Auch die 15. Ausgabe der "wendland shorts" war wieder ein voller Erfolg. So international und gesellschaftspolitisch relevant war das Programm wohl noch nie ausgestaltet. Für die Filmemacher besonders wertvoll: Dieter Kosslick in der Jury.
"Mehr denn je waren die Filme in diesem Jahr politischer, radikaler,
intensiver, die stilistische Vielfalt größer, der Ausschnitt von
Welt, den wir gesehen haben, breiter," so das Resümee der Jury nach den diesjährigen wendland shorts. Gleichzeitig wurden viele "toll erzählte" Geschichten präsentiert. Wen also auszeichnen? "Wir haben versucht, beide Aspekte zu berücksichtigen. Die Preise sollen als Bekenntnis zum Erzählenden einerseits und zur politischen Wahrheitsfindung andererseits verstanden werden," heißt es in der abschließenden Jury-Mitteilung.
Dieter Kosslick, Ex-Leiter der Berlinale, formulierte es schlicht: "Eine gute Geschichte enthält ein relevantes Thema". Dieses Credo von Dieter Kosslick gilt mit Sicherheit für die beiden Siegerfilme der diesjährigen wendland-shorts. Beim Golden Storch waren sich Publikum und Jury einig: der Kurzfilm "Aysha" von Cengiz Akaygün wurde zum besten Film des Festivals gekürt. "Aysha" erzählt die Geschichte eines zehnjährigen Mädchens, die in Syriens repressiven, vorgeblich religiösen System um ihre Identität, letztendlich auch um ihre Freiheit, kämpft. Ein Thema, welches aktuell nicht nur im vorderasiatischen und arabischem Raum immer größer wird.
Den silbernen Storch für die beste Filmidee erhält die moldawische Filmemacherin Ksenia Ciuvaseva für ihren sehr persönlichen Film "Landing". Darin hat sie sich mit der Beziehung zu ihrem Vater auseinandergesetzt, ein ehemaliger moldawischer Aeroflot-Pilot, der als Frachtpilot in Afrika und dem Nahen Osten unterwegs war. Ständig unterwegs war er in der Familie nicht präsent. Der Film ist der Versuch einer Annäherung und gibt zugleich Einblicke in eine ex-sowjetiche Pilotengemeinschaft.
Außerhalb des Wettbewerbs stellten drei ukrainische FilmemacherInnen ihre Werke vor. "Diese Stunde war besonders eindringlich," so Festivalleiter Dirk Roggan - der im Übrigen sehr zufrieden mit der 15. Ausgabe seines Kurzfilmfestivals war. "Ich hoffe, wir konnten den FilmemacherInnen auf ihrem Weg etwas weiterhelfen."
Landrätin Dagmar Schulz versprach bei ihrem Besuch der wendland shorts, weitere Möglichkeiten für die ukrainischen Kreativen auszuloten - zum Beispiel bei der Produktion der "Wendland"-Krimis, deren erste Folge in diesem Herbst im ZDF starten soll.
"Der Hinterhof wird zum Fenster in die ganze Welt"
Bermuda-Shorts, Polohemd, geringelte Socken und Turnschuhe - vergessen der schwarze Mantel, der rote Schal und der Schlapphut, mit denen jahrzehntelang der Name Dieter Kosslick als Leiter der Berlinale verknüpft war.
Auf den wendland shorts bewegte sich Kosslick ganz entspannt zwischen all den jungen FilmemacherInnen, war ständig in intensive Gespräche vertieft. Natürlich wollten die Filmemacher von dem erfahrenen Filmmann mit unendlichen Kontakten seine Sicht der Dinge hören - und wertvolle Tipps für das eigene Weiterkommen hören.
Besonderes Lob von Dieter Kosslick konnte sich Cengiz Akaygün für seinen Siegerfilm "Aysha" abholen: "Er hat in aller Kürze große Themen auf die Leinwand gebracht," lobte Kosslik. "Aysha hat viele Dimensionen, absolut unaufdringich, aber absolut beeindruckend erzählt." Mit den geringsten Mitteln von etwas zu erzählen, was die größten Kräfte unserer Welt reflektiert," begeisterte auch die Jury. "Mehr kann in unseren Augen ein Kurzfilm gar nicht, zumal der Film detailreich und einfühlsam das ganze Spektrum der Gefühle und auch Gedanken abdeckt."
In "Aysha" geht es nicht vordergründig um Flucht, es wird aber an dieser "kleinen" Geschichte spürbar, wie drängend es sein kann, aus einem erdrückenden Alltag zu fliehen. Cengiz Akaygün freute sich sichtlich über dieses Lob aus berufenem
Munde. Dabei kann der kurdisch-stämmige Filmemacher selbstbewusst in die
Zukunft schauen. Für "Aysha" erhielt er bereits den ersten Preis auf
den Hofer Filmtagen, der Kurzfilm lief in Japan und Australien sowie
aktuell in den USA auf den Festivals, deren Sieger mit einer
Oscar-Nominierung rechnen können.
Ein weiterer Preis, der goldene Zollstock, ging an den Film "Handbook" von dem in Minsk (Weißrussland) geborenen Filmemacher Pavel Mozhar,
in dem er Foltermethoden aus Weißrussland analysiert. "Auf kleinstem
Raum führt uns Pavel
Mozhar und sein Team in „Handbook“ vor Augen, wie die
Folterkeller der großen Welt funktionieren," so die Jurybegründung für
die Preisvergabe. Mozhar hatte bei seinen Recherchen entdeckt, dass auf
offizieller staatlicher Seite - nicht nur in Weißrussland - systematisch
darüber nachgedacht wird, wie man Menschen brechen kann.
Dieter Kosslick: "Ob groß ob klein - jedes Festival ist aufregend"
Schon vor Jahren wollte Dieter Kosslick an den wendland shorts teilnehmen. Doch nicht nur Corona verhinderte seinen Besuch. Dieses Jahr war es nun endlich soweit: der ehemalige Festivalleiter der Berlinale war Mitglied der wendland-shorts-Jury.
Die Frage, wie es für ihn ist, bei einem so kleinen Kurzfilmfestival in der Jury zu sitzen. beantwortete Kosslick mit einem gelassenen Schulterzucken: "Ob großes Festival oder kleines - es ist immer aufregend, es gibt immer Pannen und es gibt immer eine Differenz zwischen Publikums- und Jurygeschmack," so Kosslick im Gespräch mit wnet. Kein Protzen mit der eigenen Prominenz, kein "von oben herab" - Dieter Kosslick war einfach da und ein Teil des ganzen Geschehens. Mit Humor, klugen Statements, vielen Anekdoten und zahlreichen Tipps fürs eigene Weiterkommen belebte er die wendland shorts.
Es stellte sich heraus, dass die Verbindung von Dieter Kosslick zum Wendland schon jahrzehntelang besteht. Unter anderem war es der Gorleben-Widerstand, der Kosslick in den Landkreis gebracht hatte. "'Bohrloch 1004' ist ein Teil meiner Geschichte, ist ein großes Thema für mich," erinnerte sich Kosslick, der seine Energie lange auch gegen das AKW Brokdorf eingesetzt hatte - unter anderem als Redenschreiber im Hamburger Rathaus, bevor er nach einigen Umwegen 1983 Geschäftsführer des Filmbüros Hamburg wurde.
Eine Filmförderung aufzubauen, die es ermöglicht, unabhängige Filme produzieren zu können, die weder politisch noch wirtschaftlich von Interessengruppen abhängig sind, ist ein weiteres Bindeglied zum Wendland: die Wendländische Filmkooperative ist seit Jahrzehnten ein Bündnispartner in diesem Anliegen.
Dieter Kosslick jedenfalls hat angekündigt, "auf jeden Fall" wiederzukommen.