Für Gerechtigkeit, Umweltschutz und gegen Welthunger: der Kritische Agrarbericht 2013 ist da

Von "Erfolg" und "Zuversicht in eine Zukunftsbranche" sprach Bauernverbands-Präsident Joachim Rukwied zum Start der Grünen Woche. 3,6 % mehr Umsätze hätten die Landwirte vor allem durch Exporte gemacht. Doch gerade die Exportorientierung der europäischen Agrarpolitik steht bei den Herausgebern des "Kritischen Agrarberichts 2013" im Mittelpunkt der Kritik. 

Und nicht nur das: mit ihrer Forderung nach mehr Grünflächenvorgaben, der Abkehr von Direktzahlungen oder dem Vorschlag, landwirtschaftliche Betriebe nicht länger zu fördern, die ihre Nutztiere nicht dem "Tierwohl" (ein Begriff, der in den derzeitigen EU-Förderrichtlinien nicht enthalten ist, aber nach den Vorstellungen der Agrarkritiker dringend aufgenommen werden müsste) entsprechend halten, befinden sich die rund 60 Autoren des "Kritischen Agrarberichts 2013" in krassem Gegensatz zu Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner und DBV-Präsident Joachim Rudwiek.

Auch ihre Forderung nach mehr Gerechtigkeit in der Förderpolitik stößt bei der deutschen Agrarlobby nicht gerade auf Gegenliebe. "Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass öffentliche Gelder nicht für die Schädigung von Natur und Umwelt und auch nicht für die Begünstigung einiger weniger verwendet werden, sondern allein für die Leistungen der Landwirtschaft, die der Allgemeinheit und dem Gemeinwohl wieder zugutekommen." Mit anderen Worten: Die Koppelung der Direktzahlungen an die Flächengröße und nicht an die Produktion soll zugunsten differenzierter Förderprogramme, die sich an Leistung und Gemeinnutz orientieren, abgeschafft werden - ebenfalls eine Forderung, die konventionell Landwirten und Agrar-Funktionäre vor Wut schäumen lässt.  

Pünktlich zum Start der Grünen Woche stellte das Agrarbündnis in Berlin ihre neueste Ausgabe des Kritischen Berichts zur Lage der Landwirtschaft vor - dieses Jahr mit dem Schwerpunktthema EU-Agrarreform

Durch die Bank weg sind die Autoren Experten für Agrarpolitische Themen wie z.B. Benny Härlin, der sich seit mittlerweile Jahrzehnten gegen grüne Gentechnik und für kleinbäuerliches Wirtschaften einsetzt. In seinem Beitrag plädiert der ehemalige radikal-Redakteur und (Mit)Gründer von Netzwerk Selbsthilfe für mehr "Ernährungs-Souveränität" = das Recht von Menschen und Staaten auf demokratische Weise ihre eigene Agrar- und Ernährungspolitik zu bestimmen.  

Oder Bernd Voß - als Diplom-Ingenieur, selbständiger Landwirt und Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft setzt er sich im Agrarbericht mit den "ungenutzten Potenzialen" des ländlichen Raums auseinenader. Nach Voß' Ansicht, liegen diese in einer "Energiewende mit den Bauern und Bäuerinnen".

Dies sind nur zwei Beispiele von rund 60 kompetenten Autoren, die dafür sorgen, dass auch der "Kritische Agrarbericht 2013" eine 304 Seiten starke Pflichtlektüre für alle ist, die sich über den aktuellen (kritischen) Diskussionsstand in Sachen Agrarpolitik einen tiefgreifenden Überblick verschaffen wollen. 

In elf Kapiteln beschäftigt sich der Agrarbericht mit den unterschiedlichen Aspekten europäischer Landwirtschaft: 

I. Agrarpolitik und soziale Lage

Hier finden sich Referate zur Energiewende im ländlichen Raum ebenso wie über die Zunahme von Patenten auf konventionelle Züchtungen oder Vorschläge für eine gezielte Unterstützung junger Landwirte. Einig sind sich die Autoren darin, dass die derzeitige Förderpolitik der EU nicht zu einer gerechten Unterstützung bedürftiger Landwirte beiträgt. Wie formulierte es Martin Häusling, grüner EU-Agrarexperte im Europaparlament: "Öffentliches Geld sollte es für öffentliche Aufgaben geben und nicht für den reinen Besitz von Flächen."

Die Förderexperten  Prof. Dr. Onno Poppinga und Dr. Frieder Thomas vom Institut für ländliche Entwicklung e.V. formulieren deshalb Argumente für "eine Bindung der EU-Direktzahlungen an den Faktor Arbeit".

Warum die aktuell diskutierte Reform bereits seit Jahren in der Diskussionsschleife hängen bleibt, wird durch den Beitrag von Ulrich Jasper (stellv. Geschäftsführer der AbL) "EU-Agrarpolitik" im Kraftfeld der Interessen" überdeutlich.

II. Welthandel und Ernährung

Milch und Fleisch aus der EU werden immer mehr zu Exportschlagern. In Deutschland bringt das die Landwirte zum Jubeln - die Folgen für Entwicklungsländer beschreibt Berit Thomsen in ihrem Beitrag "Exportschlager Hunger". Denn durch die Billigexporte in Entwicklungsländer werden die dortigen Märkte zerstört. Die Folge: Absatzschwierigkeiten, fehlende Einkommen, letztendlich Hunger.

Deswegen soll sich die Europäische Agrarpolitik von der Exportorientierung abkehren, sich am Bedarf ausrichten und den Fokus auf die Sicherung eigener Ressourcen richten, so die Schlussfolgerung der Autoren.

III. ökologischer Landbau

Biologisch produzierte Produkte sind längst zum Massenartikel geworden. "Bio"-Orangen liegen in den Regalen der Discounter ebenso wie im Naturkostladen. In der Folge hat sich auch die Biobranche mit schwarzen Schafen und Skandalen auseinander zu setzen.

Deswegen muss sich auch die Biobranche mit effektiveren Kontrollmechanismen, transparenten Zertifizierungskriterien sowie einer besseren Kommunikation mit der Öffentlichkeit beschäftigen, um den Ökolandbau zu stärken. 

IV. Produktion und Markt

Vor allem marktpolitische Themen wie die Entwicklung des Schweinemarktes oder der Zusammenhang zwischen Bodenmarkt, Investoren und demografischem Wandel in Ostdeutschland sind Schwerpunktthemen des vierten Kapitels des Agrarberichts.

V. + VI. Regionalentwicklung / Natur und Umwelt

Vor allem durch die Umschichtung der EU-Fördermilliarden könnten die regionale Entwicklung oder regionstypische Natur- und Umweltthemen gezielter gestützt werden - darin sind sich die Autoren der Themenbeiträge in diesen Kapiteln einig. Vor allem über die "2. Säule" der EU-Agrarfördergelder, hier sind Förderprogramme wie z. B. LEADER oder EFRE gemeint, sind Kommunen oder private regionale Akteure in der Lage, auch jenseits landwirtschaftlicher Betriebe konkrete Projekte zur Förderung der Regionalentwicklung, der Infrastruktur oder zum Schutz von Natur und Umwelt zu initiieren oder zu unterstützen. 

VII. Der Wald - eierlegende Wollmilchsau?

Mit vier Referaten versucht der Kritische Agrarbericht eine Standortbestimmung zum deutschen Lieblingskind, dem "Wald". Die Anprüche an die immerhin rund 31 % Staatsfläche (11.075.798 ha), die in Deutschland als "Wald" gelten, werden immer komplexer: Wälder sind Ökosysteme ebenso wie Luftverbesserer, Wirtschaftsräume, Nahrungslieferanten oder Sicht- und Lärmschutz - und sollen nicht zuletzt auch Erholungsräume für Freizeit und Vergnügen sein.

Darüber hinaus gehören Wälder - nicht nur in Deutschland - zum archaischen Kulturerbe und sind in der Volksseele vielfach mit mythisch überhöhten Bildern tief verankert. 

Aber auch der Wald bleibt von neuen Nutzungsbegierdne nicht verschont - wie zum Beispiel die Errichtung von Windparks im Wald . Landauf landaub entstehen immer mehr Kampfzonen rund um diese Projekte zur regionalen Energiegewinnung. 

Prof. Dr. Hubert Weiger (Vorsitzender des BUND) und Helmut Röscheisen (Generalsekretär des Dt. Naturschutzrings) sprechen sich in ihrem Beitrag "Das Rauschen im Walde" nicht grundsätzlich gegen die Nutzung von Windenergie im Wald aus - sehen aber auch deutliche Grenzen im Ausbau. "Der Schutz anderer wichtiger Umweltbelange muss gesichert bleiben", so das Fazit der beiden Naturschützer. 

VIII. + IX. Tierschutz + Gentechnik

Was den Tierschutz angeht, schreibt zum Beispiel Christoph Maisack (stellv. Landestierschutz-Beauftragter im Ministerium für den ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg), den Verhandlungsführern bei der Reform der EU-Agrarpolitik ins Arbeitsbuch, dass sie sich ihrer Verantwortung für den Tierschutz bewusst sein mögen. Nach einen Vorstellungen soll z.B. die EU-Verordnung über die Direktzahlungen nicht nur "Greening" vorschreiben, sondern auch Animal Welfaring. Konkret würde das bedeuten, dass landwirtschaftliche Betriebe, die Anbinde-, Käfig- oder Vollspaltenbodenhaltungen mit entsprechend geringem Platzangebot betreiben, mittelfristig keine Direktzahlungen mehr erhalten werden.

Über undurchsichtige Entscheidungswege bei der Zulassung von Gentechnik-Pflanzen in Europa sowie Reformbedarf bei der Euorpäischen Lebensmittelbehrde EFSA, der "Spielwiese der Gen-Industrie" informieren die Beiträge zur Gentechnik. 

X. + XI. Agrarkultur und Ernährungskultur

Last not least beschäftigen sich zwei Kapitel mit kulturellen Fragen rings um den Agrar-/Ernährungssektor. Eine kleine Zeitreise entführt in die Geschichte des Nachhaltigkeitsbegriffs, zwei Artikel stellen Initiativen gegen die Verschwendung von Lebensmitteln vor. 

Mit regionalen Produkten im Spannungsfeld zwischen Basisarbeit, Marketing und Politikstrategien sowie neuen Ansätzen, regionale Produkte glaubwürdiger zu machen, beschäftigen sich die letzten Artikel im Agrarbericht.

Fazit:

Wer sich einen intensiven Überblick über die aktuelle kritische Diskussion deutscher und europäischer Agrarpolitik verschaffen will (oder muss), sollte sich unbedingt den "Kritischen Agrarbericht 2013" besorgen. Auf den Internetseiten des Agrarbündnisses gibt es weitere Informationen - ab Mai steht hier auch eine Onlineversion des Berichts zum Download bereit. 

Foto / WerWil : Landwirtschaftliche Betriebe, die ihr Vieh in Anbindeställe halten, sollen nach dem Willen der Agrarkritiker zukünftig keine Direktzahlungen mehr erhalten.




Fotos

2013-01-20 ; von Angelika Blank (autor), pm (autor),

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