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Aus der katholischen Kirche in Hitzacker: Glocken nach Indien – Kreuz nach Lüneburg

Habt ihr die Glocken schon eingeschmolzen?“ So fragt ein betagter Mann, der in Hitzacker auf die seit fast drei Jahren geschlossene katholische Kirche blickt und zufällig einem Mitarbeiter der Gemeinde begegnet. Der Senior wartet nicht auf die Antwort, wendet seinen Rollator, geht die Höltystraße zurück in Richtung Altenheim. Er wirkt traurig. Hat er vielleicht in der Kirche geheiratet oder seine Enkel zur Taufe begleitet? In einer Kirche, die jetzt leer steht - völlig leer.

Nein, eingeschmolzen worden sind die beiden Glocken aus der Hitzackeraner Kirche nicht. Doch die Frage des Mannes war durchaus berechtigt, mussten doch viele Menschen vor Jahrzehnten erleben, wie Glocken dem Kriegswahnsinn zum Opfer fielen. Sowohl im Ersten Weltkrieg wurden Glocken zwangsweise aus Kirchen abmontiert und „für Kaiser und Vaterland“ eingeschmolzen für die Kanonenproduktion. Noch mehr Glocken als zur Zeit Wilhelm II. ließ die Hitler-Dikatur aus den Gotteshäusern holen und für die Rüstungsindustrie einschmelzen. Ein grässlicher Gedanke angesichts des Schillerschen Wunsches zum Schluss seiner „Glocke“: „Friede sei ihr erst Geläute“. In Hamburg, im Stadtteil Veddel, war zur Zeit des NS-Regimes ein zentraler großer Lagerplatz eingerichtet worden, um Glocken vor dem Einschmelzen zu sammeln. „Glockenfriedhof“ hieß jenes Gelände lange Zeit, 90 000 Glocken gingen von dort den Weg in den Schmelzofen, die restlichen wurden nach dem Krieg zu den jeweiligen Kirchen zurückgebracht.

Zurück nach Hitzacker: Die beiden Glocken aus dem Turm des Gotteshauses, das den Namen „Maria Königin“ trägt, werden auch künftig Menschen zu Gottesdiensten rufen sowie Freud und Leid verkünden, allerdings weit weg von der Elbestadt: Die Hitzackeraner Glocken sind bereits auf dem Weg nach Indien zu einer katholischen Kirchengemeine, die sich sehnlichst ein Geläut wünscht, ein solches aber nicht bezahlen kann.

Altar, Bänke und Maria: Alles nach Bytnica in Polen

Und das Turmkreuz, das früher golden über Hitzacker glänzte? Es ist abmontiert worden, hat ebenfalls den Landkreis verlassen, wird künftig das oekumenische Gemeindezentrum in Lüneburg-Kaltenmoor zieren. Doch nicht nur der Kirchturm in Hitzacker ist kahl. Im Inneren des Gotteshauses sieht es nicht minder trostlos aus. Nur noch die farbigen Fenster künden: Hier haben sich mal Christinnen und Christen zum Gottesdienst versammelt. Vielleicht lassen auch noch die Türen zum Beicht-Bereich ahnen: Hier haben einmal Katholiken das Bußsakrament empfangen. Die Sitzbänke sind weg, der Weihwasserbehälter, auch das große, beeindruckende Mosaikkreuz. Nur die Kette, die es trug, baumelt einsam an der Decke. Wo einst der Altar stand, sind nur noch Spuren seiner Umrisse im Bodenmarmor zu sehen. Statt der Kreuzweg-Bilder, die an den Wänden den Leidensweg Jesu Christi aufzeigten, sind dort helle Flecke. Die Statue der Muttergottes, vor der so mancher Katholik, so manche Katholikin im Gebet um Fürsprache ihre Sorgen offenbarten, ist weg. Tristesse pur. Doch das gesamte Interieur ist in gute Hände gekommen: Freiwillige Helfer und Pfarrer Dirk Sachse charterten einen Lastwagen und brachten alles, was früher in der Kirche Maria-Königin stand, rund 400 Kilometer weit nach Polen, nach Bytnica.

Jener Ort, nicht weit entfernt von Frankfurt/Oder, hieß bis zum Ende der Nazi-Dikatur „Beutnitz.“ Der dort arbeitende katholische Pfarrer betreut sechs Kirchen, die zum Teil sehr bescheiden ausgestattet sind. Wie willkommen kamen da die Geschenke aus Hitzacker, zumal sich die katholischen Kirchengemeinden in Polen aus Spenden finanzieren müssen und nicht auf einen Kirchensteuertopf vertrauen können! Auch der steinerne Altar aus Hitzacker ist nun in Bytnica, aber: Nicht komplett, denn: In den katholischen Kirchen gehört es zur Weihe der Kirche mit dazu, dass in den Altar Reliquien eingemauert werden: Überreste von Heiligen, kleine Knochen zumeist. Die im Hitzackeraner Altar aufbewahrten Reliquien - Überreste der Heiligen Victorina und des Heiligen Timotheus - sind, so ist es bei einer Profanierung üblich, aus dem Altar herausgenommen und zu Residenz des Bischofs in Hildesheim überführt worden.

Auch die Clenzer Kirche wird geschlossen

Warum die katholische Kirche Hitzacker überhaupt geschlossen und leer geräumt werden musste? Schlicht gesagt: Die Kirche hat kein Geld, um das Gotteshaus zu erhalten und zu unterhalten. „Die Kirche, die hat doch sooo viel Geld!“ Das ist zwar immer wieder zu hören, aber die Realität sieht anders aus, wenn es um flüssige Mittel geht. Zwar besitzt die katholische Kirche – hier mal betrachtet in Gestalt des Vatikans – immense Schätze, aber: Man kann der Pieta von Michelangelo – dem Marmorbild von Maria mit ihren toten Sohn Jesus – nicht eine Fingerkuppe abknipsen und damit den Heizöl-Lieferanten für die katholische Kirche in Hitzacker bezahlen. Schlicht gesagt: Es mangelt an flüssigen Mitteln, die wiederum aus den Kirchensteuern herrühren – und die Zahl der Kirchenmitglieder ist nun mal gesunken und demzufolge die Höhe der Kirchensteuereinnahmen. Verantwortlich für die Finanzen der katholischen Kirchen in Lüchow-Dannenberg ist die so genannte Ortskirche, das heißt hier: das Bistum in Hildesheim. Für so manche Kirche kann es die Unterhaltungs-Kosten einfach nicht mehr aufbringen.

Beispielsweise in Hitzacker. Für viele Gemeindemitglieder ein schmerzlicher Schritt, aber unumgänglich. So hieß es denn: Die Kirche wird „profaniert“, zu deutsch: entweiht. Das ist in Hitzacker im Rahmen eines Gottesdienstes geschehen, und es steht einer weiteren  Kirche im Kreisgebiet bevor: der katholischen Kirche St. Johannes-Maria Vianney in Clenze – spätestens 2014. Vianney: hinter diesem Namen verbirgt sich der bekannte „Heilige Pfarrer von Ars“, der als Schutzpatron der Pfarrer gilt und unzähligen Menschen als ein vortrefflicher Beichtvater viel Gutes getan haben soll. Mit Blick auf Clenze hat das Bistum auch bedenken müssen, dass der bauliche Zustand des Gebäudes sehr schlecht ist; mindestens 330 000 Euro würden die notwendigsten Restaurierungsarbeiten kosten. Lichtblick für die Katholiken im Raum Clenze: Voraussichtlich können sie ihre Heiligen Messen in der Kirche ihrer evangelischen Brüder und Schwestern feiern. Und mit dem Nein zur Clenze Kirche hat das Bistum aber auch ein Ja verbunden: Es hat festgeschrieben, dass die katholische Kirche St. Peter und Paul in Dannenberg – ebenso wie die Kirche St. Anna in Lüchow – bestehen bleibt.

Was wird aus den Gebäuden?

Was aber wird aus den Kirchengebäuden in Clenze und Hitzacker? Noch gibt’s keine Antwort. Für Hitzacker war angedacht worden, die öffentliche Bücherei im ehemaligen Gotteshaus unterzubringen, aber das war aus mehrfachen Gründen nicht zu realisieren. Aus der Gemeinde war der Vorschlag gekommen, die Kirche zum Kolumbarium auszubauen: also zu einem Gebäude, in dem Urnen mit der Asche von Verstorbenen ihren letzten Platz finden. Auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise beispielsweise sind solche Kolumbarien zu finden - in einem ruht unter anderem die berühmte Opernsängerin Maria Callas. Aber auch zum Thema „Kolumbarium in Hitzacker“ lauetete die Antwort kirchlicherseits: nicht zu realisieren.

Vorschläge für eine würdige Nutzung der Kirchengebäude sind bei der Gemeinde willkommen.

Foto: Hagen Jung

 

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2009-11-12 ; von Hagen Jung (autor),

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