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Die Mädchen von Zimmer 28 L 410. Theresienstadt

„Fast gemütlich oder wie ein provisorisches Zuhause (...)“- so beschreibt Evelina Merova, die 1942, elfeinhalb jährig, mit ihren Eltern aus Prag nach Theresienstadt kam, das Zimmer 28.  Es gehörte zum Kinderheim des KZs und beherbergte auf ca. 30 qm 30 Mädchen im Alter zwischen 12 und 14 Jahren.

Ein Nachbau dieses Mädchenzimmers steht nun im Mittelpunkt einer Ausstellung in der Bibliothek der Leuphana Universität . Alltag, Ängste, Hoffnungen und Sehnsüchte der Kinder werden auf Schautafeln durch Zitate der Überlebenden, Poesiealbeneinträge und Bilder der Mädchen, die in Theresienstadt gefertigt wurden, wider gespiegelt. Grundlage des Kooperationsprojekts zwischen Frauen- und Gleichstellungsbüro der Universität, Geschichtswerkstatt Lüneburg und dem Kulturbüro des Studentenwerks Braunschweig ist das gleichnamige 2004 erschienene Buch der Autorin Hannelore Brenner-Wonschick.

Etwa 200 Gäste waren am 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, zur Ausstellungseröffnung gekommen. Im Hörsaal herrschte spürbare Betroffenheit. Ein Thema, das nicht nur die Zuhörenden, sondern auch die Vortragenden sichtlich berührt.

Schirmherr der Ausstellung, Staatssekretär Peter Uhlig vom niedersächsischen Kultusministerium, erläuterte:„Von etwa 60 Mädchen, die (...) im Zimmer 28 wohnten, haben 15 überlebt.“ Die Ausstellung zeige u.a., wie es engagierte Betreuerinnen  und Lehrkräfte vermochten, den Mädchen durch Erziehung und Bildung  Lebensmut und Perspektive zu geben, ihnen Werte zu vermitteln, die ihnen im späteren Leben Orientierung waren.

Der Präsident der Universität Lüneburg, Prof. Sascha Spoun, nahm lokalen Bezug und erinnerte an den erzwungenen Abriss der Lüneburger Synagoge, welchen die jüdische Gemeinde zu bezahlen hatte. Frau Lotze von der Stadt Lüneburg berichtete über die zwei letzten jüdischen Geschäfte der Stadt sowie die Auflösung der jüdischen Gemeinde.  Eindringliche Worte fand Prof. Dagmar Bussiek für die doppelte Diskriminierung jüdischer Frauen, die weder als Mütter noch als Akademikerinnen erwünscht waren. Frauen und Mädchen hätten auch im KZ spezifische Demütigungen wie sexuellen Missbrauch in Bordellen erlitten. Wie ihre Vorredner nahm sie Bezug zur stufenweise Entrechtung der jüdischen Bevölkerung.

Hannelore Brenner-Wonschick gab zusammen mit Frau Merova eine Einführung in die Ausstellung. Zwei Lieder aus der Kinderoper Brundibár, die im KZ Theresienstadt uraufgeführt wurde, sang der Jugendchor der Herderschule unter der Leitung von Jan Sielemann.

Beim öffentlichen Zeitzeugen- und Autoren- Gespräch am gestrigen Montag betonte Frau Merova die Bedeutung der Oper für die Mädchen: „Das hatte doch auch einen Sinn, eine Hoffnung, dass auch wir einmal Sieger werden.“ Obwohl sie an diesem Tag bereits mehrere Gespräche zum Thema in Schulklassen geführt hat, wirkt Frau Merova optimistisch.

Nach achtzehn Monaten in Theresienstadt kam sie nach Ausschwitz, wo die arbeitsunfähigen Menschen sofort nach ihrer Ankunft selektiert wurden. „Die kamen in die Gaskammer (...)“ erläuterte Frau Merova ohne Umschweife. Ein Vermerk auf den Ausweisen ihrer Familie sah nach sechs Monaten eine „SB“, eine Sonderbehandlung, d.h. Vergasung vor. „Alle waren sehr aufgeregt und erwarteten es mit Angst.“ Dann jedoch passiert etwas anderes: Es waren stattdessen medizinische Versuche unter der Leitung von Dr. Mengele geplant. Bei einer erneuten Selektion schafften es Evelina Merova und ihre Mutter, sich als arbeitsfähig auszugeben. Der Vater und ein Geschwisterkind verstarben. Die Mutter starb später an den Folgen von Unterernährung und Erschöpfung in einem Arbeitslager.

Evelina hatte Glück und entging ein zweites Mal der Vergasung, da der Transport aufgrund eines inzwischen zerbombten Bahnhofs nicht mehr zustande kam. Schließlich verbrachte sie drei Wochen in einen russischen Sanitätszug. Dort nahm sie ein Kinderarzt unter seine Fittiche, der sie im Sommer 1945 adoptierte. Von da an lebte sie in St. Petersburg, ging auf eine russische Schule, studierte und promovierte dort schließlich. Sie heiratete und bekam zwei Kinder. Mit 30 Jahren kam sie zum ersten Mal wieder nach Prag, wo sie heute lebt.

Angesprochen auf ihre Motivation, mutig immer wieder das schmerzlich Erlebte zu erzählen, meint Frau Merova: “Ich erzähle das, was die Menschen interessiert und was die, die nicht mehr da sind, nicht erzählen können.“

Auch heute noch gibt es eine enge Freundschaft zu den anderen überlebenden Frauen, die sie seit 1986 wieder trifft. Außer den Erinnerungen gäbe es allerdings auch viele andere Gesprächsthemen: „Man kann doch nicht das ganze Leben nur Zeitzeugin sein!“

Infos zum Begleitprogramm sowie Führungen für Schulklassen der Stufen 3-6 unter www.leuphana.de

Ausstellung: „Die Mädchen von Zimmer 28 L 410. Theresienstadt“
05.- 28. November 2008 im Foyer der Bibliothek der Leuphana Universität

Fotos:Christiane Hinck

1. Blick in die Ausstellung

2. Frau Evelina Merova (Zeitzeugin) und Frau Hanelore Brenner- Wonschick (Buchautorin)

 




2008-11-13 ; von Christiane Hinck (autor),

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