Gorleben, so heißt es immer wieder, ist das Ergebnis einer sorgfältigen Standortauswahl für ein atomares Endlager. Diese Legende hält sich hartnäckig. Karl-Friedrich Kassel hat die Geschichte der Standortbenennung untersucht und kommt zu dem Schluss, dass Gorleben ohne wissenschaftliche Diskussion der Bewertungskriterien als Standort benannt wurde.
Gerade erst hat der damalige Wirtschaftsminister Küpker (FDP) dem Untersuchungsausschuß für das Atomendlager Asse eine solche falsche Darstellung der Standortbenennung vorgetragen. Wenn er auch sonst nicht mehr viel wußte, dieses eine wußte er: Gorleben ist das Ergebnis eines 1975 begonnenen Standortauswahl, die im Februar 1977 endete. Daran ist so gut wie nichts richtig außer dem Termin der Benennung.
Begonnen hatte die Standortauswahltatsächlich mit einem Auftrag für eine Studie an die KEWA 1974/1975. Allerdings hatte das Land Niedersachsen damit nichts zu tun. Es war eine Untersuchung im Auftrage von Bund und PWK, der späteren DWK. Diese Untersuchung sonderte Gorleben als ungeeignet aus. Erstens wegen der Nähe zur DDR-Grenze, zweitens wegen der Befürchtung von Carnalitt-Einschlüssen.
Zunächst 20 Salzstöcke in der Auswahl
Erst als die Landesregierung 1976 dem Bund eine eigene Standortauswahl abrang, kam Gorleben wieder ins Spiel. Die drei KEWA-Standorte kamen mit in die Landesprüfung. Darüber hinaus wurden weitere als im Grundsatz möglich aufgelistet. Die Prüfung war, im Gegensatz zu Küpkers Angaben, denkbar hastig. Bis zum Oktober 1976 gab es so gut wie keine Vorarbeiten für die Standortauswahl.
Die beauftragte interministerielle Arbeitsgruppe (IMAK) trug lediglich einige Grundsatzpapiere zur Lagerung atomarer Abfälle im Salz oder Tagungsprotokolle zusammen. Im Oktober 1976 trafen sich die Beteiligten von Bund, Land und Wirtschaft bei der RWE. Von einzelnen Standorten war noch keine Rede. Der Bund ging laut Protokoll noch immer von der Erkundung mehrerer Standorte mittels Tiefenbohrungen aus. Im November 1976 bekam die IMAK vom Kabinett den Auftrag, binnen vier Wochen eine Kabinettsvorlage für eine Standort-Vorauswahl zu erstellen. Erst da ging es richtig los. Die Salzstöcke in Niedersachsen wurden geprüft und 20 für grundsätzlich in Frage kommend ausgewählt. Nach einer weiteren Prüfung, bei der Raumordnungskriterien für Kernkraftwerke angewendet wurden, blieben 13 Standorte übrig. Ein weiterer, Mariaglück, kam auf Drängen des Landesamtes für Bodenforschung und des Oberbergamtes hinzu, also 14.
Sorgfältiger Auswahlprozess - eine Geschichtsfälschung
Nach einer weiteren Prüfungsrunde bleiben sieben übrig. Dem Kabinett vorgeschlagen wurden schließlich vier, darunter Gorleben. Sowohl Küpker als auch das Bundesamt für Strahlenschutz betreiben Geschichtsfälschung, wenn sie behaupten, am Ende wurde dem Kabinett Gorleben vorgeschlagen. Die IMAK war dazu gar nicht befugt. Ihr war es untersagt, einen einzelnen Standort vorzuschlagen oder Empfehlungen auszusprechen.
Dementsprechend hat das Kabinett am 21. 12. 1976 die Vorauswahl von vier Standorten bestätigt und weitere Prüfungen veranlaßt. Anfang Februar wurde dann entschieden: Gorleben. Es ist bisher nicht bekannt, welche Argumente und welche Abstimmung im Kabinett zu dieser Entscheidung führten. Das Protokoll der Kabinettssitzung vom 8. Februar 1976 (oder war es der 2. 2. 1976, wie Küpker behauptet?) ist, entgegen der Zusage, alles öffentlich machen zu wollen, bisher in keiner der zugänglich gemachten Akten enthalten. Deshalb ist jede Aussage, die behauptet, Gorleben sei das konsequente Ergebnis eines sorgfältigen Auswahlprozesses, eine Geschichtsfälschung.
Gorleben per Handnotiz nachgetragen
Die IMAK hat als Begleitung ihres Auswahlverfahrens einen Auftrag an den TÜV Hannover vergeben. Es ist dies die einzige sicherheitstechnische Untersuchung innerhalb der Standortauswahl. Der TÜV prüfte neben niedersächsischen auch schleswig-holsteinische Standorte. Insgesamt acht Orte wurden aufgelistet. Die besten Werte hatte Nieby an der holsteinischen Ostseeküste, wie die EJZ am 30. Januar 2010 berichtete. Gorleben kam in dieser Untersuchung gar nicht vor. Die Stellungnahme des TÜV wurde im Dezember 1976 bei der Landesregierung abgegeben. Am 29. 12. erhielt der Ministerpräsident das Ergebnis mitgeteilt.
Die Akten enthalten im Anschluß an das Anschreiben an den MP die Seite 50 des TÜV-Gutachtens. Darin sind handschriftlich die beiden Standorte Gorleben und Mariaglück nachgetragen. Gorleben mit der zweithöchsten Punktzahl. Wie es zu diesen Punkten gekommen ist, bleibt unerfindlich. Denn in der gesamten Studie taucht der Name Gorleben nicht auf. Keine der Tabellen oder Abwägungen zu Standortbedingungen enthalten einen Hinweis auf Gorleben.
Obwohl parallel in der Landesregierung dieser Standort offenbar immer höher rutscht. Anfang Dezember 1976 bereits schreibt die Bundesregierung nach Hannover, dass, wenn es nun doch auf Gorleben hinaus laufen sollte, dies keinesfalls öffentlich mitgeteilt werden sollte. Erst muss mit der DDR geredet werden. Zur gleichen Zeit veranstaltet der TÜV auftragsgemäß eine Sicherheitsprüfung, in der von Gorleben keine Rede ist. Es ist weder bekannt, wer Gorleben in das Prüfungsverfahren des IMAK eingebracht hat, noch wer es unterlassen hat, den TÜV auf diesen Standort hinzuweisen. Außerdem ist unbekannt, wer für die handschriftliche Egänzung gesorgt hat und wer sie veranlaßt hat. Vielleicht gibt es ja eine spätere Version des TÜV-Gutachtens, in dem ebenso detailliert wie an anderen Orten die Standortbedingungen untersucht werden.
In den bisher zugänglich gemachten Akten ist diese Version jedoch nicht zu finden. So läßt sich auf Grund der bisher bekannten Aktenlage sagen: Gorleben ist der Sieger in einem Auswahlverfahren, daß intern von den Ministerien ausgeführt wurde, ohne eine wissenschaftliche Diskussion der Bewertungskriterien, in einem Verfahren, daß für ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ) mit Wiederaufarbeitungsanlage (WAA), nicht aber ausschließlich für ein Endlager galt. Das einzige Gutachten, daß sich mit der Sicherheit beschäftigte und das von einer weisungsunabhängigen Institution wie dem TÜV erstellt wurde, hatte Gorleben überhaupt nicht auf der Liste. Ob es sich nach der manipulierten PTB-Zwischenbilanz von 1983 um eine weitere Aktenmanipulation im Verfahren um den Endlagerstandort Gorleben handelt, kann nur die Landesregierung beantworten.
Foto: publixviewing / Karin Behr
{{tpl:tocbox |style=width:60%;margin:6px; |hd=Mehr zu "Endlager" |bd={toc |dt=Wiki |groupID=wnet |public=1 |tags=endlager |max=10 |template=tpl:link-list }
}}