Katja Tempel (47), Hebamme aus Jeetzel, ist aktiv bei der Anti-Atom-Initiative X-tausendmal quer. In der Überzeugung, dass gewaltfreie Sitzblockaden ein guter Lernort für Zivilcourage sind und Erfahrungen, die hier gemacht werden, auch übertragbar sind auf andere Politikfelder, beteiligt sie sich seit 1997 an der Vorbereitung solcher Aktionen. w-net stellte Katja Tempel vor dem Castor-Transport 2010 einige Fragen.
w-net: Nur noch wenige Tage bis zum Castor-Transport. Eine der größten Aktionen der Atomkraftgegner wird von X-tausendmal quer organisiert. Was genau ist geplant?
Katja Tempel: X-tausendmal quer macht ja bereits seit vielen Jahren große gewaltfreie Sitzblockaden gegen die Castor-Transporte nach Gorleben. Diesmal werden sich daran viel mehr Menschen beteiligen als sonst. Es wird ab dem 4. November in Gedelitz ein großes Camp zur Vorbereitung geben. Und am Sonntag, den 7. November wollen wir von diesem Camp gemeinsam aufbrechen und in Gorleben auf die Transportstrecke und diese dann nicht mehr freiwillig verlassen.
wnet: Der Transport wird doch aber voraussichtlich frühestens Montag auf der Straße rollen. Wieso dann schon Blockade ab Sonntag?
Unserer Erfahrung nach ist es besser, frühzeitig an Ort und Stelle zu sein. Denn je näher der Castor kommt, umso mehr Polizei schützt die Strecke. Wenn wir es uns aber erst mal mit X-tausenden auf der Straße eingerichtet haben, hat es die Polizei sehr schwer uns da wieder wegzubekommen.
wnet: Ist denn die Polizei der Gegner? Oder was ist Sinn und Zweck einer solchen Blockadeaktion?
Viele Polizistinnen und Polizisten sind ja selbst gegen die Nutzung der Atomkraft. Uns geht es also nicht darum, sie persönlich zu ärgern oder so etwas. Aber wir verlangen schon von jedem Einzelnen, dass er sich mit seiner Rolle auseinandersetzt und im Zweifelsfall auch die Befolgung eines falschen Befehls verweigert.
Was wir mit der Blockade erreichen wollen, geht viel weiter: Es geht darum, den Konflikt um die Atomenergie, um Gorleben sichtbar zu machen. Eine Sitzblockade ermöglicht es, dass Menschen ohne jegliche Hilfsmittel ihrer ablehnenden Haltung Ausdruck verleihen können, in den sie sich dem bestehenden Unrecht in den Weg setzen. Es ist eine Möglichkeit, den reibungslosen Ablauf zu behindern, Sand im Getriebe zu sein.
wnet: Aber ist das nicht eine Straftat?
Nein. Sitzblockaden werden allerhöchstens als Ordnungswidrigkeit geahndet, quasi wie falsches Parken. Wenn sich aber so viele Menschen beteiligen, hat die Polizei gar nicht die Kräfte, um die Personalien festzustellen. Es gab deshalb in den letzten Jahren keine Bußgeldbescheide und wir rechnen auch diesmal nicht damit.
Das Ganze hat auch noch einen anderen wichtigen Aspekt: Weil es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit handelt, darf die Polizei bei einer Räumung der Blockade keine übermäßige Gewalt wie Wasserwerfer oder Knüppel anwenden, sondern muss alle einzeln wegtragen. Das gebietet der Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit. Wenn da zu viele sitzen, um sie alle wegzutragen, dann darf der Castor eben nicht rollen.
wnet: Was ist in diesem Jahr anders als sonst?
Dieses Jahr gibt es viele Leute, die neu gegen Atomkraft aufstehen und auch viele Leute im Landkreis, die dieses Jahr einen Schritt weiter gehen wollen. Diese Leute wollen wir einladen, mit uns den Schritt vom Protest zum Widerstand zu gehen. Nicht alleine, aber in einer gut vorbereiteten großen Gruppe, mit einer überschaubaren Aktion. Wir wollen alle diejenigen mitnehmen, die sonst eher neben der Castorstrecke standen und jetzt erkennen: Es ist noch mehr notwendig. Ich will mich einmischen. Ich will dieses Jahr den Castor blockieren.
wnet: Überall an der Transportstrecke sind kleine und große Proteste geplant. Warum setzt X-tausendmal quer auf so viele Menschen an einem Ort?
Unsere Idee ist: Wenn an einem Ort besonders viele Leute zusammen kommen, wird das öffentlich auch besonders wahrgenommen. Dann wird deutlich: Da sitzt ein Querschnitt aus der Bevölkerung, den man nicht einfach so mit Polizeigewalt abräumen kann. Je mehr wir sind, umso größer ist auch der Schutz für jede Einzelne.
wnet: Wie kann man sich vorbereiten?
Vom 1.11. bis 4.11. gibt es jeden Abend noch ein Aktionstraining, je eines in Lüchow, Hitzacker, Clenze und Dannenberg. Da können sich Kurzentschlossene über Ängste austauschen, Verabredungen treffen, Räumungssituationen durchspielen. In unserem Camp in Gedelitz geht es dann ab Donnerstag weiter mit kurzen Last-Minute-Trainings. Wer gemeinsam mit uns zu der Blockade aufbrechen möchte, sollte spätestens nach der Kundgebung nach Gedelitz kommen, damit wir letzte Aktionsabsprachen gemeinsam treffen können. Wir freuen uns über jeden, der noch zu uns stößt. Im Camp oder auf der Blockade.