Amoklauf eines Studenten

Dr. Bettina Koch ist aufgewachsen in Lüggau in Lüchow-Dannenberg. Zu Zeit ist sie Assistant Professor in Politischer Theorie am Political Science Department am  Virginia Tech(www.politics.vt.edu) in Blacksburg, Virginia. Zum zweiten Mal ist sie Zeugin eines brutalen Mords in einer eigentlich friedliche Universitätsstadt geworden. Hier ihr Bericht.

Blacksburg, Virginia, und Virginia Tech (vollständig: Virginia Polytechnic Institute and State University)—die Uni ist die Stadt—sind eigentlich friedliche Orte. Etwas abgelegen in den Appalachen, im Südwesten Virginias und nahe dem Blue Ridge Parkway.

Einmal abgesehen von einem entlaufenen Untersuchungshäftling, der an meinem ersten Unterrichtstag im August 2006 sich einen Schußwechsel mit einigen Polizeibeamten liefern mußte, wobei ein Polizeibeamter zu Tode kam, war an dieser Universität nie wirklich etwas passiert.

Diese Wahrnehmung hat sich mit dem Amoklauf eines Studenten am 16. April 2007 geändert und überschattet auch den tragischen Zwischenfall vom vergangenen Mittwoch. Sowohl innerhalb der Universität als auch außerhalb erscheint der Mord an einer Studentin im Licht des Amoklaufs.  Als Lehrende/r ist man ständig dazu aufgefordert, verhaltensauffällige Studierende zu identifizieren und die entsprechenden Institutionen in Kenntnis zu setzten.

Damit lebe ich in der Erwartung, den nächsten Cho irgendwann in einem Kurs sitzen zu haben und hofft gleichzeitig, daß dies nie passieren wird und ich irgendwann wieder nur noch akademischer Lehrer sein darf.

Wie habe ich es erlebt:

Sowohl am 16. April als auch am Mittwoch, befand ich mich zur Zeit des Geschehens ahnungslos in meinem Büro. Am Mittwoch auf dem Heimweg, auf dem ich am Graduate Life Center vorbeigeradelt bin, hat mich zwar das Polizeiaufgebot irritiert, ich habe mir aber nichts weiter dabei gedacht. Gerade wieder zuhause, bekam ich eine SMS und mehrere Emailbenachrichtigungen.

Zunächst: “V T police have confirmed a murder in the graduate life center. A suspect is in custody. Stay where you are and stay vigilant. Stay away from the G L C.” (Die Virginia Tech Polizei bestätigt einen Mord im Graduate Life Center der Universität. Ein Verdächtiger wurde verhaftet. Bleiben Sie wo sie sind und bleiben sie aufmerksam) Dann: “Virginia Tech police have a suspect in custody. Please avoid the vicinity of the Graduate Life Center. Otherwise, resume your normal activities.” (Die VT Polizei hat einen Verdächtigen verhaftet. Halten Sie sich vom GLC fern. Nehmen Sie ansonsten Ihre normale Arbeit wieder auf)

Zu begreifen was da eigentlich passiert ist und wie es mein akademisches und soziales Leben verändern kann, hat noch einen weiteren Tag gedauert- verbunden mit der bangen Frage, ob man vielleicht Opfer oder Täter kannte, sie in einem Kurs hat oder hatte.

Diesmal war dies glücklicherweise nicht der Fall. Am 16. April 2006 kannte ich einige der Opfer.

Die Erkenntnis, daß man beim Unterrichten oder Erlernen der deutschen Sprache erschossen werden kann, geht immer noch nicht in meinen Kopf. Die nächste Frage, auf die ich eine Antwort finden mußte, war: Wie gehe ich mit dem Mord um, wenn ich das nächste Mal einen Unterrichtsraum betrete. In einer gewöhnlichen akademischen Karriere steht man wohl nie vor dieser Frage. Für mich war es nun das dritte Mal.

Die Antwort darauf wird nicht einfacher, zumal, wie jetzt, zu Beginn des neuen Semesters, wo ich meine Studierenden noch gar nicht richtig kenne (Mittwoch war mein erster Unterrichtstag in diesem Semester). Glücklicherweise geht es offenbar den meisten meiner Studierenden wie mir. Sie möchten möglichst schnell zur Normalität zurückkehren.

Fotos von Bettina Koch

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Links:

Student köpft Kommilitonin an Virgina Tech-Universität  
Massaker in Blacksburg

Bettina Koch unterrichtet politische Theorie von der griechischen Antike bis heute; ihre Spezialgebiete sind mittelalterliche und frühneuzeitliche westliche politische Theorie und vormoderne westliche und Islamische Theorie in vergleichender Perspektive.