Thema: milch

Bei den - deutschen - Landwirten wird nicht nur die Milch sauer

Rund 55 Milliarden Euro gibt die EU jährlich für Agrarmaßnahmen aus – fast die Hälfte des gesamten EU-Haushalts. Nun beschloss das EU-Parlament, die direkten Subventionen vor allem für Großbetriebe zu drosseln – die Milchbauern dagegen dürfen ab nächstes Jahr mehr produzieren. Europaweit sind die Meinungen gespalten.

Es ist nur wenige Monat her, seit bundesweit Milchbauern den Aufstand geprobt haben. Mitten im Sommer beschlossen sie, ihre Milch lieber in die Gülle laufen zu lassen statt sie unter Wert „auf den Markt zu werfen“. Der Kampf hatte zunächst Erfolg, selbst grosse Discounter knickten ein und sagten höhere Preise zu. Doch von der sommerlichen Euphorie ist wenig übrig geblieben. Schon seit Wochen sinken die Milchpreise – von den versprochenen 40 Ct/Liter Milch können die meisten Milchbauern immer noch nur träumen. 34,5 Ct/war am 21. November der Tagespreis für Milch – pro Liter rund 5,5 Ct weniger als die Produktion der Milch den Landwirt kostet. Lediglich die Produzenten von Biomilch konnten ihren Preis von rund 40 Ct einigermassen halten.

Reduzierung der Milchförderquoten schien daher vielen das Mittel der Wahl. Doch der EU-Ministerrat hat den Bauern nun einen Strich durch die Rechnung gemacht: ab 2009 dürfen europaweit die Landwirt 1 % mehr Milch produzieren als bisher. In Deutschland stößt diese Entscheidung auf harsche Kritik. Nicht nur Romuald Schaber, der Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter, sprach von einem "völlig falschen Signal". Mehr Kühe halten und dadurch mehr Milch produzieren, um über die Menge den niedrigeren Preis auszugleichen – das ist für viele Landwirte keine Lösung. Vor allem die kleineren Milchbauern haben oft weder die finanziellen noch die räumlichen Möglichkeiten, noch weiter auszubauen. Durch die permanente Unterbezahlung kalkulieren viele schon lange mit den letzten Cents.

„Der Zorn unter den Landwirten ist gewaltig,“ so Heinrich Pothmer, einer von zwölf Bio-Milchbauern der Milchkooperative Wendland GmbH. „Ein neuer Streik wird zwar im Moment nicht diskutiert – mit den Ausfällen aus dem Sommer-Streik haben viele heute noch zu kämpfen – aber die Wut wächst. Am meisten ärgert uns, dass die Preis-Verhandlungen aus den eigenen Reihen, von   'unseren' Verbänden, torpediert wurden.“ Pothmer hält es für möglich, dass da „demnächst der Deckel hochgeht“, denn der Frust sitzt tief. Eine gewaltige Austrittswelle könnte das Ergebnis sein. 

Auch wenn es den Biobauern mit rund 40 Ct/Liter (Stand Dezember 2007) vergleichsweise gut geht, hängen doch auch sie mit im Netz des europaweit strukturierten Milchmarktes. Kein Milchbauer hat eine Chance, seine Milch frei auf dem Markt zu verkaufen. Groß-Molkereien bestimmen Absatz und Vertrieb der Milch  - und somit auch die Preise. Da haben auch so engagierte Projekte wie die „Natürlich wendland!“-Milch wenig Chancen. „Derzeit können 25 – 30 % der hier produzierten Milch als Regionalmarke direkt vermarktet werden“, so Heinrich Pothmer. Doch mehr ist nicht drin, da die auf Großmengen-Umsatz eingerichteten Molkereien mit den „läppischen“ 12 000 Liter/Tag aus Lüchow-Dannenberg kaum umgehen können. „Das rutscht bei unserer Molkerei in einer Stunde durch“, wusste schon die unlängst verstorbene Geschäftsführerin der Milchkoop, Henriette Kulow. Jahrelang hatte sie mit verschiedenen Molkereien vehement für eine halbwegs vollständige Produktpalette der wendländischen Biomilch gekämpft. Möglich waren letztendlich eine Voll- und eine fettarme Milch sowie Creme fraiche und Sahne. Für die anspruchsvollen – und dennoch extrem preisbewussten - Konsumenten unbefriedigend.

Keine Abkehr von den Groß-Strukturen

Für die Milchwirtschaft im Allgemeinen stellt sich noch ein anderes Problem: Viele Großproduzenten von Süß- und Backwaren haben aufgrund der höheren Milchpreise ihre Rezepturen geändert und setzen nun z. B. statt Butter Pflanzenfett ein. „Und das ist nicht so schnell zurück zu holen“, weiß Heinrich Pothmer. Denn eine Rezepturveränderung in der Industrie hat einen Vorlauf von – mindestens – mehreren Monaten. Da wird niemand ohne Not die Rezeptur wieder auf „Milch“ umstellen.

Eine Lösung für die gebeutelten Milchbauern könnten kleinere Produktionseinheiten – sprich kleinere, regional orientierte Molkereien – sein. Doch hierfür gibt es keine politische Unterstützung und aus eigener Kraft können die oft am Rande des Existenzminimums arbeitenden Milchbetriebe eine Molkerei seltenst aufbauen. Schon die ehemalige Verbraucherministerin Renate Künast blockte jeden Versuch in diese Richtung. Auf EU-Ebene geht die Tendenz erst recht zu noch größeren Strukturen. Angeblich seien die kleinen Molkereien nicht wirtschaftlich zu betreiben, heißt es aus Brüssel. Dabei beweisen laut Heinrich Pothmer mehrere süddeutsche Klein-Molkereien, dass es sehr wohl funktionieren kann. 

So bleibt Initiativen wie der wendländischen Milchkooperative nichts anderes übrig, als die Anstrengungen zu verstärken, um die regionale Bio-Milch endlich in die schwarzen Zahlen zu bringen. Aus Nordrhein-Westfalen hört man von ersten Initiativen, sich als Landwirte zu einer Produktions- und Absatzgenossenschaft zusammen zu schliessen, um so den Marktwidrigkeiten besser trotzen zu können.

In anderer Hinsicht allerdings konnte Agrarministerin Ilse Aigner sich in Brüssel durchsetzen: zumindest in Deutschland darf in Zukunft EU-Geld in einen sogenannten „Milchfonds“ fließen. Mit 350 Millionen Euro soll er ausgestattet sein und vor allem den Erzeugern zugute kommen, die durch den Wegfall der Milchquote und dadurch sinkende Literpreise hart getroffen werden.

Was passiert in Zukunft mit den Subventionen?

Neben dem Milchfonds sorgte der zukünftige Einsatz der Agrarsubventionen in Brüssel für Zündstoff: Derzeit sind es europaweit noch 55 Milliarden, von denen 5,4 Mrd. Bei knapp 380 000 Bauern in Deutschland landen.  In harten Verhandlungen rangen die 27 EU-Staaten um einen Kompromiss: so sollen in Zukunft Landwirte, die über 5.000 Euro Direktzahlungen für ihren Hof bekommen, die Subventionen bis 2012 um fünf Prozent gekürzt werden. Großbetriebe, die über 300.000 Euro pro Jahr aus EU-Töpfen erhalten, müssen auf zusätzliche 4 Prozent verzichten. Für die deutschen Landwirte heißt das: rund 229 Millionen Euro Einbußen jedes Jahr. Mit den eingesparten Direkt-Subventionen sollen nach den Brüsseler Plänen verstärkt Regionalentwicklungs- oder Umweltschutz-Maßnahmen gefördert werden.

Doch: "Wie kann ich denn eine Region entwickeln, wenn ich vorher den einzelnen Betrieb geschwächt habe?" fragt nicht nur Annegret Jacobs, Geschäftsführerin des Landesbauernverbandes Sachsen-Anhalt. "Das ist doch klar, dass der einzelne Landwirt, dem gerade 50 000 Euro gestrichen wurden, zunächst einmal Mitarbeiter entlassen wird." In Sachsen-Anhalt ist man erschreckt über die Kürzungen. " Wir hatten wenigstens damit gerechnet, dass wir bis 2013 mit den bisherigen Förderquoten weiterarbeiten können", so Jacobs. "Opel hilft man, aber unseren Landwirten? ...." Im benachbarten Brandenburg befürchtet man gar, dass durch die Subventionsstreichungen über 5000 Arbeitsplätze verloren gehen.

Dabei geht der ausgehandelte EU-Kompromiss Grünen und Liberalen noch gar nicht weit genug: „Ursprünglich hatte die Kommission viel größere Kürzungen bei den Empfängern hoher Subventionen - also den großen Betrieben - geplant. Das wäre tatsächlich ein Beitrag dazu gewesen, die Wettbewerbsverzerrung zu Lasten kleinerer Betriebe abzubauen. Denn alle landwirtschaftlichen Betriebe agieren am Markt. Und der Markt kümmert sich nicht darum, wer was aus Brüssel bekommt“, so der EU-Abgeordnete Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf (Grüne) in einem WDR-Interview. „Was jetzt dabei herausgekommen ist, ändert nichts an dem Grundproblem: Ein Prozent der Betriebe zieht auch weiterhin 30 Prozent der Gelder aus Brüssel ab.  Wenn keine zusätzlichen Gelder für Qualitätserzeugung zur Verfügung gestellt werden, wird kleineren Betrieben künftig der Zugang zu den höherpreisigen regionalen Märkten erschwert. Das kann für viele das Aus bedeuten.“

Auch ökologisch produzierende Landwirte wie Heinrich Pothmer haben im Prinzip nichts gegen den "Abbau in der Spitze". Nach ihrer Ansicht ist die Zeit längst überfällig, nach Qualität und Nachhaltigkeit zu fördern und nicht nach Betriebs- und Flächengrösse. „Aber sind wir skeptisch, wem die Regionalentwicklungs-Fonds wirklich zugute kommen. Da möchten wir gerne Genaueres wissen.“

Nichts Genaues weiß man nicht

Doch genau das ist derzeit völlig unklar. Selbst schon länger laufende Landentwicklungsprogramme wie LEADER+ kämpfen mit unklaren, kaum umsetzbaren Richtlinien. In der Region Wendland-Elbetal zum Beispiel droht aktuell ein Millionenbetrag an eigentlich für die Regionale Förderung vorgesehenen LEADER+-Geldern ungenutzt zurück zu fließen. Denn bisher hielt die für die Bewilligung zuständige GLL keines der vorgelegten Projekte für förderwürdig. ...

War es Zufall, dass sich genau am Tag der Brüsseler Entscheidung in Sulingen 340 Vertreter aus Kommunen, Verbänden, Politik, Landesverwaltung und Wirtschaft zum "Ersten niedersächsischen Tag der Landentwicklung" trafen? Eingeladen hatte das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung unter dem Motto "Gemeinsam für den ländlichen Raum". Als Ausrichter fungierte die Landesbehörde GLL Sulingen (Behörde für Geoinformation, Landentwicklung und Liegenschaften).

Doch die Pressemitteilung des Ministeriums nach diesem Treffen trug nicht viel zur Erhellung der zukünftigen Konzepte bei: "Ohne langfristig angelegte Konzepte und vorausschauende Planung kommen die ländlichen Kommunen nicht weiter", schrieb Staatssekretär Otto Ripke den anwesenden Kommunalvertretern in die Agenda. Die Region Sulingen diente im Verlauf der Tagung mehrfach als positives Beispiel für die Auswirkungen "eines ausgeklügelten Flächenmanagements und den Einsatz von Flurbereinigungen. Umsiedlungen großer Firmen und der Bau von Umgehungsstraßen sichern Arbeitsplätze, schaffen Naherholungsräume und fördern die Ansiedlung weiterer Betriebe".

Sind das die Zukunftsstrategien? Das Fazit des Tages war eindeutig - ebenso wenig neu: Nur im Verbund können Kommunen künftig die Herausforderungen meistern. Und ein klares Konzept muss vorhanden sein, um die Instrumente der Landentwicklung optimal nutzen und zur Wirkung bringen zu können... ?! Auch in seiner Pressemitteilung zu den Ergebnissen des Brüsseler Gipfels geht Ehlen mit keinem Wort auf die geplanten Regionalmittel ein.

Für Annegret Jacobs, Vertreterin der anhaltinischen Bauern, stellen sich noch ganz andere Fragen: "Üblicherweise müssen die Brüsseler Förderprogramme mit mindestens 10 % aus dem eigenen Land gegenfinanziert werden. Schon da sehe ich bei uns schwarz." Auch sie hat bis jetzt noch keinerlei konkretere Informationen, ob und wie die Regionalfonds eingesetzt werden können/sollen.

Sind unsere Nachbarn mutiger?

Während man in Deutschland von rund 229 Millionen Euro Einbuße bei den Direkt-Subventionen ausgeht und vor allem in Nord- und Ostdeutschland die Angst vor tausendfachem Höfesterben umgeht, sieht man in Tschechien das Problem ganz anders: „“Es stellt sich die ernste Frage nach dem Sinn von landwirtschaftlichen Subventionen. Nur fünf Prozent der Europäer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Und dennoch geht die Hälfte des Haushalts der Union an sie. Würde der europäische Agrarbereich ohne die Subventionen zusammenbrechen? Würden die Europäer aufhören zu essen? Oder würden die europäischen Bauern von der außer-europäischen Konkurrenz überwältigt? Jeder ordentliche Liberale sagt, dass Subventionen den Markt deformieren. Wann immer aber die Kritiker der Subventionen an die Macht kommen, verteidigen sie diese Deformation mit allen Mitteln. Das erscheint paradox, aber es ist so." , meint die tschechische Tageszeitung Pražský deník. ...

Und auch der britische Daily Telegraph wünscht sich mehr Marktorientierung: "Das Tempo auf der Reise zu einer einfacheren, stärker marktorientierten gemeinsamen Agrarpolitik scheint sich verlangsamt zu haben. Die eventuelle Beseitigung der Milchquoten wird produktiveren Landwirten helfen, obwohl nicht vor 2015. Mehr Geld fließt in den Erhalt der Landschaft. Aber der Nutzen daraus wird eher auf dem Kontinent als hier spürbar sein, der Markt bleibt verzerrt, so dass die britische Agrarkultur benachteiligt bleibt. Von EU-Ministern wird erwartet, dass sie den protektionistischen Überbau der EU-Landwirtschaft ein für alle Mal abbauen. Bei diesem Tempo wird dies noch einmal 30 Jahre dauern."

In Italien und den Niederlanden wartet man ebenfalls schon sehnsüchtig auf den Wegfall der Milchquoten – um dann endlich ungebremst Milch produzieren zu können.

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2008-11-25 ; von Angelika Blank (autor),

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