Mehr Biosprit - weniger Hunger!?

Seit einiger Zeit trägt der weltweite Ausbau der Biosprit-Produktion zu einer Erhöhung der Lebensmittelpreise bei und verschärft damit die Ernährungskrise auf der Welt. Schwere Kritik für eine Energieform, deren Protagonisten genau das Gegenteil wollen: den Landwirten eine neue Perspektive bieten und gleichzeitig den Verkehr umweltfreundlicher zu machen. Wie sehen die Energie-Landwirte in der Region das Problem?

Die Kritik am Ausbau der Biosprit-Produktion ist nicht neu: bereits 2007 warnten Experten vor einer drohenden Ernährungskrise, deren erste Auswirkungen in Mexiko zu spüren waren. Dort hatte sich Anfang letzten Jahres der Preis für Tortillas schlichtweg verdreifacht. 1,36 Dollar kostete ein Kilo der Maisfladen – für die zumeist arme Bevölkerung in Mexiko viel Geld.  Durch die massive Nachfrage von Mais für die Biosprit-Produktion waren die Preise für Mais, aber auch für andere Energiepflanzen wie Soja oder Raps rapide in die Höhe geschnellt.

Für Horst Seide, Vorstandsvorsitzender von Region Aktiv Wendland-Elbetal e.V., der jahrelang den Umstieg auf Energiepflanzen-Produktion auch finanziell unterstützt hat, kein Grund, jetzt umzudenken. Er sieht in der Ernährungskrise komplexere Hintergründe: „Jahrzehntelang waren in Europa zuviel Lebensmittel da, die günstig an die Länder der Dritten Welt abgegeben wurden. Dadurch wurden dort einheimische Agrarstrukturen zerstört. Viele ehemalige Landwirte leben heute in Slums, ohne Land, ohne Einkommen.“

Ausserdem sei es eher der hohe Fleischkonsum der westlichen Gesellschaften, der den Hunger produziere. Immerhin seien 70 % der europäischen Flächen mit Futtermitteln für Schlachttiere belegt. Dabei benötige man siebenmal soviel Fläche, um Futtermittel für Tiere herzustellen, als wenn diese Flächen für andere Nahrungsmittel oder Energiepflanzen genutzt würden. „Fleischverzehr produziert Hunger“, so Seide.

Da seien hohe Preise ein gutes Mittel zur Problemlösung. Denn wenn für Nahrungsmittel ein nennenswerter Preis zu erzielen sei, würde auch wieder mehr produziert. So könnten eigentlich auch die regionalen Landwirtschaften in den Dritte-Welt-Ländern von den höheren Preisen für Mais und Soja profitieren, aber: „Jetzt, wo der Markt wieder ausgeglichen ist, da z. B. Australien Nahrungsmittel nicht mehr ex-, sondern importiert, haben die ehemaligen Bauern nicht einmal mehr die Chance, wieder Landwirtschaft zu betreiben, da ihre Ackerflächen vom Großkapital aufgekauft worden waren. Höchstens als Leibeigene können sie noch auf ihre ehemals eigenen Flächen zurück“, so Horst Seide. Und das Großkapital orientiere sich bei seinen Produktionsentscheidungen daran, mit welchen Bepflanzungen der höchste Gewinn zu erzielen sei – und das seien derzeit die Energiepflanzen.

Die Ethanolproduktion aus Getreide hält Horst Seide allerdings für Schwachsinn. Nicht nur, weil Getreide eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel sei, sondern auch weil aus Getreide gewonnenes Ethanol eine negative Energiebilanz aufzuweisen habe. Es müsse viel mehr Energie aufgewendet werden, um Ethanol herzustellen, als am Ende dabei heraus komme. Deswegen seien inzwischen auch viele Ethanolfabriken pleite gegangen. Mais hingegen, aus dem z.B. Biodiesel hergestellt würde, weise eine deutliche positive Energiebilanz auf.

Horst Seide propagiert weiterhin die Treibstoffherstellung aus nachwachsenden Rohstoffen, allerdings legt er dabei großen Wert darauf, die regionalen Kreisläufe zu optimieren, denn „nur so unterlaufen wir das System der Weltwirtschaft“. 

Für Henning Harms, der als Kreislandwirt eher die konventionellen Landwirte vertritt, stellt sich die Situation ein wenig anders dar. Auch er empfiehlt schon noch den Umstieg auf Energie-Landwirtschaft. Aber inzwischen müsse man komplexer planen, um eine Biogas-Anlage noch in die Rentabilität zu bringen. „Die Euphorie ist weg“, so Henning Harms. „Im Ausbau der Anlagen herrscht bei den Landwirten derzeit Stagnation.“ Durch den Boom auf dem Energiepflanzenmarkt seien auch die Preise für Rohstoffe gestiegen, so dass ein Landwirt, der heute eine Biogas-Anlage plane, mehrere Nutzungsmöglichkeiten mit einkalkulieren müsse. Für Harms ist die Energiepflanzen-Produktion nur ein Marktsegment neben anderen.

Für Deutschland macht sich Harms keine Sorgen, dass in Zukunft keine Nahrungsmittel mehr angebaut werden. Derzeit seien es rund 2 Mio ha Ackerfläche, die mit nachwachsenden Rohstoffen belegt sind, das entspreche knapp 10 % der gesamten Agrarfläche Deutschland. Darin seien allerdings auch Stärkekartoffeln, Raps etc. enthalten.

Allerdings entferne sich der durchschnittliche Landwirt immer mehr vom Verbraucher. Kaum noch ein Bauer habe direkten Kontakt zum Endabnehmer. Großhandel und Börsennotierungen bestimmten, zu welchem Preis welche Lebensmittel an den Verbraucher gebracht werden. Darin sieht Harms ein großes Übel. Der einzelne Landwirt habe hier so gut wie keinen Einfluss. „Der Milchpreis ist wieder abgesackt, Energie- und Düngemittelkosten sind gestiegen, der Schweinepreis ist im Keller“, so Harms. Da sei es kein Wunder, dass Landwirte sich neue Perspektiven überlegen. Vor allem müssten sie sich spezialisieren, um Masse anbieten zu können.




2008-05-05 ; von angelika blank (autor),

erneuerbare energie   welthunger   biogas   landwirtschaft  

Kommentare

    Sie müssen registriert und angemeldet sein um einen Kommentar schreiben zu können