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Gorleben politisch nicht durchsetzbar?

Der „Castor“transport 2008 ist zu Ende und alle Seiten zeigen sich zufrieden: die Polizei mit der „umsichtigen und professionellen Durchführung“ - die Widerstandsgruppen mit der langen Verzögerung und großen Beteiligung aus allen Gebieten Deutschlands. Und auch in anderer Hinsicht war der diesjährige Transport etwas Besonderes: erstmalig dominierten nicht wüste Kampfszenen die Nachrichten, sondern gezielte Blockadeaktionen, die im Einzelnen weitestgehend unter das Ordnungswidrigkeitengesetz fallen dürften.

Schon bei der Auftaktkundgebung zeigte sich, dass die Einschätzung der Widerstandsgruppen, dass sich dieses Jahr wieder wesentlich mehr Demonstranten am Protest beteiligen würden, richtig war: rund 16 000 Menschen demonstrierten am Samstag friedlich vor dem Zwischenlager Gorleben in einer bunten Parade gegen die Nutzung der Atomkraft und gegen den bevorstehenden Transport. Allein Bündnis 90/Grünen hatte ca. 2000 Parteianhänger aus allen Ländern Deutschlands mobilisiert, sich auf den Weg nach Gorleben zu machen – was allerdings von vielen parteifernen Demonstranten teilweise heftig kritisiert wurde.

Höhere Strahlung bei den neuen Transportbehältern

Und selbst ein inhaltliches Thema sorgte für Aufregung: die Messungen von Greenpeace hatten bei der Einfahrt der Transportbehälter in den Verladekran ergeben, dass die austretende Neutronenstrahlung der vorbeifahrenden – neu im Einsatz befindlichen - TN 85 Behälter um 40 % höher lag als bei den ehemaligen Castorbehältern. Insgesamt war laut Greenpeace die Strahlung um das 500fache gegenüber dem Referenzwert ohne Transportzug-Belastung erhöht. Die Greenpeace-Experten vermuteten sogar eine zumindest stellenweise Überschreitung des zulässigen Grenzwertes. Die Meldung machte so viel Furore, das Niedersächsische Umweltministerium den Forderungen von Umweltpolitikern nachkam und entgegen ihrer Gewohnheit die offiziellen Meßergebnisse noch vor der Abfahrt des Transportzuges auf die Strasse öffentlich machte.

Im Ablauf sorgten dann eine Mischung aus Blockadaktionen, technischen Schwierigkeiten und strahlungsbedingten verkürzte Schichtzeiten für eine letztendlich 78-stündige Laufzeit des Transportes.

Noch vor dem Grenzübertritt nach Deutschland wurde Transportzug elf Stunden lang durch eine schwierig aufzulösende Schienenblockade mit mehreren Angeketteten aufgehalten. Auf dem letzten Schienenstück zwischen Lüneburg und Dannenberg gelang es dann nochmals, vielzähligen Demonstranten an verschiedenen Orten ernst zu nehmende Schienenblockaden zu organisieren. Dabei half ein einfach im Baumarkt zu besorgender hydraulischer Schwerlastheber, einen Schienenstrang bei Hitzacker derart zu verbiegen, dass stundenlang fraglich war, ob der Transportzug nicht an einem „sicheren Ort“ zwischengeparkt werden müsse.

Letztendlich konnten die ersten  TN 85 Behälter mit ihrer strahlenden Fracht dann in der Sonntagnacht um 02:10 in den Verladekran gefahren werden. Hier kam es wieder zu Verzögerungen, die noch nicht ganz aufgeklärt sind. Fakt ist jedenfalls, dass die Verladung der elf Behälter doppelt so lange brauchte wie die früher eingesetzten Castor-Behälter. Hintergrund ist vermutlich, dass erstens das Verladepersonal mit der Handhabung der erstmals im Einsatz befindlichen TN 85 Behälter noch nicht vertraut war und zweitens aufgrund der höheren Strahlung der schlecht geschützten Behälter die Schichtzeiten am Zug deutlich verkürzt wurden. Gerüchte besagen, dass eine Schicht nur 20 Minuten lang direkt am Zug arbeiten durfte.

Kreativer Protest

Auch dieses Jahr waren es wieder die Bauern der Bäuerlichen Notgemeinschaft, die mit einer kreativen Blockade für Hektik bei der Einsatzleitung sorgten: um kurz nach 11:00 Uhr am Montagmorgen kam die Nachricht, dass es in Grippel acht Landwirten gelungen war, sich auf Transportstrecke in zwei Betonblockpyramiden anzuketten. Diese Ankettungsaktion stellte sich schnell als so effektiv konstruiert heraus, dass die technischen Einheiten der Polizei elf Stunden brauchten, bis alle acht Angeketteten aus den Betonblöcken befreit waren und die Transportstrecke wieder freigegeben werden konnte. Die Betonklotzaktion machte der Polizei vor allem deswegen Kopfzerbrechen, weil es den Bauern gelungen war, sich ausgerechnet hinter einem zentralen Knotenpunkt der beiden möglichen Transportstrecken zu platzieren, an einer Stelle, über die der Transportzug auf jeden Fall fahren muss. Denn für die letzten rund 8 Kilometer ist nur eine einzige Straße für den Transport von Atommüllbehältern genehmigt.

In ihren Abschlusserklärung zeigten sich die Widerstandsgruppen sehr zufrieden über den Verlauf der Proteste. Gestärkt durch die große Unterstützung kündigte die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg in einer Presseerklärung an, dass man im Wahljahr an den Standorten von Kraftwerken, die auf der Stilllegungsliste stehen - Neckarwestheim, Biblis, Brunsbüttel - protestiert und im Jahr 2010 beim nächsten Castortransport in Gorleben erneut demonstrativ Bilanz gezogen. "Wir geben der Politik eine Chance, sich zu bewegen. Jede Generation hat das Recht, einen Platz zu besetzen,“ so die BI.

Auch die BI beschäftigen die erschreckenden Ergebnisse der Greenpeace-Messungen. BI-Sprecher Wolfgang Ehmke: „Die Atomkraftgegner fordern nach dem Transport, dass unabhängige Wissenschaftler an den angelieferten Castoren die Strahlenwerte nachmessen. Es ist ein ungeheurer Imageschaden, dass hochradioaktive strahlende Abfälle im Wendland in einer Lagerhalle herumstehen und weiterer Atommüll produziert wird ohne Aussicht auf eine Endlagerung, denn Gorleben kann und wird als Endlagerstandort nicht in Frage kommen.“

Gorleben politisch nicht durchsetzbar?

Die Initiative X-tausendmal-quer, die mit rund 1200 Menschen bei Wind, Regen und Kälte 48 Stunden lang vor dem Zwischenlager in einer Sitzblockade ausgeharrt hatte, ist der Meinung, dass ein Endlager Gorleben nach den diesjährigen Protesten und den zahlreichen Skandalen der jüngsten Vergangenheit endgültig politisch nicht mehr durchsetzbar ist. „Nötig ist jetzt keine Debatte über Polizeikosten. Denn diese sind nur der Preis einer verfehlten Atompolitik“, so Jochen Stay, Sprecher von X-Tausendmal-Quer. „Gorleben ist vordringlich kein polizeiliches Problem. Wir brauchen eine neue Energiepolitik, die sich von der Atomenergie mit ihren Risiken verabschiedet.“
Die Initiative X-tausendmal quer hatte eine 48-stündige Sitzblockade vor dem Zwischenlager in Gorleben organisiert, die am gestrigen Montag von der Polizei geräumt wurde. „Ich bin beeindruckt von der entschlossenen Gewaltfreiheit der über 1.200 Menschen, die sich auch von überreagierenden Polizeibeamten nicht provozieren ließen“, so Stay weiter.

Und selbst die Polizei, die ja eine rund 24-stündige Verspätung des Transportzuges zugeben musste, zeigte sich zufrieden über den Gesamtverlauf. Die Verspätung entschuldigte Einsatzleiter Friedrich Niehörster damit, „dass es darauf ankam, den Transport sicher und möglichst ohne zahlreiche Verletzte in das Transportbehälterlager zu bringen.“ Dies habe man auch daran gesehen, dass die Polizei die Sitzblockierer vor der dortigen Einfahrt lange habe gewähren lassen und sie auch beim Wegtragen mit aller Ruhe vorgegangen sei.

Dass die Polizei sich bei der Räumung der Sitzblockierer aber elf Stunden lang Zeit lassen konnte, weil ja die wesentlich entscheidendere Betonblock-Blockade in Grippel so lange Zeit brauchte, bis sie endgltig abgeräumt werden konnte, überging Niehörster geflissentlich.

Die Polizei fiel dieses Jahr zwar tatsächlich durch überwiegend sehr entspanntes Auftreten auf. Trotzdem kam es an den Blockadepunkten mehrfach zu Überreaktionen, die derzeit allerdings von den Juristen der BI noch nicht endgültig aufgearbeitet sind.

"Wir sind im Krieg"

Eine Situation in Laase zum Beispiel regte einen ehemaligen Grenzschutzbeamten derart auf, dass er sich lauthals beschwerte. Kurz vor der Ankunft des Transportzuges in Laase hatten Demonstranten in der Dunkelheit auf einem Acker deutlich entfernt von der Transportstrecke Strohballen angezündet und begannen, dort eine ausgelassene Party zu feiern. Feuerwerkskörper wurden gezündet und insgesamt herrschte dort eine partyähnliche Stimmung, die allerdings von einer unterschwelligen Aggression getragen war. Solange der Transportzug noch nicht in Laase eingetroffen war, hatte sich die Polizei darauf beschränkt, diesen Acker nur per Hubschrauberlicht unter Kontrolle zu halten. Doch kaum hatte der Zug Laase passiert, stürzten sich die zurück gebliebenen – nun arbeitslos gewordenen – Polizisten auf den Acker und begannen wahllos in die kleine, vielleicht 50 Personen umfassende, Gruppe zu prügeln. Dabei behaupteten sie, sie seien aus der Gruppe mit Steinwürfen angegriffen worden. Der ehemalige Grenzschutzbeamte, der die Szene beobachtet hatte, sagt dagegen, dies sei eindeutig nicht der Fall gewesen. Die Polizisten hätten sich völlig grundlos auf die Gruppe gestürzt.
Eine Erfahrung, die bei den vergangenen Castortransporten leider immer wieder gemacht musste: kaum sind die Fotografen weg und die brisante Situation eigentlich aufgelöst, liessen immer wieder offensichtlich überreizte Polizisten ihre Anspannung und Frustration der letzten Tage an den noch übrig gebliebenen Demonstranten aus. Ein Phänomen, dass auch in Berichten über marodierende Kriegstruppen nach der Einnahme zu lesen ist. Aber so sieht sich ein Teil der "Truppen" offensichtlich auch. "Gehen Sie hier weg, wir sind im Krieg", wurde dem ehemaligen Grenzschutzbeamten von den Polizisten entgegen gerufen. ...

Doch insgesamt kann man sagen, dass das Katz- und Mausspiel zwischen Polizei und Demonstranten dieses Jahr eine neue Dimension gewonnen hat: weniger Übergriffe auf Polizeiseite und gezielte, durchaus effektive, aber friedliche Protestaktionen auf der anderen Seite.

Und offensichtlich haben die Diskussionen über die Skandale in der ASSE II, das enttäuschende Endlagersymposium und die immer noch ungelöste Endlagerfrage dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit wieder mehr für die Risiken der Atomkraft sensibilisiert ist.

Foto: Bei der Einfahrt ins Zwischenlager/Karin Behr




2008-11-11 ; von Angelika Blank (autor),

castor  

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