„Gorleben365“ rüstet zur ganzjährigen Blockade des Endlagerbergwerks
Alles ist naß. Der Regen rinnt unaufhörlich von vielen bunten Schirmen. Doch so grau und dunkel der Himmel ist, so farbenfroh leuchten Farben und Transparente. Sogar die Gesichter! Unter den Schirmen wird gesungen und gelacht, Teetassen dampfen, obwohl es erst der 14. August ist. Über 200 Menschen haben sich zum Auftakt des Blockadejahrs „gorleben365“ vor dem Haupttor des Salzbergwerks zusammengefunden, in dem nach dem Willen der Bundesregierung das deutsche Endlager für hochradio-aktiven Atommüll entstehen soll – obwohl nach wie vor ungeklärt ist, ob Salz grundsätzlich ein geeignetes Medium sein könnte, um Atommüll für zehntausende Jahre von der Biosphäre abzuschirmen; obwohl Grundwasser in diesen Salzstock eindringt; obwohl es Gaseinschlüsse gibt. Überdies könnte ein in Betrieb genommenes Endlager, so die Befürchtung der Atomkraftgegner, den Weiterbetrieb von Atomanlagen rechtfertigen oder gar fördern.
Entsprechend entschieden sind die Antworten auf die Frage: „Was machen Sie eigentlich hier?“ „Ich blockiere den Bergwerksverkehr, weil die Bundesregierung hier versucht, vollendete Tatsachen zu schaffen.“ „Im Salzbergwerk Asse säuft der Atommüll ab und wird das Grundwasser einer ganzen Region verseuchen. Soll der gleiche Fehler hier noch einmal gemacht werden? Nicht in meinem Namen!“
„gorleben365“ – der Name ist Programm: 365 Tage, ein ganzes Jahr lang täglich, wollen die AtomkraftgegnerInnen die Endlagerbaustelle in Gorleben blockieren. Immer wieder andere Gruppen sind eingeladen, im Rahmen der Marathon-Blockade vor die Tore in Gorleben zu kommen und die Schichtwechsel, Materiallieferungen, Besuchergruppen und Salzausfuhren zu behindern. Den lebensgefährlichen Endlagerplänen soll mit Lebendigkeit ein Strich durch die Rechnung gemacht werden. So finden sich im Blockadekalender auch Geburtstagsblockaden, Konferenzen, Blockadesportveranstaltungen, Blockadepicknicke. Sogar ein „Schmierentheater“ hat sich angekündigt, und eine Gruppe Rollstuhlfahrer will mit einem Geschicklichkeitsparcour die Zufahrtsstraßen blockieren.
Getragen wird „gorleben365“ von der Anti-Atom-Initiative „X-tausendmal quer“ und der „Kurve Wustrow – Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion“. „X-tausendmal quer“ ist vor 15 Jahren innerhalb der Anti-Atom-Bewegung entstanden, um große, gewaltfreie Sitzblockaden beim Castor-Transport zu organisieren. Die langjährigen Erfahrungen in der Organisation von Großaktionen zivilen Ungehorsams haben bereits Einzug in verschiedene Kampagnen anderer Politikbereiche gehalten. Die „Kurve Wustrow“ wurde vor über 30 Jahren gegründet, um einen Beitrag zu leisten, Betroffenheit über kriegerische Auseinandersetzung, ökologische Zerstörung und soziale Ungerechtigkeit in überlegtes gewaltfreies Handeln umzusetzen. Jochen Neumann, Geschäftsführer der „Kurve“ erklärt: „Wir wollen nicht nur darstellen, wie die Bedrohungen zusammenhängen, sondern auch Möglichkeiten und Methoden vermitteln, diesen Entwicklungen aktiv entgegenzutreten und hierfür neue Kräfte zu gewinnen.“
„Ich freue mich schon auf die Tangotänze, Feuerwehrübungen, schamanischen Rituale, Beachvolleyballturniere und Hochzeiten, die wir hier möglich machen wollen“, sagt Steffi Barisch, Öffentlichkeitsreferen-tin der „Kurve“. Und Katja Tempel von „X-tausendmal quer“ erläutert das Selbstverständnis des Kampagnenteams: „Wir nehmen die Anmeldungen der Gruppen entgegen und koordinieren die verschiedenen Blockadetermine. Wir helfen den Gruppen mit unserer Erfahrung bei der Vorbereitung und begleiten sie bei ihrer eigenen Blockade. Wir stellen ein Netzwerk zur Verfügung und vermitteln im Aktionstrainings und Unterkünfte.“
Der Charakter der gewaltfreien Aktion ist dabei ein wichtiges Anliegen. Im Aktionsrahmen heißt es: „Wir werden den Zugang zum Erkundungsbergwerk versperren. Wir wollen andere Menschen mit unserem Handeln dazu motivieren, Verantwortung nicht zu delegieren, sondern sich eigenverantwortlich für den Ausstieg aus der Atomenergie einzusetzen. Unsere Blockaden sind Akte zivilen Ungehorsams. Gesetze und Vorschriften, die den reibungslosen Betrieb des Endlagerbergwerks sicherstellen sollen, werden wir nicht beachten. Wir werden die Zufahrt nicht freiwillig verlassen, weil wir in Anbetracht des atomaren Risikos und der ungelösten Entsor-gungsfrage unsere Aktion als legitim und notwendig erachten. Bei polizeilichen Räumungen werden wir besonnen und ohne Gewalt handeln.“
Obwohl das Marathon-Vorhaben, eine ganzjährige Blockade zu kreieren, nicht unambitio-niert und vielleicht auch ein bißchen verrückt klingt, ist die Idee nicht neu. „gorleben365“ hat große, erfolgreiche Vorbilder. Im Oktober 2006 startete in Schottland die Namenspatin „Faslane 365“. Faslane – das stand für die Stationierung von mit Atomraketen bestückten U-Booten im gleichnamigen Militärstützpunkt bei Glasgow. Den britischen Friedensaktivisten gelang es, über 240 Blockadegruppen zu mobilisieren, von denen jede jeweils einen Tag lang die Zufahrten zum Stützpunkt blockierte. Jede dieser Gruppen brachte ihr eigenes Thema mit und stellte so die verschiedensten Bezüge zwischen atomarer Bedrohung und alltäglichem Leben her.
Noch bekannter sind die Bus-Boykotte der schwarzen Bevölkerung US-Amerikas. Dort wi-dersetzte sich 1955 eine mutige Frau der Rassen-trennung in öffentlichen Verkehrsmitteln und ließ sich auf einem für Weiße „reservierten“ Sitzplatz nieder. Sie löste damit einen 381 Tage währenden Bus-Boykott der schwarzen Bevölkerung aus, der sich zu einer mächtigen Bür-gerrechtsbewegung auswuchs und das Ende der Rassentrennung einläutete.
Diese Beispiele wie auch die 30jährige Geschichte des Widerstands gegen die Nutzung der Atomenergie zeigen, wie erfolgreich Geduld, Beharrlichkeit und Gewaltfreiheit sein können. An diese Traditionen wollen die InitiatorInnen von „gorleben365“ anknüpfen. Und sieht man sich die öffentlichen Reaktionen und das große Presseecho an, dann scheint die Zeit dafür tatsächlich reif zu sein.
Wer sich – in welcher Form auch immer – an „gorleben365“ beteiligen will, wende sich an: gorleben 365, c/o X-tausendmal quer, Lange Straße 8, 29451 Dannenberg. Telefon: 0 58 61 - 806 95 14. Fax: - 806 95 16. Email: blockade@ gorleben 365.de (www.gorleben365.de)