Die Brandnacht im April 2013 wird vielen Clenzern in Erinnerung geblieben sein: am frühen Morgen brannten ein Schulbus, das Schützenhaus, mehrere Fahrzeuge sowie ein Altkleidercontainer. Es war Brandstiftung. Einer der Tatverdächtigen musste sich nun am Donnerstag vor dem Dannenberger Amtsgericht verantworten.
Die Frage, was den Angeklagten Marc S. dazu gebracht haben mochte, nach
durchzechter Nacht mit Freunden durch Clenze zu ziehen und für mehrere
schwere Brände zu sorgen, bleibt auch nach der Hauptverhandlung vor dem
Dannenberger Schöffengericht im Dunkeln.
Nach rund einem Jahr Ermittlungsarbeit war sich die Staatsanwaltschaft Lüneburg sicher, dass es sich bei dem Brandstifter, der für einen zerstörten und zwei beschädigte Schulbusse sowie für den Brand im Schützenhaus Clenze, um den 24-jährigen Marc S. handelt. In der Anklageschrift führte Staatsanwalt Wolfgang Pfleger verschiedene Beweise auf, die die Schuld von S. belegen sollten.
So waren zum Beispiel am Fensterbrett des Schützenhauses und im Saal Blutspuren gefunden worden, die später durch ein DNA-Gutachten dem Angeklagten eindeutig zugeordnet werden konnten. Doch Marc S. und seine Verteidigerin, Rechtsanwältin Ellen Russow, wollten es ganz genau wissen: den Wink mit dem Zaunpfahl von Richter Detlev Saffran, dass man angesichts der klaren Spurenlage auch auf eine Beweisaufnahme mit insgesamt sechzehn geladenen Zeugen verzichten könne, ignorierten der Angeklagte und seine Verteidigerin. Man wolle doch gerne das Ergebnis der Beweisaufnahme abwarten, bevor man sich äußere, so die Anwältin.
Der Rest war Schweigen - zumindest vom Angeklagten: Kein Wort sagte der 24-jährige während der rund sechs Stunden dauernden Hauptverhandlung. Weder Be- noch Entlastendes war aus seinem Munde oder dem seiner Verteidigerin zu hören. So wurde die Hauptverhandlung zu einer mühseligen Indizienklauberei. Richter Saffran und die beiden Schöffinnen sahen sich gezwungen, Marc S. die ihm zur Last gelegten Taten Indiz für Indiz nachzuweisen - was letztendlich rund sechs Stunden dauerte und mehr als ein Dutzend Zeugen-Aussagen sowie die Verlesung mehrerer Spuren-Gutachten erforderte.
EINE DURCHZECHTE NACHT MIT TEUREN FOLGEN
Im Verlaufe der Verhandlung zeigte sich, was in der Montagnacht im April wohl abgelaufen ist: fünf Freunde, darunter der Angeklagte, hatten sich in Lüchow getroffen und waren dann am späten Abend mit dem Taxi nach Clenze zu fahren, um dort "Party" zu machen. Ein Nachbar beschwerte sich über den Lärm und sprach später gegenüber der Polizei davon, dass die ganze Nacht durch "ein Kommen und Gehen" in der Wohnung des Angeklagten geherrscht habe. Teilnehmer dieser nächtlichen Zecherei bestätigten vor Gericht, dass Marc S. und zwei weitere Freunde die "Stube" zwischendurch verlassen hätten - allerdings konnten sie nicht sagen, ob die drei die Wohnung verlassen hatten.
Um drei Uhr morgens ging dann bei der Feuerwehr der erste Feueralarm ein, gefolgt von mehreren weiteren Anrufen. Am frühen Morgen dann bestellten drei der Zechkumpanen sich erneut ein Taxi, welches sie zurück nach Lüchow bringen sollte. Da der Taxifahrer aber zufällig der Sohn des Taxiunternehmers und Betriebsleiter der Lüchower-Schmarsauer-Eisenbahn (dem Unternehmen, dem die zerstörten Busse gehören) war, informierte dieser sofort die Polizei, dass zu dieser ungewöhnlichen Zeit drei junge Männer nach Lüchow gefahren werden wollten. Über diese drei Taxigäste kam die Polizei auf die Spur von Marc S., bei dem die drei gefeiert hatten.
Der Rest ist eine Indizienkette vieler kleiner Spuren und Ereignisse: Eine Überwachungskamera der Clenzer Tankstelle zeichnete drei Menschen auf, die sich zu nächtlicher Stunde dort aufhielten. Doch allein die auffällige Hose eines Tatverdächtigen ließ den Verdacht aufkommen, dass es sich bei den drei um die vermutlichen Brandstifter handeln könnte. Spuren, die konkret dem Angeklagten Marc S. zugeordnet werden konnten, waren einerseits Blutspuren am Fensterbrett und im Inneren des Schützenhauses sowie im Inneren eines Handschuhs, der nahe des ausgebrannten Busses in einem offenen Abfalleimer gefunden worden war. Weiter wurden im Saal des Schützenhauses Fußspuren gefunden, die später ebenfalls durch vergleichende Untersuchungen eindeutig Schuhen des Angeklagten zugeordnet werden konnten.
Zusätzlich führte die Polizei noch Facebook-Einträge, Handyfotos und SMS-Protokolle als Beweis für die Schuld des Angeklagten an. In mehreren Hausdurchsuchungen hatten sie die Handys der Beteiligten sichergestellt sowie schon am Morgen nach der Tat eine Internetrecherche in sozialen Netzwerken gestartet. Und siehe da: Kurz nach der Brandstiftung hatten sich drei der fünf Freunde mit vermummten Gesichtern und in Siegerpose fotografieren lassen und dieses Foto dann kommentarlos bei facebook eingestellt. Die ermittelnden Beamten stellten fest, dass einer der Fotografierten einen verbunden Finger hatte und außerdem dunkle Stellen an den Fingern zu sehen waren.
Auch aus SMS-Notizen, noch gespeichert auf den Handys der Tatverdächtigen, schlossen die Ermittler, dass die Gruppe etwas mit den Bränden zu tun hatte. Von Angst vor der Polizei war da die Rede und von "dumm gelaufen" und dass man andere Namen bei der Taxibestellung hätte benutzen sollen.
Verteidigerin Ellen Russow bemühte sich redlich, jedes einzelne Indiz als unbrauchbar darzustellen. Nach ihrer Ansicht hätten z. B. die Blutspuren auch zu einem anderen Zeitpunkt ins Schützenhaus kommen können, da dieses seit Jahren leersteht und nicht regelmäßig kontrolliert wird. Ebenso der gefundene Handschuh: keiner der Zeugen konnte ihr sagen, wie lange der Handschuh schon in dem Abfalleimer gelegen hatte. So wurde sogar noch die Frage interessant, ob und wann es in der Nacht in Clenze geregnet haben mochte. Die Antwort, warum der Angeklagte aber - wenn auch zu einem anderen Zeitpunkt - im Schützenhaus gewesen sein soll oder warum ein blutverschmierter Handschuh mit Brandgeruch in dem Abfalleimer gelandet ist, blieb sie schuldig. Die Verteidigerin bestritt auch nicht, dass die sichergestellten Schuhe dem Angeklagten gehören oder das Ergebnis des DNA-Vergleichs.
RICHTER: ERHEBLICHE KRIMINELLE ENERGIE
So schlugen alle Versuche, den Angeklagten vom Vorwurf der Brandstiftung reinzuwaschen, fehl. Das Schöffengericht sah es als erwiesen an, dass Marc S. die ihm zur Last gelegten Brandstiftungen begangen hatte und ging sogar noch über das vom Staatsanwalt geforderte Strafmaß hinaus. Dieser hatte eine Gesamtstrafe von zwei Jahren gefordert: ein Jahr für die Brandstiftung am Bus sowie 1 Jahr und zwei Monate für die Brandstiftung am Schützenhaus. Außerdem sah Staatsanwalt Pfleger durchaus Grund für eine Bewährungsstrafe, da der Angeklagte außer einer Trunkenheitsfahrt ohne Fahrerlaubnis keine Eintragungen im Strafregister eingetragen hat.
Richter Saffran setzte dagegen eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten fest - und schloss damit eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung aus: nach § 56 Strafgesetzbuch kann eine Haftstrafe nur dann zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn sie zwei Jahre nicht überschreitet. Und - darauf Richter Saffran den Angeklagten ausdrücklich hin - dies auch nur dann, wenn "wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen. "
Und dies, so Richter Saffran, sei beim Angeklagten in keinster Weise zu erkennen gewesen. "Sie haben weder ein Geständnis abgelegt, noch Reue gezeigt, geschweige denn, sich entschuldigt," so Saffran. Im Gegenteil, bei der Begehung der Taten habe der Angeklagte eine "erhebliche kriminelle Energie" gezeigt. Brandbeschleuniger seien beschafft und eingesetzt, die Brandstiftung im Schützenhaus durch Einbruch erst möglich geworden und auch die erheblichen Folgen der Brandstiftungen habe der Angeklagte vollständig ignoriert.
Immerhin, eine gute Nachricht konnte Marc S. am Donnerstag doch mitnehmen: die ursprünglich genannte Schadenssumme von 250 000 Euro für die zerstörten bzw. beschädigten Schulbusse wurde vor Gericht erheblich gemindert: wie sich herausstellte, hatte der zerstörte Bus lediglich einen Restwert von 30 000 Euro. Er konnte sogar noch für über 2000,- Euro verkauft werden. Die Schäden an den anderen Bussen beliefen sich auf ca. 15 000 Euro, so dass Marc S. für einen Schaden von ca. 42 000 Euro verantwortlich ist. Dazu kommen noch ca. 10 000 Euro, die für die Beseitigung der Schäden am Schützenhaus aufgebracht werden müssen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Eine Woche haben Marc S. und seine Verteidigerin Zeit, gegen das Urteil Berufung einzulegen.
Foto / Geerd Theilen Wykhoff, Feuerwehr: Dieser Schulbus der LSE brannte nach dem Brandanschlag im April 2013 vollständig aus.