Thema: castor2011

Castor2011: Bewertungen von Gorlebengegnern und Polizei

Der 13. Castortransport hat am Montag abend um 22.09 Uhr nach fünf Tagen Fahrt - begleitet von erbitterten Protesten - das Zwischenlager in Gorleben  erreicht. Gorlebengegner und Polizei ziehen eine unterschiedliche Bilanz des Geschehens.

Während die Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) einen an vielen Stellen unangemessen harten Polizeieinsatz kritisiert, sah die Polizei in ihrer Abschlussbilanz eine "hohe Gewaltbereitschaft bei eventorientierten und gewaltbereiten Personen." Diese stelle zwar eine Minderheit dar, allerdings seien Polizeibeamte in diesem Jahr "deutlich massiver z. B. durch Steinbewurf und Pyrotechnik, angegriffen" worden.

Die härtesten Auseinandersetzungen hatte es in und um Metzingen herum (bei Grünhagen bzw. Leitstade) gegeben und während bzw. nach dem Straßentransport in Laase. Dort kam es nach der Einfahrt des Castorzuges ins Zwischenlager wieder zu - schon aus Vorjahren bekannten - wüsten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten. Zahlen liegen hier bis zur Stunde noch nicht vor.

Die Sanitäter der BI konstatieren auf Widerstandsseite 355 Verletzte, von denen fünf mit Kopfverletzung bzw. einem Verdacht auf Wirbelfraktur als schwer verletzt eingestuft wurden. "Ein Drittel der Verletzungen sind auf den Einsatz von OC-Kampfstoff /Pfefferspray zurückzuführen, der andere Teil hauptsächlich auf Schlagstockeinsatz. Eine Person wurde von einem Polizeipferd überrannt. Einer Person wurde ein Zahn ausgeschlagen", so die Sanitäter-Gruppe. Auch ca. zehn PolizistInnen wurden von den BI-Sanis behandelt, die durch OC-Kampfstoff (Pfefferspray) aus ihren eigenen Reihen verletzt worden waren bzw. an Erschöpfungszuständen litten.

Die Polizei meldete in ihren Reihen insgesamt 133 verletzte Polizeibeamte/-innen. Von diesen verletzten Beamten/-innen wurden 73 durch "Störern" (Polizeiformulierung) z.B. durch Stein-/ Flaschenbewurf oder Beschuss mit Pyrotechnik verletzt. Bei den Übrigen handelt es sich nach einer Mitteilung der Polizei um Verletzungen ohne Fremdeinwirkungen. Darüber hinaus verzeichnet die Polizei 21 beschädigte Fahrzeuge, als "ein Ergebnis der Angriffe auf die Einsatzkräfte."

Martin Lemke vom "Legal Team" (einem rund 20-köpfigen Anwaltsteam, dass den Castortransport begleitete) konnte am Montag nur einen vorläufigen Bericht geben, da die letzten Vorfälle aus dem Straßentransport in die abschließende Bilanz noch nicht eingearbeitet werden konnten. Nach seinem Bericht waren bis Montag Nachmittag insgesamt .... DemonstrantInnen in Gewahrsam genommen worden, die meisten davon im Zusammenhang mit der Sitzblockade auf den Schienen in Harlingen. Hier hatten rund 1500 Personen stundenlang in einem Freiluftarrest ausharren müssen, bis am Montag Mittag endlich freigelassen wurden. 400 eingereichte Anträge auf Überprüfung dieser Maßnahme waren vom zuständigen Richter bis Montag abend nicht entschieden.

Gorlebengegner: der politische Druck wächst - eine nationale Atommülldebatte muss geführt werden

Doch wie nicht nur Carsten Niemann von der Bäuerlichen Notgemeinschaft auf der Abschluss-Pressekonferenz betonte, "geht es nicht um die Auseinandersetzung zwischen Polizei und Demonstranten, sondern darum, dass der Atommüll der Republik in Gorleben abgelagert werden soll". Zuletzt hatte die Intransparenz bei der Ermittlung der Ursachen für einen vermutlich überhöhten Strahlungsaustritt aus dem Gorlebener Zwischenlager bei den Gorlebengegnern in den letzten Wochen das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit von Betreibern und Aufsichtsbehörden endgültig schwinden lassen.

Wenn auch die Staatsanwaltschaft Lüneburg keine Erkenntnisse über eine begangene Straftat seitens der Betreiber in Sachen Grenzwert-Überschreitung feststellen konnte, so gibt es doch nach Mathias Edler, Atomexperte von Greenpeace, genügend Belege für eine drohende Überschreitung der zugelassenen Grenzwerte für den Strahlungsaustritt aus dem Gorlebener Zwischenlager nach Einlagerung der aktuell angelieferten elf Castorbehälter. Dies habe der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages erst kürzlich bestätigt.  "Wenn die offiziellen Dosimeter ausgelesen sind, werden wir sehen, ob die Austritts-Grenzwerte in Gorleben überschritten worden sind, wie wir prognostiziert haben", so Edler. Zudem wurde Greenpeace während des laufenden Castortransports die Akteneinsicht entzogen - für Edler ein weiterer Beleg für die Unglaubwürdigkeit von Umweltminister Röttgen, der seit Monaten eine völlig "transparente und ergebnisoffene" Endlagersuche ankündigt.

"Es muss jetzt endlich eine nationale Atommülldebatte geführt werden, die weit über Gorleben hinaus geht. Und zwar darüber wie mit einem Problem umgegangen werden kann, dass eigentlich nicht lösbar ist", forderte der Greenpeace-Atomexperte weiter.

Politik muss der Bevölkerung zuhören

Für Marie-Luise Cosel, Sprecherin der Initiative X-tausendmal-quer, die in Gorleben mit rund 2000 Menschen die Transportstrecke über 27 Stunden lang mit einer Sitzblockade besetzt hielt, gibt es eine klare Botschaft, die von diesem Protest ausgeht: "Hier übernehmen Bürger die Verantwortung, die wichtige Entscheidungen nicht länger den Politikern überlassen wollen. Die Politiker müssen lernen, dass sie die Bevölkerung ernst nehmen müssen." Auch für Jochen Stay von der Initiative ausgestrahlt! muss Politik umdenken. "Die massenhafte Anwesenheit aus dem gesamten Bundesgebiet hat deutlich gezeigt, dass es keinen Konsens mit der gesamten Bevölkerung gibt." Bund und Land müssen nachjustieren, was die Endlagerfrage angeht und Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister müsse endlich den Standort Gorleben aus dem Topf nehmen lassen.

"Der politische Druck, nun auch in der Endlagerdebatte und nicht nur in der Energiepolitik sich von Konzepten der 70er Jahre zu verabschieden, ist durch die Dauerproteste im Wendland gestiegen. Norbert Röttgen (CDU) bekommt nun eine Chance, zumindest mit einem Baustopp in Gorleben zu signalisieren, dass er eine alternative ergebnisoffene Endlagersuche wirklich ernst meint", sagte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke. An die Adresse des niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister, der den Widerstand im Wendland – in Teilen – begrüßt hat, richtet Ehmke den Appell: " Briefe an den Parteifreund Röttgen reichen nicht mehr. Sie müssen klar machen, dass sich die Bevölkerung veräppelt fühlt, wenn der Neustart der Endlagersuche propagiert wird, aber lediglich in Gorleben weitergebaut wird."

Frühestens in zwei Jahren wird es den nächsten Castortransport nach Gorleben geben - dann mit weniger stark strahlenden Resten aus der Wiederaufbereitung. Alle beteiligten Initiativen aus dem Trägerkreis kündigten weitere Proteste an.

Foto: Karin Behr / publixviewing.de - Um 22:09 Uhr hatte auch der letzte Castor-LKW das Zwischenlager in Gorleben erreicht.

Videos und Fotos vom Transport 2011 gibt es hier!

 




2011-11-29 ; von Angelika Blank (autor),

castor2011  

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