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Theater: „Peer Gynt“ im Jugendtheater Platenlaase

Manchmal muß man sehr lange unterwegs sein, um bei sich selbst und hier anzukommen. Verdammt weit weg war auch das gemeinsame Ziel, als sich die Jugendlichen vor über einem Jahr zum ersten Mal trafen. Theaterspielen? Okay! Aber warum ausgerechnet so einen Klassiker?

Selbst am Stück mitschreiben? Live-Musik dazu machen, eigene Hip-Hop-Texte verfassen und auf der Bühne rappen? Der Respekt vor der Aufgabe war verständlich. Um im Jargon zu bleiben: „Peer Gynt“ ist ein richtig fettes Projekt geworden! Und nicht alle, die im August 2010 mit am Start waren, haben durchgehalten.

Ab 28. Oktober, nach 130 Stunden Probe, ist das Ergebnis nun zu besichtigen: sechzehn Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren sind in 30 Einzel- und achtzehn Gruppenrollen zu sehen. In einem Bühnenbild mit Graffiti von Jan Slomka vom „Kiez-Verein“ spielen sie Cello, Gitarre, Geige, Querflöte und Klavier, machen Bodypercussion, singen und tanzen Salsa und Walzer. Ein weiter Weg – so, wie ihn auch der Held der Geschichte zurücklegt. „Eine Reise quer durch die Welt, quer durch die Zeit, quer durch mich selbst“, wie es Clara, eine der Jugendlichen, ausdrückt.

Als Grundlage der gemeinsamen Arbeit diente den beiden Regisseurinnen Carolin Serafin und Ursula Pehlke die Jugendtheaterfassung des „Peer Gynt“ von Beate Rüter. Aber die Jugendlichen haben sich auch mit Ibsens Original befaßt, haben sich mit seiner Sprache auseinandergesetzt und auch mit der Musik von Edward Grieg. Grieg? Nie gehört? Vielleicht muß man nur die ersten zwei Takte summen und schon kommt: „Ach, das! Ist doch die Lenor-Werbung.“ Inzwischen ist es nicht mehr „Lenor“, inzwischen ist es die eigene Musik, die da live gespielt und erlebt wird. Der Musiker Johannes Ammon hat bekannte Grieg-Themen neu arrangiert und mit den Jugendlichen erarbeitet.

Peer Gynt, eine uralte Geschichte, die immer wieder neu und aktuell ist: das Drama um die Suche nach dem eigenen Weg, nach Anerkennung und nach Liebe. Teilnehmerin Elena bringt es auf den Punkt: „Sei du selbst – das klingt leicht, aber das Umsetzen ist schwieriger.“ So werden Peers Gedanken immer wieder mit den eigenen verknüpft. „Was bringt einem das Leben? Und vor allem: wie wird man damit fertig?“ Diese Frage beschäftigt auch Teilnehmerin Lotta.

Wer ist dieser Peer Gynt? Ein schräger Vogel und Träumer, in dessen Phantasie die vom alkoholabhängigen Vater heruntergewirtschaftete Behausung zum Palast wird und er selbst zum König und Kaiser. Immer tiefer verstrickt sich der Außenseiter in seine Scheinwelt, wird zum Lügner und Fallensteller, zum selbstverliebten Aufschneider und rücksichtslosen Egoisten. Aus der Enge der Heimat flieht er in eine Welt der Exzesse und Exotik. Mehr und mehr verschwimmen Wahrheit, Wunsch und Wahn. Peers Suche nach Anerkennung und Aben-teuer führt ihn zu Trollen und Dämonen, in fremde Länder, um die halbe Welt – nur, um am Ende mit leeren Händen dazustehen. Doch zum Glück ist da noch Solveig, seine alte Liebe.

„Verrückt, verschroben, süß und witzig“ finden ihn die Jugendlichen. „Für die Liebe um die Welt? Na klar!“ Lügen, Lieben, Leben – das paßt doch alles zusammen.

Carolin Serafin und Ursula Pehlke haben Regie geführt. Aber was heißt bei so einem komplexen Projekt schon Regie? Anspruch und Energie müssen hier weiter reichen als der Wunsch, sehenswertes Theater auf die Bühne zu bringen. Das Ziel ist wichtig und geradezu notwendig. Absolut überzeugend ist jetzt auch das Ergebnis.

Doch das Ziel ist nichts, wenn nicht gleichzeitig der Weg dahin schon das Ziel ist. Und an eben diesem Weg haben sich alle abgearbeitet. „Theaterspielen in der Gruppe ist toll, weil da alle ein gemeinsames Ziel haben... Weil sich etwas bewegt und es nicht so kompliziert ist wie zum Beispiel in der Schule... Weil jeder für die Gruppe wichtig ist, denn ohne (egal wen) wäre unsere Gruppe einfach anders.“

Seit kurzem können Jugendliche bei den beiden Regisseurinnen den „Kompetenznachweis Kultur“ erwerben, einen Bildungspaß für 12- bis 27jährige, die an kulturellen Projekten im Bereich Theater, Musik, Literatur etc. mitarbeiten. In Lüchow-Dannenberg ist das bislang einzigartig und ein großer Vertrauensbeweis: alle Gruppenmitglieder haben sich angemeldet und auf mindestens 50 Stunden kontinuierliche Zusammenarbeit verpflichtet. Aber nicht nur Mitmachen zählt – gefordert ist die Teilnahme an einem dialogischen Prozeß, der von positivem Feedback getragen wird: nicht kritisieren, sondern Worte finden für das, was der andere kann. Auch das ist Kom-petenz. Nützlich sein kann der Kompetenznachweis et-wa bei Bewerbungen, auch könnte er zu einer wichtigen Markierung im Lebenslauf werden. Ob nun alle bestanden haben? Am Freitag, dem 4. November, sollen die Bildungspässe im Rahmen einer Aufführung feierlich überreicht werden.




2011-10-19 ; von Ursula Pehlke/zero (autor),

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