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Ärger um Hartz IV? - Weg zum Gericht kann sich lohnen

Ein Rekord mit traurigem Hintergrund ist jüngst in Berlin erzielt worden: Beim Sozialgericht in der Bundeshauptstadt ist die 100.000 Klage gegen einen Hartz-IV-Bescheid eingegangen. Im Sozialgericht Lüneburg wurden seit Inkrafttreten von Hartz IV rund 5000 entsprechende Klagen eingereicht und mehr als die Hälfte davon mit Erfolg.

Entscheidung der Agentur ist nicht endgültig

Manchen Menschen, die auf „Leistungen nach Sozialgesetzbuch II“ angewiesen sind – also vor allem auf Arbeitslosengeld II, auch als Hartz IV bekannt, bekommen schon ein flaues Gefühl im Magen, wenn ein Brief mit dem Absender „Arbeitsagentur“ im Briefkasten steckt. Ist ein Antrag abgelehnt worden? Enthält der Umschlag einen Bescheid, der die soziale Situation der Familie weiter belastet? Werden gar Sanktionen angedroht, weil irgendeiner Aufforderung des „Amtes“ - so wird die „Agentur“ von vielen Menschen nach wie vor genannt – angeblich nicht nachgekommen wurde? Ganz gleich, was im Bescheid steht: Keine Angst! Die jeweilige Entscheidung der Agentur oder einer anderen zuständigen Stelle ist nicht endgültig.

Erstes Rechtsmittel: der Widerspruch

Keine Bürgerin, kein Bürger muss sich widerstandslos der Ansicht der Agentur unterwerfen und deren Entscheidung hinnehmen. Es gibt Rechtsmittel! Zunächst den Widerspruch – über den wiederum die Agentur oder eine sonst zuständige Behörde entscheidet. Entspricht der von diesen Stellen ergangene so genannte Widerspruchsbescheid erneut nicht der Rechtsauffassung des Bürgers oder der Bürgerin, steht der Weg zum Sozialgericht offen.

2009: Rund 1400 Hartz-IV-Klagen in Lüneburg

Der Weg dort hin kann sich lohnen, denn: Nicht selten sind die Richterinnen und Richter bei der Auslegung der gesetzlichen Regelungen anderer Ansicht als beispielsweise die Arbeitsagentur. Im Jahr 2009, so erfuhr wnet vom niedersächsischen Justizministerium, wurden beim Sozialgericht Lüneburg rund 1400 Hartz-IV-Klagen eingereicht. Davon waren 60 Prozent ganz oder teilweise erfolgreich im Sinne der Klägerinnen und Kläger. Im selben Jahr wurden bei dem Sozialgericht 630 Anträge auf Eilverfahren zu Hartz-IV-Bescheiden gestellt; in 61 Prozent der Fälle entschied das Gericht zugunsten der Bürgerinnen und Bürger.

Streit um Leistungshöhe und Unterkunftskosten

Weswegen wird geklagt, werden Eilanträge eingereicht? Die Streitgegenstände sind sehr vielfältig, weiß Georg Weßling, Pressesprecher von Niedersachsens Justizminister Bernd Busemann. .Es gehe um „die Höhe der Leistung, insbesondere Einkommens-Anrechungen, Kosten der Unterkunft und Heizung, Sonderbedarfe, Sanktionen - insgesamt die ganze Bandbreite möglicher Streitpunkte.“

Wie lange dauert es im Durchschnitt, bis dass über eine Klage gegen Hartz-IV-Bescheide vor Gericht in Lüneburg entschieden wird? „Die Durchschnittliche Verfahrenslaufzeit betrug 2009 über alles gesehen bei 1400 Klagen 14,8 Monate. Bei den 630 Eilverfahren war es ein Monat im Schnitt“, so Georg Weßling.

Senatorin in Berlin: Hartz-IV-Gesetze vermurkst

Angesichts der 100.000 Klage gegen Hartz-IV-Bescheide in der Bundeshauptstadt hatte Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) aufgefordert, Initiative zu ergreifen: „Der Bundesgesetzgeber muss die Hartz-IV-Regeln vereinfachen und präzisieren“, betonte die Senatorin gegenüber der Berliner Zeitung „Tagesspiegel“.

Dies betreffe etwa die Anrechnung von Hinzuverdienst und die Berechnung bei Bedarfsgemeinschaften. Die Sätze für eine angemessene Unterkunft müssten pauschaliert werden. „Die Hartz-IV-Gesetze sind so vermurkst, dass die Sozialgerichte zugeschüttet werden“, sagte Gisela von der Aue Sie befürchtet, dass die Klageflut weiter anschwillt, wenn das von der schwarzgelben Bundesregierung geschnürte Sparpaket verabschiedet wird.

Minister in Niedersachsen: Klare Vorgaben schaffen

Und was sagt Niedersachsens Justizminister? „Minister Busemann hat mehrfach öffentlich gefordert, dass endlich klare Vorgaben statt der vielen unbestimmten Rechtsbegriffe geschaffen werden, wonach sich zum Beispiel die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung bestimmt“, erklärt Pressesprecher Weßling. „Klare Vorgaben führen sowohl bei den Hilfeempfängern als auch bei den Leistungsträgern zu mehr Rechtssicherheit und vermindern die Belastung an den Sozialgerichten“. Ende 2008 wurde das Projekt „Verbesserung des materiellen Rechts zur Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit“ unter Federführung Niedersachsens ins Leben gerufen, erinnert Weßling.

Zwölf Richterinnen und Richter der Sozialgerichtsbarkeiten Niedersachsens, Bremens, Sachsen-Anhalts und Hamburgs hatten seinerzeit Verbesserungsvorschläge sowohl für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende als auch für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung erarbeitet. Außerdem, so der Sprecher, gibt es eine entsprechende Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz. Ob das Sparpaket zu einer weiteren Zunahme der Klagen bei den Sozialgerichten in Lüneburg und anderswo in Niedersachsen führt, sei derzeit nicht absehbar.

Auch die Entscheidung eines Sozialgerichts ist nicht „Endstation“ im Kampf gegen als Unrecht empfundene Hartz-IV-Bescheide: Nächste Instanz ist das Landessozialgericht in Celle.

Vor den Kosten eines Rechtsstreites vor Gericht müssen Hartz-IV-Empfänger übrigens im allgemeinen keine Angst haben. Für Geringverdiener, die eine Beratung beim Anwalt in Anspruch nehmen möchten, gibt es die sogenannte "Beratungshilfe". Kommt es nach einer Rechtsberatung zum Prozess, so kann ebenfalls Antrag auf "Prozesskostenhilfe" gestellt werden. Wird die Prozesskostenhilfe bewilligt, so werden die Kosten des Gerichtsverfahrens (inklusive Anwaltsgebühren) vom Staat übernommen.

Über die Bedingungen für Beratungs- bzw. Prozesskostenhilfe informieren die Amtsgerichte, aber auch jeder Anwalt beim ersten Besuch.

Foto: Hagen Jung/Angelika Blank

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2010-07-01 ; von Hagen Jung (autor),

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