Biobauern werden regelmäßig kontrolliert. Doch wenn sie gegen die Regeln verstoßen, müssen sie nicht unbedingt mit Konsequenzen rechnen. Sagt Manfred Flegel, Ex-Ökoinspektor einer Kontrollstelle.
Ökoprodukte werden immer beliebter. Biosiegel gelten dabei als zuverlässig. Die Verbraucher gehen davon aus, dass diese Produkte auf ökologische Produktionsweisen hin überprüft werden. So wiegen sie sich in der Sicherheit, es mit „sauberen“ Waren zu tun zu haben.
Manfred Flegel, der lange - zuerst in Kröte, dann in Gartow - einen Biobetrieb mit Legehennen führte, kam nach vier Jahren Tätigkeit als Inspektor für die Ökokontrollstelle Abcert zu dem Schluss, dass die Kontrollen nach willkürlichen Kriterien und oft viel zu lasch durchgeführt werden. Flegel: "Wirkliche Kontrollen sind nicht gewollt. Es werden zwar sogenannte
„Plausibilitätsprüfungen“ durchgeführt, aber wenn das Ergebnis
nicht plausibel ist, passiert trotzdem nichts (z.B. wenn die Tiere von
dem vorhandenen Bio-Futter gar nicht hätten satt werden können oder
die Ernteerträge nicht passen). Abcert bestreitet den Vorwurf, zu "lasch" zu kontrollieren. Die Bewertung erfolge regelmäßig in enger Abstimmung mit der
zuständigen Behörde.
Öko-Kontrollstellen als konkurrierende Unternehmen
In Niedersachsen sind 17 von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung zugelassene Ökokontrollstellen tätig. Sie sind untereinander konkurrierende privatwirtschaftliche Unternehmen, die ihre Gewinne mit den Kontrollgebühren erzielen, die sie Öko-Landwirten in Rechnung stellen. Diese Landwirte sind abhängig von dem System: sie müssen eine Kontrollstelle aussuchen und sich regelmäßig überprüfen lassen – sonst verlieren sie so vertrauenswürdig erscheinende Siegel wie Bioland oder Öko nach EU-Verordnung.
Abcert ist der Ansicht, dass die Unabhängigkeit von den zahlenden Kunden gesichert ist. "Mit einer Vielzahl von Maßnahmen, die auf eine unabhängige und unparteiliche
Arbeit der Kontrollstellen abzielen, sichern wir, dass womögliche Abhängigkeiten von den Kunden nicht entstehen. Diese Maßnahmen werden im Rahmen der
Akkreditierungsprozesse und Überwachungen durch die Behörden überprüft," eine Abcert-Vertreterin auf Anfrage von wnet. Des Weiteren verweist Abcert auf im Alltag bekannte Kontroll- und Überwachungssysteme wie TÜV oder Dekra). "Hier ist es ebenfalls so, dass die Kunden diese Zertifizierung - z. B. die Vergabe TÜV-Plakette - bezahlen."
"Wenn Du zu gründlich bist, dann wechsle ich eben"
„Das Problem fängt schon damit an, dass die Landwirte jederzeit die Kontrollstellewechseln können,“ sagt Manfred Flegel. „Das hat zur Folge, dass die Kontrollunternehmen vor allem vor den größeren Betrieben Respekt haben, um sie als Kunden nicht zu verlieren. Es ist immer wieder vorgekommen, dass ich abgelehnt wurde, weil ich zu gründlich war.“
Abcert habe ihn auf die Beschwerde hin ausgetauscht. „Das ist schon merkwürdig, dass der zu kontrollierende Landwirt sich nicht nur die Kontrollstelle aussuchen kann, sondern auch den Kontrolleur,“ sagt Flegel. „Für den Ausfall habe ich mir sogar Urlaub nehmen müssen.“ Von diesem Verfahren seien auch Kollegen betroffen gewesen, sagt Flegel.
Dass Abcert keine Kunden verlieren wolle, wissen die Landwirte. „Gerade die größeren Betriebe sind da teilweise regelrecht unverschämt geworden. Da wurden mir auch schon mal die Akten einfach auf den Tisch geschmissen und
man wollte mir vorschreiben wann ich fertig zu sein habe. Sie wissen, dass ihnen nicht allzu viel passiert.“ Zu kritische Kontrolleure würden bei Beschwerden abgezogen. Außerdem würden festgestellte Verstöße oft zu lasch sanktioniert.
Abcert dazu: " Im Allgemeinen können Landwirte einen Kontrolleur nicht ablehnen. Betriebe haben jedoch das Recht, Widerspruch gegen
Entscheidungen der Kontrollstelle einzulegen - so auch gegen die Entscheidung
der Kontrollstelle, einen bestimmten Kontrolleur einzusetzen, z. B. wenn
das Unternehmen die Unbefangenheit des Kontrolleurs bezweifelt. Die Kontrollstelle
muss diese Beschwerde prüfen und entscheiden."
Was und wann wird kontrolliert?
Bei einem Schweinezuchtbetrieb im Wendland waren schon vor Jahren Verstöße gegen die Futterregeln festgestellt worden. Das Thema ging bundesweit durch die Presse. Doch erst in diesem Jahr wurde dem Betrieb die Nutzung des Bioland-Siegels untersagt. Abcert will sich zu dem Fall nicht ausführlich äußern, da die staatsanwaltlichen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Aber Abcert betont, dass sie sehr wohl Hinweisen auf Verstöße n, ob aus Medienberichten
oder durch Hinweise einzelner Personen, nachgehen. "Uns ist es allerdings gleichwohl nicht möglich, sämtliche Medienberichte zu erfassen."
Ein eigenes Thema sind Betriebe, die teils konventionell, teils Bio produzieren. „Hier bin ich der Meinung, dass der konventionelle Teil ebenso kontrolliert werden muss wie der ökologische,“ so Flegel. „Nur so lässt sich überprüfen, ob zwischen den Betriebsteilen etwas vermischt oder vertauscht wird. Abcert lehnte das jedoch ab.“
Diese Einstellung führte nicht nur einmal dazu, dass ein dringender Verdacht nicht überprüft werden konnte, sagt Flegel. „Bei einem Legebetrieb, der konventionell und biologische Eier produziert, hatte ich den Verdacht, dass er umetikettiert. Nur in der Packstelle hätte ich überprüfen können, ob Eier aus der konventionellen Produktion in die Bioproduktion gewandert sind. Der Zugang zur Packstelle wurde mir aber verwehrt.“ Auch hier verweigerte Abcert die intensivere Überprüfung.
Werden kleine Betriebe anders behandelt?
Für kleine Betriebe stellt sich die Situation immer wieder geradezu entgegengesetzt dar. Sie werden teilweise so über die Maßen kontrolliert, dass sie es geradezu als Schikane empfinden. Ein Landwirt aus Mecklenburg-Vorpommern, der nach Bioland-Kriterien wirtschaftet, musste sich intensive Kontrollen gefallen lassen, weil er sich für die private Nutzung 30 Hühner einer alten Rasse angeschafft hatte. „Diese Tiere laufen auf einer privaten Fläche, die nichts mit dem landwirtschaftlichen Hof zu tun hat,“ erzählt Hubertus Heinemann vom Hofgut Rosengarten. „Von diesen Hühnern wird nicht ein Ei und kein Stück Fleisch verkauft."
Trotzdem wurden die Haltungsbedingungen dieser Hühner genauso intensiv geprüft wie die vom landwirtschaftlichen Betrieb.“
Außerdem drohten ihm 2000 Euro Strafe, weil die Hühnerrasse (Sundheimer), die er privat hält, nicht auf der Liste der zertifizierten Tierrassen steht. „Und bei jeder Kontrolle geht die Diskussion wieder von Vorne los.“ Durch diese übermässigen Kontrollen hätte ihn jedes Huhn schon rund 500 Euro gekostet. Dieser Landwirt kann noch mehr über ähnliche – nach seiner Ansicht schikanöse – Kontrollen erzählen. „Inzwischen bin ich so weit, dass ich ernsthaft überlege, auf das Siegel zu verzichten. Es wird mir einfach zu teuer.“
Beschwerdemöglichkeiten für die Landwirte
Die Höhe der Gebühren wird nach der Hektargröße des Betriebs berechnet. Bei seiner Betriebsgröße zahlt der Rosengarten 600 Euro inklusive einer gewissen Anzahl an Kontrollstunden. Jede Stunde darüber hinaus werde mit 80 Euro berechnet, so Heinemann.
Der Umgang mit Kontrollzeiten ist eine weitere Kritik von Manfred Flegel. „Wie lange und wie oft überprüft wird, entscheidet letztendlich die Kontrollstelle,“ sagt er. „Das muss der Landwirt so hinnehmen.“ Da größere Betriebe auch mehr Gebühren zahlten, würden sie weniger scharf kontrolliert als kleinere Betriebe – aus Sorge, dass sie die Kontrollstelle wechseln, sagt Flegel.
Haben die Landwirte keine Möglichkeit, sich über die Kontrollstelle zu beschweren? Doch, in jedem Bundesland gibt es eine – meist beim Landwirtschaftministerium angesiedelte – Aufsichtsbehörde. In Niedersachsen ist dies das Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES). Es hat bei den zugelassenen Kontrollstellen einerseits einmal jährlich eine Qualitätskontrolle durchzuführen sowie die Inspekteure stichprobenartig bei Betriebskontrollen zu begleiten.
Nach Aussagen des LAVES finden pro Jahr „bis zu 240 Kontrollbegleitungen statt.“
Manfred Flegel hat jedoch den Eindruck, dass die Behörden-Begleiter wesentlich weniger Kompetenz bzw. Erfahrung hatten als er selbst. Er bezweifelt auch, dass die vorgeschriebene Anzahl an Kontrollbegleitungen tatsächlich erfüllt wird.
Pflichten für die Kontrollstellen
Nach den Vorschriften sind die Kontrollstellen verpflichtet, ihren Verdacht auf Verstöße gegen das Öko-Recht zu dokumentieren und an die zuständige Öko-Kontrollbehörde zu melden. „Unabhängig von der Meldung von Verdachtsfällen haben die Kontrollstellen eine allgemeine Auskunftspflicht gegenüber dem LAVES, müssen Meldungen zu statistischen Zwecken abgeben und sind verpflichtet, Kontrolltermine zu melden,“ teilt das LAVES auf Anfrage mit.
Meldet eine Kontrollstelle Verdachtsfälle nicht an die zuständige Kontrollbehörde, so sind Ordnungswidrigkeiten-Verfahren möglich. Hat die zuständige Behörde den Verdacht, das insgesamt die Wirksamkeit, Neutralität oder Unabhängigkeit der Kontrollen nicht gewährleistet ist, so meldet sie dies der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), die weitere Schritte - bis hin zum Entzug des Zertifikats - einleiten kann.
Die Landwirte sind nicht hilflos den Ergebnissen der Kontrollstelle ausgeliefert. Nach eigener Auskunft führt das LAVES auf der Grundlage des Berichtes der Kontrollstelle eigene Ermittlungen durch und entscheidet anschließend über die Einleitung von Verwaltungsmaßnahmen, z. B. einer Sperrung der Vermarktung von Bio-Produkten des betroffenen Unternehmens.
Die Entscheidung kann durchaus von den Feststellungen der Kontrolltelle abweichen.
Nur: Von dieser Beschwerdemöglichkeit wissen viele Landwirte nichts.
Vor einem Entzug der Zertifizierung müssen schummelnde Betriebe sich nicht allzu sehr fürchten. „Wenn es um den Entzug einer Zulassung geht, spielen Kontrollstelle und Behörde Spielchen. Einer wartet auf den Anderen. Keiner will die Verantwortung übernehmen.“
Aber es würden Monate vergehen bis überhaupt bearbeitet werde, sagt Flegel.
Im Resümee kommt der ehemalige Ökokontrolleur zu dem Schluss, dass ein Kontrollsystem für ökologisch wirtschaftende Betriebe wenig Sinn macht, wenn die kontrollierenden Unternehmen konkurrierende Wirtschaftsunternehmen sind, die Art und Umfang ihrer Kontrollen selbst definieren können.
Foto (Angelika Blank): Archiv