Mehrere Stunden tagte am Donnerstag der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zu den Umständen der Standortentscheidung für den Salzstock Gorleben - Bundeskanzlerin Angela Merkel musste sich den Fragen der Abgeordneten stellen. Hier ein Bericht von Dieter Schaarschmidt, Mitarbeiter der Fraktion der LINKE im Bundestag.
Gelassen lächelnd betritt die Kanzlerin den Untersuchungsausschuss Saal des Bundestages, begrüßt alle Abgeordneten per Handschlag, bevor sie sich im Blitzlichtgewitter der Journalisten auf dem Zeugenplatz niederlässt.
Ein großer Vorwurf schwebt an diesem Tag im Raum, Dr. Angela Merkel habe in ihrer Zeit als Umweltministerin 1995 gelogen, als sie die Studie über Ersatzstandorte für die Lagerung hochradioaktiven Atommülls der Öffentlichkeit vorgestellt hat.
An diesem Tag zeigt sich die Opposition aus SPD, DIE LINKE und Grünen geschlossen und nimmt Merkel ins Kreuzverhör. Ute Vogt, Abgeordnete der SPD bringt Merkel gleich zu Beginn der Oppositionsabgeordneten in Bedrängnis. Merkel habe nicht nur am 18. Juli 1995 die Unwahrheit gesagt, sondern auch nachdem sie öffentlich in der Frankfurter Rundschau eine Rüge durch die BGR (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe) einstecken musste, weil sie die BGR falsch zitiert hatte, wiederholte sie 5 Wochen später ihre Aussage bei der Vorstellung der Studie.
Studie vorstellen und an Gorleben festhalten ...
Auf die Frage von Ute Vogt, warum sie (Merkel) gesagt habe, dass Gorleben besser sei, als die anderen Standorte, windet sich Merkel raus, indem sie sagt: „Wenn keiner Angst gehabt hätte, dass es an anderen Standorten los geht, hätte ich Gorleben gar nicht erwähnen brauchen.“
Merkel war zwar damals klar, dass Gorleben nicht Bestandteil der Studie war, aber der Druck aus den Ländern war groß und ihr eigener Wunsch, an Gorleben als einzigem Erkundungsstandort festzuhalten ebenso. Wie Merkel später erklärte: „Meine komplizierte politische Aufgabe war, die Studie vorzustellen und an Gorleben festzuhalten...“
Den Vorwurf, die Unwahrheit gesagt zu haben, weist sie jedoch entschieden zurück. Doch so einfach will sich die Opposition nicht abspeisen lassen. Zur großen Überraschung der Regierungsfraktionen und von Merkel selbst, hatte die Opposition ein Tondokument aus dieser Zeit gefunden, in dem die damalige Umweltministerin genau die unzulässige Verknüpfung der Studie über Ersatzstandorte mit dem gewünschten Weiterbau in Gorleben verbunden hat.
Dorothée Menzner, Abgeordnete der LINKEN lässt den Radiobeitrag, der am 18.07.1995 im Südwestfunk gesendet wurde, im Saal des Untersuchungsausschusses vorspielen. Wörtlich heißt es dort von Merkel: „Das Gutachten werden wir vorstellen, wenn es fertig ist. Das Wichtigste aus diesem Gutachten ist aber, dass es keinen Standort in der Bundesrepublik Deutschland gibt, der besser geeignet ist, als der derzeitige Standort Gorleben, und dass deshalb dieses Gutachten aus geologischer Sicht zu der Meinung kommt, dass man Gorleben weiter erkunden sollte, aber jetzt keine Erkundung von neuen Lagerstätten vornehmen sollte, weil wir keine Anhaltspunkte haben. Und genau deshalb hatten wir ja einmal das Gutachten in Auftrag gegeben, dass wir keinen Anhaltspunkt haben, dass Gorleben nicht geeignet ist, oder dass es Standorte gibt, die besser geeignet wären als Gorleben.“
BGR-Studie berücksichtigte Gorleben nicht
Einen weiterer Grund, weshalb die Situation 1995 für die damalige Bundesumweltministerin nicht leicht war, erfuhr Ute Vogt bei ihrer Frage nach der „Presse Offensiv-Strategie“, die Merkel damals gewählt hatte. Niedersachsen, mit seiner damaligen Umweltministerin Monika Griefhahn, praktizierte einen ausstiegsorientierten Vollzug und blockierte bei jeder Gelegenheit: „Niedersachsen wollte damals schon auf Grund der Studie auf Gorleben verzichten. Dem musste ich mich mit aller Macht entgegen stellen.“
Natürlich ging es in den fünf Stunden Kanzlerbefragung auch um viele andere Gorleben-Themen, wie der geplanten Enteignung der privaten Salzrechte, der Änderung des Erkundungskonzeptes mit drastischer Verkleinerung des Bereiches und um die Konsensgespräche mit Politik und Energieversorgern.
Doch von der größten Tragweite schien der Umgang mit den Studien über die Ersatzstandorte zu sein, denn wenn die damalige Umweltministerin damals die Studien ernst genommen hätte, wäre sie von Gorleben abgerückt und hätte damals schon ein vergleichendes Suchverfahren mit Bürgerbeteiligung von Anfang an starten können. 17 verlorene Jahre in der Entsorgung wären gewonnen worden und viele Millionen Euro eingespart worden.
Hintergründe:
Schon im Vorfeld ihrer Veröffentlichung sorgen zwei Studien der BGR für Unruhe im ganzen Land. Die eine untersucht potentiell geeignete Endlagerstandorte im Granitgestein, was vor allem in Süddeutschland für Unmut sogt. Die zweite Studie untersucht erneut Salzstöcke in Norddeutschland, diesmal erstmals auch Standorte in den Neuen Ländern. Hier mit dem Wunsch verbunden, Gorleben dabei nicht mit zu vergleichen.
Die für die Salzstudie angewendeten Kriterien sind für jeden Geologen nachvollziehbar und heute noch gültig. Sie sind auch leicht auf jeden weiteren Salzstock anwendbar. Es wird daher auch schnell deutlich, dass Gorleben bei einem Vergleich nicht gut abschneiden würde.
Da die weitere Erkundung von Gorleben politisch erwünscht ist, wird im Vorfeld der Veröffentlichung besprochen, den unangenehmen Nachfragen der Journalisten mit einer „Offensivstrategie“ zu begegnen. Damit die Frage, wie würde denn Gorleben bei einem Vergleich abschneiden, erst gar nicht gestellt wird, kommt die Antwort gleich in die Überschrift. „Gorleben bleibt 1. Wahl“.
Diese Übertreibung geht dann selbst der sonst so Gorlebenfreundlichen BGR zu weit, sie verwahrt sich gegenüber der Frankfurter Rundschau am 21. Juli 1995 unter der Überschrift: „Ministerin muß Rüge einstecken“, mit den Worten: Die Ministerin hatte am Dienstag in einer Pressemitteilung behauptet, die Bundesanstalt habe Untersuchungen über mögliche Standorte für Atommüllendlager vorgenommen und sein zu folgendem Ergebnis gelangt: „Es bestehe keine Notwendigkeit, Ersatzstandorte zum Salzstock Gorleben zu untersuchen.“ Alle untersuchten Ersatzstandorte hätten sich „entweder als nicht geeignet oder jedenfalls weniger geeignet als Gorleben herausgestellt“. Der Sprecher der BGR, Arndt Müller, sagte der FR am Donnerstag:„Dies ist kein Text aus unserem Haus.“ Die BGR habe lediglich Karten, Publikationen und Akten über verschiedene Salzstöcke ausgewertet; ein Vergleich mit dem Gorlebener Salzstock sei nicht das Thema dieser Untersuchung gewesen.“...
Trotz dieser Rüge wiederholt Merkel bei der Vorstellung der Studien am 28.08.1995 vor der Presse ihre Offensivstrategie, die auch von mindestens 13 Zeitungen so verstanden und wiedergegeben wird. Wortlaut der PM: Bundesumweltministerin Merkel stellt Studie zu Ersatzstandorten für nukleare Endlager vor . Merkel: Salzstock Gorleben bleibt erste Wahl. Und im Text...: „Die Untersuchungsergebnisse der BGR zeigen für mich, dass es keinen Grund gibt nach Ersatzstandorten zu suchen. Gorleben bleibt erste Wahl,“ erklärte Ministerin Merkel.
Die Geologen Appel und Kreusch stellen im Untersuchungsausschuss fest, dass Gorleben, wenn es mit den gleichen Kriterien beurteilt worden wäre, wie die anderen 41 Salzstöcke, nicht als untersuchungswürdig eingestuft worden wäre. Gorleben wäre sogar nicht unter die letzten 14 Standorte gekommen.
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Dieter Schaarschmidt lebt im Wendland, hat sich als Geschäftsführer verschiedener Wind- und Solar-Bürgerbeteiligungsgesellschaften einen Namen als Fachmann für Erneuerbare Energien gemacht und arbeitet seit einigen Jahren für die Fraktion der LINKE im Bundestag als Fachreferent.
Foto: Dr. Angela Merkel vor ihrer Zeugenvernehmung im Gorleben Untersuchungsausschuss des Bundestages