Gladiator
Ein Vorschlag zur Volksgesundheit.
Der amerikanische Verteidigungsminister fordert die Bundesregierung auf, Soldaten mit „Kampfauftrag“ auch in den unruhigen Süden Afghanistans zu entsenden. Das ist nicht schön, aber folgerichtig, weil „ein bißchen Krieg“, das ist ebenso wenig zu haben wie „ein bißchen schwanger“. Und egal, ob sich die derzeitige Regierung noch verweigert – eine der nächsten wird das nicht mehr können. Wir sollten darauf vorbereitet sein, demnächst auch gleichberechtigt an den weltweiten Gemetzeln beteiligt zu sein. Doch dafür fehlt es in diesem unseren Land noch an allen Ecken und Enden. Zur Einstimmung daher unser Vorschlag.
Von Karl Kraus, dem Wiener Maulhelden, der mit Worten schneller schoß als sein Schatten, stammt der Satz: „Früher standen die Menschen sich näher, die Waffen trugen noch nicht so weit!“ Wie war das gemeint? Als Witz? Karl Kraus hat keine Witze gemacht. Aber was wollte er sagen? Vielleicht dies: Früher mußten sich die Menschen zu nahe treten, um sich zu töten. Mindestens so nah, wie ein Pfeil halbwegs gezielt flog, also etwa 50 Meter. Dolche, Schwerter, Äxte und Keulen erforderten sogar Körperkontakt. Man roch den Gegner, sein Blut spritzte einem aufs Hemd, man hörte sein Stöhnen. Noch inniger ging und geht es beim Erwürgen zu, eine tödliche Umarmung gewissermaßen, Herz an Herz bis zum letzten Röcheln vereint.
Tod und Töten war einst ein sehr persönlicher, ein intimer Vorgang, fast wie ein Liebesakt. Dazu kam die körperliche Anspannung, die postmortale Erschöpfung. Töten war Arbeit, schwere Arbeit, auch körperlich schwere Arbeit.
Heute dagegen wird auf Distanz, im Anzug, per Knopfdruck und via Display getötet und gestorben. Bomben fliegen aus Flugzeugen, Raketen werden von U-Booten abgefeuert, Präzisionsgewehre, Artillerie, Landminen – zwischen dem Getöteten und seinem Mörder entsteht keinerlei Kontakt oder gar Beziehung mehr.
Kehrte in früheren Zeiten ein Ritter nach der Schlacht heim, so wußte er zumindest, was er wem angetan hatte. Ein Pilot oder Kanonier in heutigen Kriegen dagegen tötet zwar massenhaft, wesentlich effektiver, aber anonym, beziehungslos. Trotzdem schwitzt er und steht unter buchstäblich mörderischem Streß, schon weil auch die Gegner imstande sind, ihn mitsamt seinem Tötungsgerät abzuschießen. Aber wenn er nach dem Einsatz völlig ausgepumpt in seinen Unterstand kriecht, hat er keine Ahnung, was er geleistet und angerichtet hat.
Diese Entfremdung, diese Abkopplung von den Grundfragen nicht nur seiner eigenen Existenz macht krank. Und die Entfremdung schreitet fort, greift auf andere Lebensbereiche über und entwurzelt irgendwann den ganzen Menschen. Er ist nicht mehr als eine tödliche Maschine – seine Gefühle und irgendwann seine ganze Person haben keinen Platz mehr.
Nun gibt es immer wieder lobenswerte Versuche, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. So gehen etwa Selbstmordattentäter mit Sprengstoffgürteln ganz nahe an die Menschen heran, bevor sie sie töten. Ebenso treten nichtmilitärische, also Individualmörder, die aus Habgier oder sexuellen Motiven agieren, in engsten Kontakt zu ihren Opfern. Auch Folterknechte haben, im Rahmen ihrer kunstvollen Tätigkeit, immer einen sehr direkten Draht zu den Adressaten ihrer Arbeit.
Doch sie alle sind, gegenüber dem normalen Soldaten, privilegiert. Und das kann, das darf eine Gesellschaft, die sich zunehmend wieder an Kriege gewöhnen muß, nicht hinnehmen. Man denke nur an die Folgekosten, zum Beispiel durch Einzelbetreuung im Rahmen der psycho-sozialen Nachsorge. Versetzen Sie sich einmal in die Lage eines Bomberpiloten! Da hat er präzise ein paar Städte und gegnerische Stellungen in Schutt und Asche gelegt, aber keinen der Bewohner oder Verteidiger persönlich kennengelernt! Alle seine Toten bleiben gesichts- und namenlos – genau wie er, ihr Mörder, für sie ge-sichts- und namenlos blieb. Das ist für alle Beteiligten eine unpersönliche, eine zutiefst unmenschliche und unbefriedigende Situation, die niemanden unbeschädigt zurückläßt.
Dabei muß uns allen, auch und gerade in Zeiten der Globalisierung und knapper Kassen, eines klar sein: Wir können es uns auf die Dauer nicht leisten, unsere fähigsten Massenmörder in nur ein, zwei Einsätzen zu verschleißen. Die Ausbildung dieser Leute hat so viel Zeit und Geld gekostet – das wirft man doch nicht so einfach fort. Daher also unser Programm: „Gladiator für alle!“ Denn so, wie jemand, der jahrelang bei Mercedes arbeitet, irgendwann auch mal einen fahren will, so will der, der tausendfach tötet, irgendwann auch mal Blut sehen.
Das kann er bei uns. Wir lassen Sie mit bloßen Fäusten aufeinander los, auch mit Messern oder Keulen – ganz nach Wunsch. Alles ist erlaubt – außer natürlich Distanzwaffen. Sicher gibt es dabei schwere Verletzungen oder gar Tote, aber keine Sorge: alle Teilnehmer unterschreiben vorher, daß sie sich über die möglichen Folgen im Klaren sind und auf jegliche gegenseitige Regreßansprüche verzichten.
Natürlich werden die Kämpfe ein Publikumsrenner, mögliche Einnahmen sind, auch ohne Fernsehrechte, kaum zu überschätzen. Ein Prozent der Einnahmen überweisen wir an „Unicef“. Dennoch wird es auch Verluste geben, auf Dauer Kampfunfähige genau wie die schon erwähnten Toten. Doch diese Verluste werden sich in Grenzen halten, und ganz gewiß niedriger sein als die jetzigen Ausfälle durch psychiatrische Gutachten.
Manche werden das für einen Rückfall in die Barbarei halten. Aber ist der derzeitige Zustand humaner? Er ist es nicht. Aber er ist auf jeden Fall ineffektiver und nicht zuletzt teurer. Und der mögliche Vorwurf, unser Befriedigungsbeschaffungsprogramm sei nichts anderes als das altrömische „Brot und Spiele“ ist schon damit zu entkräften, daß das Brot immer weniger ausreicht.
Ich meine, die Verantwortlichen sollten die Einwände von verlogenen Moralaposteln beiseite wischen und endlich handeln. Wir brauchen Gladiatorenkämpfe. Soviel sollte uns die seelische Gesundheit unserer Soldaten wert sein!
2008-02-29 ;
von
Stefan Buchenau (autor),
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