Wie aus den vorangegangenen Berichten hinlänglich bekannt, sind wir nach Norwegen gezogen, um dort unsere Berufe Krankenschwester und Altenpfleger unter besseren Bedingungen als in Deutschland auszuüben. Wieviel besser die Bedingungen sein werden, hätten wir uns allerdings nicht träumen lassen...
Obwohl auch hier die Angestellten oft und gern darüber schimpfen, wie furchtbar die Arbeitsbedingungen sind. Wir können dann immer nur den Kopf schütteln und allen raten, einmal für sechs Monate in Deutschland zu arbeiten.... Es beginnt bereits damit, das wir bei einer Vollzeitstelle - so wie ich sie habe- statt 40 oder mittlerweile sogar 42 Wochenstunden in Deutschland hier nur 35,5 Stunden arbeiten müssen. Was dem Durchschnittsnorweger eigentlich schon viel zu viel ist. Wenn in einem Haus keine Dauernachtwachen eingestellt sind -was hier mit Rücksicht auf die Angestellten immer seltener der Fall ist- hat man bei einer Vollzeitstelle zwei Nächte in sechs Wochen zu arbeiten und muß hinterher mindestens zwei Tage frei haben, wobei der erste Tag nach der Nachtwache nicht als frei zählt. So erholsam!
Ellen im Dienstzimmer der Pflegestation
Zudem haben wir in unserem kleinen, 40 Plätze zählendem Pflegeheim mit angeschlossenem betreuten Wohnen des Nachts recht wenig mehr zu tun als anwesend zu sein. Hier dürfen die Bewohner nachts durchschlafen, ohne alle zwei Stunden zwecks umdrehen und Getränk zu sich nehmen geweckt zu werden. Mal zugeben bitte, wer von uns steht nachts alle zwei Stunden auf und trinkt einen Becher Wasser ? Na also, wer will also bitteschön drei- oder viermal des Nachts geweckt werden, um etwas zu tun, was er nicht möchte ? Und ich habe hier bisher noch keinen Fall von Dehydration bei einem Bewohner erlebt, wie das in Deutschland an der Tagesordnung war.
Umgelagert werden nur Bewohner, die wirklich extrem druckgefährdet sind. Und man wird es kaum glauben - im ganzen Haus haben wir einen einzigen Bewohner mit Druckgeschwür, welches er bereits von zuhause mitbrachte. Bis auf zwei schwerstkranke Bewohnerinnen bleibt niemand über Tag im Bett.
Solche Sachen wie nachts putzen, Wäsche waschen oder Medikamente stellen sind hier unbekannt. Die Arbeitgeber sind der Auffassung, das es bereits schwer genug ist, nachts wach zu sein. Deshalb gibt es auch kräftige Zuschläge für das nächtliche Wirken. Hier kann niemand wirklich glauben, das es in Deutschland Standard ist, sieben bis zwölf Nächte am Stück zu arbeiten und das in vielen Einrichtungen ohne Nachtzuschlag. Der Durchschnittspfleger in Norwegen ist völlig erledigt, wenn er einmal fünf Tage am Stück arbeiten mußte, ohne zwischendrin frei gehabt zu haben, geschweige denn mehr als zwei Nachtdienste.
Im Gegensatz zu Deutschland, wo ab sechs Uhr morgens -und entgegen den Vorschriften oft noch früher- geweckt und gewaschen wird, dürfen die Bewohner hier solange schlafen, wie sie möchten. Bei einigen kann das durchaus bis halb zwölf sein. Dafür gehen sie aber auch ins Bett, wann sie möchten - und nicht generell abends um sieben. Wenn sie nachts um halb zwölf noch einen Film im Fernseher des gemütlichen Gemeinschaftsraumes sehen möchten, bringt die Nachtwache sie anschließend zu Bett. Die hat hier ja Zeit dazu, da sie nicht mit hundert anderen Aufgaben zugepflastert ist.
Auch die Schichtbesetzungen sind hier wesentlich großzügiger als in Deutschland. Wurde dort in der Frühschicht bei 20 Patienten mit 2 Pflegekräften und einem Lehrling gearbeitet, sind wir hier bei 15 Patienten des morgens nicht selten mit sechs Leuten – Lehrlinge laufen nebenher und gelten im Personalschlüssel nicht als Pflegekraft. Es können also durchaus auch mal 8 Leute sein.
Die gutgelaunte Frühschicht während der Kaffeepause
In manchen norwegischen Pflegeheimen gibt es noch einige Doppelzimmer. In unserem Haus haben wir nur Einzelzimmer von durchschnittlich 25 qm Größe mit eigenem rollstuhlgerechten Duschbad und Toilette. Wer möchte und wessen Gesundheits- und Geisteszustand es zuläßt, darf sein Zimmer auch nachts verschließen. Viele Bewohner haben ihre eigenen Möbel mitgebracht. Lediglich ein höhenverstellbare Pflegebett ist Pflicht, um die Gesundheit der Angestellten zu schützen.
Ausser der Pflegeabteilung mit 15 Zimmern, auf der ich eingesetzt bin, verfügt unser Haus noch über eine Station für leicht Demenzerkrankte mit sechs Plätzen und eine für Schwerstdemente mit fünf Plätzen -hier sind ständig zwei besonders ausgebildete Pflegekräfte anwesend.
Frühstück auf der Demenzstation
Ausserdem gibt es 14 betreute Wohnungen mit jeweils zwei Zimmern, Kochnische und Badezimmer. Hier ist ständig eine Schwester oder ein Pfleger anwesend, falls jemand Hilfe benötigt.Die Bewohner der hübschen Wohnungen mit eigener Terasse versorgen sich weitestgehend selbst, treffen sich aber, wenn sie das möchten, zum gemeinsamen Mittagessen in einem schön eingerichteten Speisezimmer.
Abteilung „Betreutes Wohnen“ vom Innenflur gesehen
Auch die häusliche Krankenpflege hat ihren Stützpunkt bei uns im Heim und von hier aus fahren die diensthabenden Pflegekräfte mit fast nagelneuen Geländewagen ihre Patienten an. So gut wie diese Autos in Schuß gehalten werden, habe ich noch bei keiner Einrichtung in Deutschland erlebt. Zudem wird den Pflegekräften in diesem Bereich die Realzeit als Arbeitszeit angerechnet und es gibt keine Abzüge für eventuell längere Fahr- oder Pflegezeiten, wenn etwas ausser der Reihe anfällt.
Hauskrankenschwester Marianne mit Dienstwagen
Zusätzlich zum Pflegeteam haben wir in unserem Haus eine festangestellte Physiotherapeutin, die an zwei Tagen in der Woche in ihrem eigens für sie eingerichteten und gut ausgestatteten Raum mit den Bewohnern arbeitet. Auch eine Fußpflegerin und eine Frisörin zählen einmal pro Woche zum Team. Und nicht zu vergessen -falls irgendwo eine Tür klemmt, ein Wasserhanhn tropft, ein Ausguss verstopft ist oder die Heizung streikt- unser allzeit einsatzbereiter, stets lächelnder Hausmeister Per Gunnar.
Der weltbeste Hausmeister Norwegens !
Die hauseigene Küche zaubert mit den zwei Zwei-Damen-Mannschaften täglich vier vorzügliche Mahlzeiten, an denen auch die Angestellten teilhaben können. Ansonsten darf man in der Kantine zu äußerst geringen Preisen speisen - am liebsten tu ich das Freitags, da gibt es eigens für uns gebackene Pizza. Getränke in großer Auswahl sind - in welchen Mengen auch immer- umsonst.
Die zwei Schönen vom Küchenteam
Pflegehilfsmittel und arbeitserleichternde Gerätschaften wie z.B. Lifter, um die Patienten zu heben, sind mehr als reichlich vorhanden (allein in unserer Pflegeabteilung sechs Stück !), und Fortbildungen werden in allen möglichen Variationen angeboten – wobei sowohl die Kursuskosten als auch die dafür benötigten Zeiten vom Arbeitgeber bezahlt werden. Ist der Kurs weiter entfernt, trägt er auch die Fahrt- und Unterbringungskosten.
Stehlifter – Wie fühlt man sich darin ?
Wie besorgt der Arbeitgeber um die Gesunderhaltung seiner Arbeitskräfte ist, spiegelt sich auch in der Tatsache wieder, das es in unserem Haus ein perfekt ausgestattetes Fitnessstudio gibt, was von den Angestellten der Kommune Tolga umsonst benutzt werden kann. Sehr schön ist auch der speziell für uns Pflegekräfte angeschaffte Massagesessel !
Gern und viel wird in unserem Haus gefeiert...und zwar zusammen mit Angestellten und Bewohnern. Sicher gibt es auch in Deutschland Weihnachts- und Sommerfeste. Der Unterschied ist nur, das dort verlangt wird, unbezahlt anwesend und gutgelaunt zu sein. Hier darf man mitfeiern, mitessen und -trinken und wird dafür auch noch bezahlt ! Klar, das sich zu solchen Anlässen alle Angestellten einfinden, die auch nur ein bißchen Zeit erübrigen können.
Gemeinsames Essen beim alljährlichen Herbstfest !
Der Feierreigen beginnt in der ersten Januarwoche mit dem „Juletrefest“ - da wird der Weihnachtsbaum geplündert und rausgeschmissen und es gibt Essen und Trinken für alle. Im Frühjahr gibt es selbstverständlich ein Frühlingsfest und ganz besonders wird der 17. Mai gefeiert, der norwegische Unabhängigkeitstag. Da ist alles, was nicht fest im Bett liegt, auf der Strasse und schaut den Umzug an.
Dann gibt es ein Sommerfest , ein Herbstfest und ein „Julebord“ - eine Weihnachtsfeier. Einmal für die Angestellten -f inanziert vom Haus- und einmal für Bewohner, Angehörige und Angestellte zusammen. Ihr seht, die Norweger sind ein feierfreudiges Völkchen ! Das Sommerfest findet natürlich draussen statt, wozu haben wir einen schönen, weitläufigen Garten...
Was hier völlig anders geregelt ist als in Deutschland ist der Urlaub. Die Dauer beträgt je nach Alter und Berufsjahren zwischen drei und fünf Wochen jährlich, wobei mindestens drei Wochen am Stück genommen werden MÜSSEN. Keine „man-sollte-ja-eigentlich-aber...“ Bestimmung wie in Deutschland. Es gibt kräftig auf die Nase für die Heimleitung, wenn sie es nicht fertigbringt, soviele Vikare -das sind Vertretungskräfte- an Land zu ziehen, das die Urlaubszeiten abgedeckt sind und alle die vorgeschriebenen Zeiten nehmen können.
Urlaubsgeld in dem Sinne, wie es das einmal in Deutschland gab -und vereinzelt noch gibt- gibt es hier nicht. Man zahlt jeden Monat einen geringen Satz vom Bruttogehalt in eine „Ferienkasse“ ein und bekommt dafür im folgenden Jahr 12 % des gesamten Jahresbruttoeinkommens -zuzüglich aller Zuschläge und Überstundengelder- für die Zeit, die man in Urlaub geht, als „feriepenger“ Dafür gibt es allerdings in dieser Zeit kein Gehalt. Wenn man aber nachrechnet, hat man trotzdem einen Überschuß auf dem Konto !
Ähnlich einfach ist es mit der Steuer. Der Satz beträgt 36 %, wobei darin aber auch alle Sozialabgaben -Krankenkasse, Renten- und Arbeitslosenversicherung ect.- enthalten sind. Hat man Kinder, ermäßigt sich der Satz auf 28 %, egal ob man verheiratet ist oder nicht.Die Jahresabrechnung wird vom Finanzamt ausgearbeitet, man bekommt die fertige Abrechnung zugeschickt, prüft nach, macht etwaige Korrekturen und schickt sie dem „skattetaten“ wieder zurück – so einfach ist das !
Und das ist das Pflegeheim von aussen...wer möchte da nicht wohnen ?
Fazit des Ganzen nach drei Monaten Arbeitsleben : Es hat mir noch nie so viel Spaß gemacht, in der Pflege zu arbeiten, wie hier in Norwegen.
Als berufsbedingt chronisch Rückenkranke mit Arthrose in der Wirbelsäule war ich in Deutschland selbst unter hochdosierter Schmerzmedikation so weit, das ich meinen Beruf zumindest nur noch geringfügig hätte ausüben können, wahrscheinlich aber innerhalb der nächsten zwei Jahre komplett an den Nagel hätte hängen müssen. Hier bin ich aufgrund der wesentlich leichteren Arbeitsbedingungen unter geringerer Schmerztherapie wieder voll einsatzfähig.In Deutschland kam ich nach einer Schicht völlig zerschlagen nach Hause. Hier habe ich nach der Schicht noch genug Energie, um z.B. eine Wanderung durch die wunderschöne Natur zu machen.
In diesem Sinne – schöne Grüße an all meine geplagten Kolleginnen und Kollegen, die es immer noch aushalten, im deutschen Pflegesystem für einen Hungerlohn engagiert zu arbeiten.
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