Thema: literatur

Andreas Altmann – ein genialer Reiseliterat mit Schatten

Über dreißig Jahre verbrachte Andreas Altmann in der düsteren Gefangenheit einer Altöttinger Katholiken-Familie bis er seine Leidenschaft für das Reisen und Schreiben entdeckte. Am Donnerstag las der inzwischen mehrfach ausgezeichnete Reiseliterat in den Trebeler Bauernstuben.

Dass Andreas Altmann einen Schatten hat, wird jedem sofort klar, der auch nur einige Sätze seiner autobiographischen Beschreibung "Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend" gelesen hat. Dieser Schatten heißt Franz Xaver Altmann, war sein Vater, Verkäufer von "Gebetsmühlen-Schrott" im Wallfahrtsort Altötting und gewalttätiges Oberhaupt einer achtköpfigen Familie, der mit Vorliebe seinen jüngeren Sohn Andreas ("der Versager") schikanierte. Irgendwann gelang es Andreas Altmann, diesen düsteren Schatten abzustreifen und zum anerkannten Reiseliteraten zu werden.

„Irgendwann musste ich mich nicht mehr selber aufessen.“ Dieser Satz von Andreas Altmann macht auf bedrückende Weise deutlich, wie sehr der Sohn unter der gewalttätigen Überdominanz des Vaters gelitten haben muss.

Bereits 1982 hatte Altmann sich in seinem Buch „Der lange Weg zum Herzen“ mit seiner Kindheit und Jugend in der „heuchlerischen Bigotterie“ von Altötting auseinandergesetzt. Fast dreißig Jahre später war mit dem "Scheiß"-buch" wie es im Piper-Verlag genannt wird eine intensive Abrechnung fällig – eine Abrechnung mit dem Vater und der katholischen Kirche. „Dieses Buch habe ich aus Rache geschrieben, jeder soll über die katholischen Verbrechen informiert sein,“ so Altmann in Trebel. Verbrechen wie sexueller, aber vor allem auch psychischer Mißbrauch.

Die Kirche braucht gläubige Schafe

Denn durch die katholische Erziehung, bei der die Bestrafung für schlechte Noten mit Stockhieben auf den Hintern („der Lieblingskörperteil religiöser Erziehungsberechtigter“) zum Alltag gehörte, wurden "die meisten nach kurzer Zeit das, was man von ihnen erwartete: Streber mit guten bis sehr guten Noten, geduckte Ja-Sager und tapfere Verleugner ihrer Gefühle, sprich, rastlos-heimliche Onanisten …, deren schlechtes Gewissen in etwa dem meinen entsprach. … Lauter artige Jungs, von denen man keinen dabei überraschte, wie er sich gegen eine Schikane wehrte, gegen die zynischen Sticheleien und giftigen Nebensätze, über die Lehrer so reichlich verfügten. Gerieten die Braven in die Schusslinie, dann standen sie auf und – nickten. Von Anfang an wurden sie auf das Modell „Schaf“ trainiert, das Lieblingsmodell der Kirche, das sie so begeistert seit 2000 Jahren züchtet.“ (Zitat aus: Das Scheißleben ….)

Zuhause wartete „Arbeitsdienst“ oder „verschärfter Arbeitsdienst“, angeordnet von einem Vater, der aus dem Krieg zwar körperlich heil, aber seelisch verwüstet zurückgekommen war. Doch damals gab es keine „posttraumatische Belastungsstörung“. „Was Vater in Polen und Russland – und es gab ein Foto von ihm in SS-Unfirom, das später verschwand – gesehen hat, als Soldat, als Täter, als Barbar, hat keiner von uns erfahren. … Er tauchte als Vierzigjährigr, genau in der Mitte seines Lebens, als Zombie aus dem Krieg wieder auf und führte genau die nächste Hälfte seines Lebens wieder Krieg. Aber diesmal diente nicht der ferne Ural als Kampfzone, sondern die eigene Familie.“

Der ganz normale Wahnsinn im Nachkriegs-Deutschland?

Altmanns minutiöse, 254 Seiten lange Abrechnung mit der Familiengeschichte, ist ein bedrückendes Dokument deutschen Nachkriegs-Wahnsinns, wie er sich millionenfach in Familien der 50er Jahre abgespielt hat - in Altötting allerdings, dem Wallfahrtsort xtausender gläubiger "katholischer Schafe" bot auch die Umgebung keine Flucht vor dem familiären Irrsinn.

Trotzdem gelang es Altmann, einen Weg aus dieser Geschundenheit zu finden. Zwar hängt vor seiner Herzkammer immer noch „ein vernageltes Tor“ - „auf ewig. Keine Rosskur, auch keine Schreibkunst wird sie aufbrechen. Auch nicht der Mensch, der bereit wäre, mich zu lieben, schaffte sie – die Tür, eben dieses Wissen der Wertlosigkeit – aus der Welt.“

Aber er fand im Reisen und im Schreiben darüber seine Leidenschaft, seine Begabung und den lange ersehnten Erfolg. Darin fand er sein „Rüstzeug“, eine „Prothese“, die „mich davor schützt, mein Leben als greinende Heulsuse zu verbringen, mich hindert, ewiglich der abwesenden Liebe von Mutter und Vater hinterherzulamentieren.“ Denn Opfer kann Altmann gar nicht ausstehen. „Ich war selbst zu lange eins.“ Er „mag die Renitenten, die „cut“ sagen und eine andere Richtung einschlagen.“

Jetzt als 63-jähriger, mit vielen Therapiejahren auf dem Buckel, kann er (beinahe) dankbar sein für „die Beulen, die er mitbekommen hat“. „Sie verhindern, dass ich satt werde und als unheilbar Gutgelaunter die Seiten vollmache. Das Wissen um die eigene Verwundbarkeit macht empfindsamer, durchlässiger, lotet rigoroser die Wirklichkeit aus. Meine Verletzungen sind der Eintrittspreis für mein Davonkommen.“

Gebrauchsanweisung für die Welt

Zuerst reiste er aus „Vergnügungssucht beziehungsweise weil man so geschunden ist, dass man verzweifelt auf der Suche nach magischen Momenten ist.“ Da er sie fand, die magischen Momente, und da er mit seinen Reportagen recht schnell Erfolg hatte, blieb er dabei und ging nicht aus der Welt, wie er es eigentlich vorhatte, sollte "auch das Schreiben nicht zum Erfolg führen". In seinem neuesten Buch "Gebrauchsanweisung für die Welt" beschreibt er einige der "magischen Momente".

Vielleicht ist es wirklich die Erfahrung der Demütigung, des ständigen Verachtet-Werdens, des Aufwachsens ohne Liebe, dafür mit umso mehr Gewalt, die Andreas Altmann die Poesie selbst in den jämmerlichsten oder zerstörtesten Gegenden oder Beziehungen entdecken lässt. Wie zum Beispiel seine Begegnung mit dem siebenjährigen Marouf, der im Nachkriegs-Afghanistan beim Zerlegen von verbeulten Benzinfässern und weggeworfenen Munitionskisten längst seine Kindheit verloren hatte.

Doch der Anblick des Jungen, der mitten in der Nacht mit einer Kerze in der Hand auf dem Reststück eines heruntergebrochenen Balkons stand, erschien Altmann wie ein Bühnenbild, „begnadet inszeniert vom Krieg, von der Armut. Mit einem wunderschönen Hauptdarsteller, mit Marouf und seinen wunderschönen afghanischen Augen. Wie ein Stern mitten auf dunklem Himmel.“

Diese Begabung, selbst im größten Chaos, in der tiefsten Zerstörung noch das Schöne zu entdecken und diese Bilder zwischen „Poesie und Irrsinn“ den Zuhause Gebliebenen in einer Sprache zu übermitteln, die mehr Literatur als Reportage ist, machte Andreas Altmann in den vergangenen Jahren zu einem der renommiertesten Reiseschriftsteller. Egal, ob Australien, Ozeanien, Nord- und Südamerika oder Asien - Andreas Altmann schafft es, den Leser diese Länder und ihre Menschen hautnah zu bringen, ohne falsches Pathos, ohne den Kitsch eines Reiseprospektes. Es sind nicht unbedingt die Sehnsuchtsorte, die er beschreibt, oft sind es auch brutale Geschichten (z.B. die blutverschmierten Catcher in Mexiko), in denen er die Magie entdeckt, doch immer sind es Etappen auf dem Weg, die Welt zu erfahren - "das Leben, die Welt, sich selbst." (Zitat Ryszard Kapuscinski)

"Gebrauchsanweisung für die Welt" will Altmann als einen Tanzkurs verstanden wissen. "Dort lernt man sich drehen und wiegen. Schritt für Schritt. Und irgendwann hat man den Takt intus, vertraut dem Körper und seiner Weisheit, pfeift auf die Regeln und - verfällt der Musik." Ob es sich allerdings wirklich lernen lässt, die Welt mit Andreas Altmanns Augen zu sehen, bleibt fraglich. Denn dazu braucht es nicht nur die physische Fähigkeit zu sehen und zu hören, sondern auch den wachen Blick, die Neugierde auf Menschen, die Vorurteilslosigkeit im Erleben, den Respekt vor der Natur oder ganz einfach die Fähigkeit, die Welt staunenden Blicks zu bereisen, um dabei die Lebenslust wiederzufinden. Und nicht zuletzt braucht es vielleicht auch die Erfahrung tiefster Verzweiflung,

Wer also die "Gabe der Verwunderung" lernen und sich auf einen abenteuerlichen Weg in die Welt - und damit ins Leben - wagen möchte, dem sei "Gebrauchsanweisung für die Welt" wärmstens empfohlen.

Foto / Angelika Blank /: Bei seiner Lesung in den Trebeler Bauernstuben gab Andreas Altmann tiefe Einblicke in sein Seelenleben preis - und überzeugte mit einer philosophischen Weisheit, die jenseits allen Pathos' wieder Lust auf "Welt" machte.




2012-11-09 ; von Angelika Blank (autor),
in Trebel

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