Auch nach 30 Jahren sind die Folgen des GAUs von Tschernobyl immer noch sichtbar: Tausende erkranken, selbst in Niedersachsen sind noch Pilze verseucht und der Sarkophag über dem zerstörten Reaktor ist längst nicht fertig.
Denyssowytschi, Rudky, Pribjat, Ritschyzsja ... das sind nur einige Namen von Dörfern und Städten rings um das am 26. April 1986 explodierte Atomkraftwerk Tschernobyl, die damals evakuiert wurden und bis heute nicht wieder bewohnt werden können. Insgesamt waren es damals über 100 000 Menschen, die rund 200 Dörfer und Städte verlassen mussten. Im Laufe der Jahre waren es gar über 300 000, die ihre Heimat zeitweise oder auch vollständig aufgeben mussten.
Manche fanden in der schnell hochgezogenen Siedlung Slawutitsch zumindest einen Wohnort. Andere kehrten von dort wieder in die hochbelastete "Zone" zurück, weil sie sich ein Leben ohne Garten, Tiere und Natur nicht vorstellen können. Besonders alte Menschen ziehen sich in die Wälder von Pribjat zurück, obwohl die Infrastruktur dort nicht mehr funktioniert. Und obwohl das Risiko, durch die hohe Strahlung krank zu werden, immens ist.
Unterdessen übernimmt die Natur die innere 10-km-Zone. Nach Schätzungen von 2006 leben in der "Zone" circa
7000 Wildschweine, 150 Wölfe, 3000 Rehe, 1500 Biber, 1200 Füchse,
15 Luchse, mehrere tausend Elche und 280 Vogelarten, von denen
viele selten beziehungsweise gefährdet sind. So faszinierend ist dies nahezu menschenleere Naturlandschaft, dass die ukrainische Regierung die Zahl der Touristen auf jährlich eine Million erhöhen zu wollen. Es gibt eine regelrechte Tourismusagentur, die Tagesfahrten in die Zone koordiniert.
Torch-Report: Insgesamt mindestens 40 000 Todesfälle durch den GAU
Anlässlich des 30. Jahrestages der Katastrophe beauftragte die österreichische Umweltschutzorganisation Global 2000 gemeinsam mit der Wiener Umweltanwaltschaft den britischen Radiologen, Dr. Ian Fairlie, mit einer Aktualisierung seiner Studie „The other report on Chernobyl “ (TORCH-Report) zu den gesundheitlichen Folgen der Tschernobyl-Katastrophe. Fairlie hatte seine ersten "Gegen-Studie" im Auftrag der grünen Europaabgeordneten Rebecca Harms erstellt, da die "offiziellen" Studien die gesundheitlichen Folgen nach Ansicht vieler Wissenschaftler zu harmlos darstellten.Die Ergebnisse des Torch-Reports zeigen auch 30 Jahre nach der Verseuchung die zerstörerischen Auswirkungen der zivilen Nutzung von Atomkraft. Die erneute Untersuchung des Tschernobyl-Super-GAUs kommt zu dem Ergebnis, dass in Summe mindestens 40.000 Todesfälle weltweit durch die Reaktorkatastrophe zu beklagen sein werden.
Bis heute wurden nach dem Torch-Report schon 6.000 zusätzliche Schilddrüsenkrebsfälle registriert und weitere 16.000 Fälle werden langfristig noch erwartet, heißt es in der Studie weiter. Außerdem lieferten die Ergebnisse neuer Studien liefern zuverlässige Daten zur erhöhten Inzidenz von Leukämien, Tumoren, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychischen Leiden, Fehlbildungen bei Neugeborenen und andere Strahleneffekte in den am stärksten betroffenen Ländern.
Kinder, die in hochbelasteten Gebieten leben und kontaminierte Nahrung zu sich nehmen, leiden unter einem verschlechterten Gesundheitszustand. Auslandsaufenthalte seien von großem Vorteil für die „Kinder von Tschernobyl“, empfiehlt der Torch-Report.
30 Jahre nach Tschernobyl: Die schützende Hülle ist immer noch nicht fertigAuch 30 Jahre nach dem GAU gibt es immer noch keinen "Sarkophag", der den zerstörten Reaktorblock IV umhüllt und so verhindert, dass weitere radioaktive Strahlung in die Umwelt gelangt.
Kurz nach dem GAU hatten ukrainische Arbeiter Tausende Tonnen Beton in die strahlende Ruine gekippt - eine so provisorische Lösung, dass die Beton"hülle" im Laufe der Zeit immer wieder einzustürzen drohte. Doch der Ukraine fehlte das Geld für den Bau einer soliden Hülle.
Erst im Apri 2015 gelang es, die Finanzierung eines Neubaus zu organisieren. Auf einer Geberkonferenz in Londen kamen immerhin 530 der benötigten 615 Millionen Euro zusammen. An der Finanzierungsaktion hatte sich neben den G-7-Staaten auch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung mit 350 Millionen Euro beteiligt.
So liegen auch im Jahre 2016 immer noch über 90 % der verstrahlten Materialien im zerstörten Reaktorblock - nur notdürftig von einem Betonmantel überdeckt. Erst Ende 2015 bewiesen Drohnenflüge (click hier! ), dass es mit dem Bau weitergeht. 2017 soll der "Sarkophag" dann fertiggestellt sein - und den zerstörten Reaktorblock IV für die nächsten 100 Jahre vor der Umwelt abschirmen.
Tschernobyl ist ein Mysterium ...
... das wir erst entschlüsseln müssen," schrieb die ukrainische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch in ihrem Ende der 90er Jahre erschienen Feature-Band "Tschernobyl: Eine Chronik der Zukunft." Für die Nobelpreisrägerin ist der GAU von Tschernobyl "Ein noch ungedeutetes Zeichen. Vielleicht das Rätsel für das einundzwanzigste Jahrhundert. Eine Herausforderung. Heute ist klar: Neben den kommunistischen, nationalen und neuen religiösen Herausforderungen, mit denen wir leben und überleben müssen, erwarten uns noch andere Herausforderungen, weit grausamer und totaler, unserem Auge aber vorerst verborgen. Doch einiges hat uns Tschernobyl eröffnet. ... (Swetlana Alexijewitsch in "Tschernobyl: Eine Chronik der Zukunft" )
Foto: Ein verlassenes Haus in der inneren Zone um das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl