Pünktlich zum Frauentag lieferte unser Bundespräsident eine Steilvorlage für alle Frauenbewegten der Republik: "Tugendfuror" nannte er die öffentliche Aufregung über die fragwürdigen Verhaltensweisen von Fraktionschef Brüderle. Seitdem diese Aussagen bekannt sind, brandet die längst eingeschlafene Debatte wieder hoch.
Wieder geht ein #aufschrei durch die Republik, seit unser aller Bundespräsident Joachim Gauck in einem SPIEGEL-Interview dazu befragt, ob er die Sexismus-Debatte um FDP-Fraktionschef Brüderle für unfair gehalten habe, antwortete: "Wenn so ein Tugendfuror herrscht, bin ich weniger moralisch, als man es
von mir als ehemaligem Pfarrer vielleicht erwarten würde."
BRAUCHEN WIR NOCH EINEN FRAUENTAG?
Die eine Wahrheit ist: Frau macht in dieser Gesellschaft nur Karriere, wenn sie ihre Weiblichkeit vergisst und sich die männlichen Strategien zu eigen macht. Mit androgynem Hosenanzug, nüchternem Auftreten, analytischem Verstand und unablässiger Leistungsbereitschaft mags klappen mit der Karriere.
Doch die Frau, die sich ihre Weiblichkeit bewahren, die mit Charme, Mitgefühl und Teamgeist die berufliche Karriereleiter ganz nach oben klettern will, hat bittere Zeiten vor sich. Sie wird dreimal mehr leisten müssen als ihre männlichen Kollegen, sie wird ihre Kompetenz immer wieder neu beweisen müssen und sie muss zeigen, dass sie alles problemlos unter einen Hut bekommt: Kinder, Mann, Beruf, Freizeit. Anforderungen, die in diesem Ausmaß an einen Mann nie gestellt werden. ER soll seinen Job gut machen - wie er seine Frau behandelt, ob er spielsüchtig ist oder sein Haus an der Börse verzockt hat spielt solange keine Rolle, wie es keine Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit hat.
JA, WIR BRAUCHEN UNBEDINGT DEN FRAUENTAG, um immer wieder daran zu erinnern, dass Frau grundsätzlich das Gleiche leisten kann wie Mann.
Die andere Wahrheit ist: Die Probleme, mit denen Frauen sich herumzuschlagen haben, sind seit Jahrzehnten, ja sogar seit Jahrhunderten bekannt. Dabei stellen Frauen die Hälfte der Bevölkerung. Chancen, die sich ihnen bieten, werden oft nicht genutzt. Zum Beispiel haben die Ingenieurs-Studiengänge in Deutschland trotz steigenden Anteils immer noch Mangel an Frauen. Und das liegt nicht daran, dass Frauen dort nicht aufgenommen würden. Im Gegenteil: die Uni Bielefeld zum Beispiel bewirbt seit Jahren ihre naturwissenschaftlichen Studiengänge gezielt bei Frauen. Trotzdem liegt deutschlandweit der Anteil an Ingenieurinnen bei 10 % - und diese verdienen auch noch 17 % weniger als ihre männlichen Kollegen.
Warum lassen Frauen sich das gefallen? Warum nutzen sie nicht die Chancen, die sie haben (in Deutschland fehlen 80 000 Ingenieure!)? Frauen sind offensichtlich in sehr viel stärkerem Maße bereit, sich an bestehende Verhältnisse anzupassen als Männer das tun - oder die bestehenden Verhältnisse zu beklagen, ohne konkrete Schritte in Richtung Verbesserung einzuschlagen. Denn Veränderung bedeutet Auseinandersetzung - mit sich selbst und mit Anderen.
Um Mißverständnissen vorzubeugen: es geht nicht um diejenigen Frauen, die sich kreativ und engagiert für eine Veränderung der Verhältnisse einsetzen. Derer gibt es durchaus einige, aber eben viel zu wenige. Die Mehrheit versucht, in Frieden durchs Leben zu kommen und Konflikte durch Anpassung zu vermeiden.
Also: NEIN, WIR BRAUCHEN KEINEN FRAUENTAG ... wir brauchen Frauen, die den Mut haben, auch anstrengende Auseinandersetzungen zu führen oder die den Mut haben, andere Frauen in ihren Konflikten zu unterstützen. Ohne Mobbing, ohne Jammern und Wehklagen ... aber mit Selbstbewusstsein und dem unbedingten Willen, Erfolg zu haben. Auch wenn Mann, Freund, Kinder das gar nicht lustig finden - denn deren Gemütlichkeit ist gefähdet, wenn Frau sich anderen Dingen zuwendet.
Foto / Bundesarchiv: Der Internationale Frauentag 1948 in Berlin. Im Bekleidungswerk "Fortschritt". Zu den Frauen sprach Lina Fischer vom Demokratischen Frauenbund. Aufn.: Illus / Quaschinsky ... Nach den kämpferischen ersten Jahren, in denen das Wahlrecht erstritten worden war, mutierte der Frauentag auch in der DDR zu einer Art sozialistischer Muttertag. Erst nach der Wiedervereinigung entstanden Initiativen, die den 8. März wieder als politischen Aktionstag nutzen.