen oder anderen aus der deutschen Atomwirtschaft die Belene- oder Mochovce-Strategie der Konkurrenz kritisiert. Auf dem Podium und vor Publikum wird darüber vornehm geschwiegen. Diskussion ohne Tabus eben.
Nachts auf der Moldau war es schöner. Bei Greenpeace im Boot hatte ich nicht nur die großen Projektionen gegen den atomaren Wahn im Blick. Ich konnte auch sehen, wie Hunderte Passanten auf der Karlsbrücke fasziniert die Demonstration beobachteten und immer wieder applaudierten. Das Endspiel um die Atomkraft hat begonnen. Noch sind wir stark aufgestellt.
Und das ENEF ist viel zu hermetisch und selbstreferenziell, um überzeugend zu sein. Die Folgen des Erdbebens in China auf dortige Atomanlagen kamen nicht vor. Der jüngste schwere Störfall in Spanien: No comment. Und dass Areva in Flamanville ähnlich große Probleme am Bau hat, wie in Finnland, dass erfuhren wir erst Tage später aus der Presse.
Überhaupt war das ENEF in Prag eine sehr französische Veranstaltung. Ein Vorgeschmack auf die französische Ratspräsidentschaft. Allons enfants…