Thema: kunst

Wissenskunst: Bilder einer mutierenden Welt

25 Jahre lang arbeitete die Schweizer Künstlerin für das Zoologische Institut der Universität Zürich. In dieser Zeit bereits entstanden unzählige Insekten-Bilder, die heute international in teils namhaften Museen und Galerien ausgestellt. Im Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft sind die Zeichnungen und Aquarelle Zeugnisse einer schönen und zugleich bedrohten Lebenswelt. Aufgrund ihrer Studien ist Cornelia Hesse-Honegger heute überzeugt, dass überall dort, wo sich der radioaktive Niederschlag abgesetzt hat, die Natur kontaminiert ist und Insekten geschädigt sind. Ihre erste Reise führte sie im Sommer 1987 in die vom radioaktiven Niederschlag aus Tschernobyl am stärksten betroffenen Gebiete in Schweden und im Tessin (Schweiz), um die zweite Generation von Blattwanzen nach dem Unfall zu untersuchen. 1990 erfolgte eine Reise nach Tschernobyl. Durch ihre Untersuchungen kam sie zum Schluss, dass der radioaktive Niederschlag aus Tschernobyl in Schweden und in der Schweiz morphologische Schäden bei Wanzen Heteroptera, Drosophila-Fliegen sowie Pflanzen verursacht hatte.

Verborgene Schönheiten ...

Anfänglich scheinen die Motive von Cornelia Hesse-Honeggers Aquarellen alles andere als attraktiv: Wanzen, Fliegen, Spinnen und ähnliches Getier - nicht gerade eine Ansammlung von Lieblings-Haustieren. Die Chitinpanzer und langen, haarigen Fühler erregen kaum Zuneigung, höchstens Ekel. Umso frappanter ist die Schönheit, die sie entfalten, wenn Hesse-Honegger sie in wochenlanger Kleinarbeit durch das Mikroskop ausgemessen und mit Stift und Pinsel aufs Papier gebannt hat. Viele Betrachter sehen auf diesen Aquarellen zum ersten Mal die Farbenpracht von Wanzenschildchen oder die feine Zeichnung der Unterleiber von Spinnen.

... und schockierende Deformationen

Auf die Begeisterung über die unerwartete Schönheit dieser von uns kaum wahrgenommenen Tiere folgt bei den meisten von Hesse-Honeggers farbintensiven Bildern jedoch eine zweite, schockierende Überraschung. Bei genauerem Hinsehen erschrecken ungleich lange Flügel, deformierte Brustkörbe, fehlende Gliedmaße, zugewucherte Augen. Fast alle der gemalten Insekten weisen massive morphologische Schäden auf, ihre äußere Gestalt ist auf unnatürliche Weise verändert. Die Schädigungen bei den Insekten - sie stammen größtenteils aus der Umgebung von Atomkraftwerken und Wiederaufbereitungsanlagen für nukleare Brennelemente - wurden, so die These von Cornelika Hesse-Honegger, durch künstliche radioaktive Strahlung verursacht.

Plötzlich erhalten die zunächst harmlosen Insektenbilder eine bedrohliche Dimension: Die sensiben Aquarelle und Zeichnungen der Schweizer "Wissenskünstlerin" sind Sprengstoff. Seit sie 1987 durch Mutationen geschädigte Blattwanzen malte, lösen ihre Bilder wütenden Protest und begeisterte Zustimmung aus. Engagiert in der Sache und altmeisterlich in ihrer Malmanier porträtiert sie die Defekte und Beschädigungen, welche der Mensch der Natur und damit sich selbst durch die Atomkraft zufügt. "Mir war bewusst geworden, dass die Frage der Radioaktivität und die damit verbundenen Mutationen von Lebewesen aller Art ein zentrales Problem unserer Zeit sind." Die schönen Schreckensbilder, mit denen sie dieses Problem sichtbar macht und fixiert, sorgen unter Wissenschaftlern für aufgeregte Diskussionen, bei Befürwortern der Atomenergie für Empörung, bei all denen, die sie gesehen haben, für Betroffenheit. Zugleich aber sind sie Kunststücke von Rang, die von Museen und Galerien in aller Welt immer wieder ausgestellt werden.

Von Freitag, dem 31. Oktober an, stellt Cornelia Hesse-Honegger einige ihrer schrecklich-schönen Insektenbilder in der Gartower Kunstkammer aus. Zur Eröffnung hält sie um 18.00 Uhr im Gemeindeforum der evangelischen Kirche ihren eindrücklichen Dia-Vortrag "Menetekel - morphologische Schäden bei Insekten und Pflanzen im Umkreis von Atomanlagen" und um 19.00 Uhr wird dann in der Kunstkammer die Ausstellung mit Zeichnungen und Aquarellen der Künstlerin eröffnet.

Öffnungszeiten: Freitag 16 - 19 Uhr, Samstag 10 - 14 Uhr, Sonntag 11 - 13 Uhr. Sondertermine und Führungen können unter Tel. 05846-1745 oder 05846-979482 vereinbart werden.

Vorschau: Am 27. November, 19.00 Uhr wird die Vize-Präsidentin der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, zu den Arbeiten von Cornelia Hesse-Honegger sprechen - übrigens auch über das derzeit laufende Projekt der Schweizerin im Umfeld des AKWs Gundremmingen in Bayern.

Foto: Cornelia Hesse-Honegger
2 Sichelwanzen
Nabidae aus dem Areal des Paul Scherrer Institut, Aargau, Schweiz
Thorax und Flügel sind geschädigt, Aquarell Zürich, 1990 - 1991

 

 




2008-10-27 ; von Angelika Blank (autor),

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