Spielfreude und kreative Ideen sind schon lange das Markenzeichen der Freien Bühne Wendland. Mit ihrem neuesten Stück "Alice" hat das Ensemble wieder einmal ein Highlight abgeliefert.
Ein Kind verwandelt sich in ein Schwein, eine Grinsekatze löst sich in Luft auf und ein verrückter Hutmacher philosophiert über die Zeit. Und mittendrin Alice, die eine Reise unternimmt, auf der sie sich nur wundern kann. Sie
wird groß und klein werden, Kuchen essen, Tee trinken, unbekannte Spiele
spielen, neue Worte lernen - denn, wie die Grinsekatze es ihr mit auf
den Weg gibt: „Hier sind alle irgendwie wunderlich!"
Lewis Carroll hatte mit seinem Kinderbuch "Alice im Wunderland" alle Register der Nonsensliteratur gezogen. Die vielen skurrilen Figuren und die merkwürdige Geschichte machten das Buch schon beim Erscheinen 1865 zum Lieblingsbuch zahlreicher Kinder.
Für das Ensemble der Freien Bühne Wendland geradezu eine Steilvorlage, all sein spielerisches Potenzial auszuschöpfen. Allen voran Paul Lonnemann als Alice/Alex, der auch die Fassung des Stücks geschrieben hat. Mit Elan und eindrucksvoller Wandlungsfähigkeit spielt er die Rolle der verwirrten Alice, die sich immer wieder in anderen Größen wiederfindet. Aber auch die anderen Schauspielerinnen - ausschließlich Frauen - überzeugten durch ihr lebendigs Spiel.
Alice von einem Mann spielen zu lassen, ist eine klare Entscheidung. "Alice im Wunderland ist eine Geschichte über Identität und Selbstverständnis, über permanente Änderungen im eigenen Sein. Da war es logisch, auch das Geschlecht der Hauptfigur umzudrehen, also die Rolle einen Mann spielen zu lassen", so Lola Wittstamm. "Außerdem wollten wir einen Gegensatz zu dem ansonsten weiblichen Team schaffen".
Das Thema Identität ist keine Erfindung von Paul Lonnemann bzw. der Regisseurin. Im Original von Lewis Carroll taucht das Motiv immer wieder auf - zum Beispiel bei Alice' Gespräch mit der Raupe. Auf die Frage wer sie sei, antwortet Alice: »... ich weiß, wer ich heut früh war, als ich aufstand; aber ich glaube, ich muß seitdem ein paar Mal verwechselt worden sein.«
Schlicht und einfach - aber ausdrucksstark
Ein freies Theater wie die Freie Bühne Wendland muss regelmäßig mit extrem knappen Budgets arbeiten - so auch bei dieser Inszenierung. Doch es gelingt dem Team immer wieder, mit einfachsten Mitteln ausdrucksstarke Bühnenbilder + Kostüme zu schaffen.
Rund ein Dutzend große Würfel dienen als Grundlage für ein sich beständig wechselndes Bühnenbild. Möglich wird dies durch verschiedene Motive auf den einzelnen Würfelseiten. Umgedreht und anders zusammengestellt werden die Würfel zur Wiese, zum Palast der Königin oder zum Blumengarten. Oder auch zur einem Gewirr von schwarz-weißen Linien, die an die Struktur einer Platine oder QR-Codes erinnern.
Die Kostüme wurden auch dieses Mal - erfindungsreich wie immer - von Elke Kuhagen aus Bussau gestaltet.
Ein "querfeministisches Propagandastück"?
Bei den Schulvorstellungen geriet das Stück bei einigen Eltern unter Beschuss. Angehörige aus den Reihen völkischer Siedler verboten ihren Kindern, zur Aufführung zu gehen. In einem ominösen Whatsapp-Chat tauchte gar der Begriff "querfeministisches Propagandastück" auf.
Regisseurin Lola Wittstamm nimmt es mit Gelassenheit - aber auch deutlicher Ablehnung. "Es ist superwichtig, diese Entwicklung zu beobachten und zu benennen, was läuft", sagt sie.
Die allermeisten ZuschauerInnen begeisterten sich für "Alice" wegen des furiosen Spiels und der Freude am Kreieren absurder Situationen, die das gewohnte Denken auf den Kopf stellen.
In Platenlaase gibt es am Wochenende noch vier Veranstaltungen. Es empfiehlt sich, so bald wie möglich Karten zu bestellen - denn die Vorstellungen sind schnell ausverkauft.
Es spielen: Paul Lonnemann, Dora Fischer, Carolin Serafin, Kerstin Wittstamm, Lola Wittstamm
Regie: Lola Wittstamm
Ausstattung: Elke Kuhagen
Musik: Gero Wachholz / Dora Fischer
Technik: Lukas Spychay, Caspar Harlan
Produktionsleitung: Kerstin Wittstamm, Caspar Harlan
Foto | Jochen Quast