Energiewirtschaft beteiligte sich an Gorleben-Geldern

Bei Recherchen zu einem anderen Thema stieß Karl Friedrich Kassel auf Unterlagen, die ihn aufhorchen ließen: nach einem alten Vertrag hatte die DWK 200 Mio. DM als Finanzierungsbeteiligung für ein Nukleares Entsorgungszentrum zugesagt. Für Atomkraftgegner ein eindeutiger Fall von „Schmierung“...

Karl Friedrich Kassel, der den Vorgang für die Elbe-Jeetzel-Zeitung beschrieben hat, mag keine Bewertung der Verträge abgeben: „Im Sinne einer Aufklärung der gesamten Prozesse rund um die Standortbenennung Gorlebens ist es interessant, wer mit wem wann welche Verträge abgeschlossen hat und woher die Milliardenschweren Gorleben-Gelder tatsächlich kommen. Ob die finanzielle Beteiligung der Energiewirtschaft an Zusatzkosten bei der Entwicklung eines Nuklearen Entsorgungszentrums (NEZ) allerdings als Korruption zu werten ist, das muss juristisch oder politisch geklärt werden.“

Juristisch ist die Angelegenheit schon vor langer Zeit ad acta gelegt worden. Politisch bleibt die Frage offen, ob und unter welchen Umständen Mitfinanzierungen durch die Energiewirtschaft als legitim gelten können. „Es stellt sich schon die Frage, wie transparent, wie neutral und wie objektiv politische Entscheidungen aussehen, die an solche Geldströme gebunden sind“, fragt sich nicht nur Karl Kassel. "Aber das ist eine längere Diskussion".

Der Journalist hatte offizielle Akten, Schriftverkehr und Protokolle aus den Jahren 1978 und 1979 untersucht und stieß dabei auf die umstrittenen Vorgänge.

Nach Karl Kassels Recherchen hatte der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht darauf gedrängt, dass die Bundesregierung „endlich“ eine finanzielle Beteiligung am Endlagerprojekt Gorleben zusagt. „Noch in einem Gespräch mit den damaligen Bundesministern Baum und Lambsdorff hatte Albrecht 1978 das Treffen mit der Frage eröffnet, ob es keine andere Lösung als Gorleben gebe“, so Karl Kassel. "Doch das wurde ihm verneint."

SPD-Ministerpräsident Kubel hatte NEZ zugesagt

Auch die Aussage des Historikers Dr. Anselm Tiggemann vor dem Asse-Untersuchungsausschuss im November 2009 belegt die These, dass Albrecht wenig bis kein Interesse an einem „Endlagerstandort Gorleben“ hatte. Tiggemann hatte in Hannover ausgesagt, dass Albrechts Vorgänger, SPD-Ministerpräsident Kubel, bereits 1976 der Bundesregierung zugesagt hatte, in Niedersachsen ein NEZ einzurichten. Diese – offensichtlich ungeliebte – Zusage hatte Albrecht übernehmen müssen. In seiner Amtszeit drängte Albrecht immer wieder darauf, dass die Bundesregierung konkrete Zusagen über die Mitfinanzierung eines NEZ macht. Zwischenzeitlich hatte der Ministerpräsident sogar gedroht, „Gorleben platzen zu lassen“, wenn der Bund nicht endlich die Finanzierungsfrage klären würde.

1978 war es dann soweit: der Bund schloss mit dem Land Niedersachsen einen Vertrag über die Zahlung von 200 Mio. DM, zahlbar in vier Jahresraten, als Finanzierungsbeteiligung an den Zusatzkosten für ein Nukleares Entsorgungszentrum. Empfänger sollten das Land Niedersachsen sowie der Landkreis Lüchow-Dannenberg sowie betroffene Gemeinden sein. Im Laufe der Jahre sind von der Bundesregierung Milliardensummen als „Ausgleichszahlungen“ für die Belastung durch den geplanten Endlagerstandort Gorleben an die Landesregierung überwiesen worden. 200 Mio. DM für die Zusatzkosten eines NEZ waren darin enthalten.

Über diese sogenannten „Gorleben-Gelder“ gab es immer wieder Auseinandersetzungen im Landkreis. Den Atomkraftgegnern waren sie „Schmiergeld“, mit dem Wohlverhalten erkauft werden sollte. Für Politik und Betreiber waren es „Ausgleichszahlungen“, die den Landkreis und die betroffenen Kommunen für die Zusatzbelastungen entschädigen sollten.

DWK sollte sich an Finanzierung beteiligen

Was bisher niemand wußte und erst jetzt durch die Recherchearbeit von Karl Kassel entdeckt wurde: parallel zum Finanzierungsvertrag zwischen Bund und Land hatte die damalige Bundesregierung 1978 einen Vertrag mit der Deutschen Gesellschaft zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen (DWK), abgeschlossen. Ebenfalls über die Summe von 200 Mio. DM, ebenfalls mit der Klausel „zahlbar in vier Jahresraten und ebenfalls mit der Vereinbarung, dass diese Gelder als Mitfinanzierung der Zusatzkosten für ein NEZ" gelten sollten. Dieser Vertrag enthielt die Klausel, dass man „Im Falle der Nicht-Errichtung eines Nuklearen Entsorgungszentrums … die Verteilung der Kosten „einvernehmlich abrechnen“ wolle. Doch schon im Mai 1979 erklärte Ministerpräsident Ernst Albrecht die Umsetzung eines NEZ in Gorleben für „politisch nicht durchsetzbar“.

Unklar bleibt, wieviel von den ursprünglich vereinbarten 200 Mio. DM von der DWK bzw. ihrer Nachfolgegesellschaft tatsächlich an die Landesregierung überwiesen worden sind. „Folgt man den Buchstaben des Vertrages, so hätte mindestens die erste Jahresrate in Höhe von 50 Mio. DM an die Landesregierung gezahlt werden müssen“, so Karl Kassel. Es ist also anzunehmen, dass die Energiewirtschaft sich mit mindestens 50 Mio. DM an den sogenannten „Gorleben-Geldern“ beteiligt hat.

Beteiligung der Energiewirtschaft rechtens?

Für die Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) und die Linken im Landtag ist die Sache klar: „Die Atomwirtschaft erkaufte sich Gorleben“ heißt es in einer Presseerklärung der BI. Die Linke im Landtag sieht als belegt an, dass die Energiewirtschaft die Region Gorleben von Anfang an „schmierte“. Ihr umweltpolitischer Sprecher Kurt Herzog vermutet sogar, dass eine möglicherweise zu erwartende millionenschwere Rückzahlung der Grund sein könnte, warum die Landesregierung Gorleben schnellstens zum Endlager machen will.

Andererseits fordert auch die LINKE – neben anderen atomkritischen Parteien und Verbänden – immer wieder, dass die Energiewirtschaft sich nach dem „Verursacherprinzip“ an den Kosten für die Endlagerung beteiligen soll.

Insofern bieten die jetzt von Karl Kassel entdeckten Unterlagen auf jeden Fall erneut Anlass, finanzielle Vereinbarungen zwischen Wirtschaft und Politik unter dem Aspekt der Unabhängigkeit von politischen Entscheidungen zu diskutieren.

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2010-01-07 ; von Angelika Blank (autor),

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