Hier der zweite Teil der neuesten heimatkundlichen Forschungen zu Kröte von Roland Albrecht, Direktor des Museums der unerhörten Dinge in Berlin. Den ganzen Vortrag trägt der Museumsdirektor leibhaftig noch bis Pfingstmontag jeweils um 16.00 Uhr in Kröte (Treffpunkt Dorfmitte) vor.
Der Einzug der Kartoffel ins Wendland
Das Wendland war lange eine bitterarme Gegend. Die Menschen lebten von dem, was sie anbauten. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts mussten die Wendländer mit dieser Armut zurecht kommen. Dann hielt die Kartoffel Einzug ins Wendland und eben auch nach Kröte. Die Kartoffel hatte den Vorteil, dass man damit die Schweine mästen konnte. Die Schweine wiederum produzierten Mist, der als Dünger auf die Felder ausgebracht werden konnte.
So wurde die Landwirtschaft über die Kartoffel richtiggehend revolutioniert. Es entstand ein bescheidener Wohlstand in der Gegend. Mitte des 19. Jh. wurden dann auch neue Gehöfte gebaut, wie z. B. die Scheune des heutigen Bio-Landwirts Flegel.
Der Kartoffelweitwurf-Wettbewerb
Um 1850 war hier das Einweihungsfest von einem gewissen Johann Hinrich Tiedemann. Ein Jahr nach dem Bau feierte er sein großes Fest – man weiß das, weil schon Kartoffeln eingelagert worden waren. Auf der Dorfstraße waren Tische aufgestellt, das ganze Dorf war da. Und da Tiedemann ein sehr geschäftstüchtiger Mann war, der auch gern einmal einen über den Durst trank, war man am Abend des Festes recht betrunken und Landwirt Tiedemann holte Kartoffeln aus der Scheune und begann hier den später legendär gewordenen Kartoffelweitwurf-Wettbewerb.
Aus Überlieferungen wissen wir, wie das Spiel ablief: Hinter einer quer gezogenen Linie stand die Menge und wartete gespannt auf den besten Werfer. Die Kartoffeln wurden möglichst weit die Dorfstraße hinunter geworfen. Am unteren Ende legten Kinder Schildchen an die Stelle, wo die Kartoffeln gelandet waren. So wurde festgestellt, wer am weitesten geworfen hatte.
Der Sieger wurde zum Kartoffelkönig. Kartoffelkraut war seine Ehrenkette, die Kartoffel sein Zepter. Und weil es grad so lustig war, wurde dieser Wettbewerb jedes Jahr im Herbst veranstaltet. Bald kamen Gäste aus Lüchow, aus Dannenberg und sogar aus Hamburg. Der Kartoffelweitwurf-Wettbewerb entwickelte sich schnell zu einem richtigen Volksfest mit Ständen, Musik und natürlich viel Essen und Trinken. Bald war es bis in die Ferne bekannt, dass es in Kröte am Ende des Jahres einen Kartoffelweitwurf-Wettbewerb gibt.
1895 ist die Pfarrstelle mit einem frommen Pfarrer neu besetzt worden. Er begann, gegen den Wettbewerb zu predigen, denn "mit Gottes Gaben solle man keinen Spaß machen", war seine Ansicht. „Man wirft so etwas nicht zur Freude durch die Gegend“, predigte er allsonntäglich von der Kanzel.
Die Bevölkerung war da gespalten. Die Älteren folgten eher dem „Herrn Pfarrer“, die Jüngeren wollten trotzdem weiter feiern – es war gespalten. Der Bürgermeister hat sich heraus gehalten. Er dachte sich „na ja, ich sag mal lieber gar nichts dazu, dann passiert nicht so viel“. Aber dann, im Jahre 1899, traf den Bürgermeister eine Kartoffel an der Schulter, woraufhin er den Wettbewerb verbot. So ging die Tradition verloren.
Letztes Jahr gab es allerdings leise Überlegungen, ob man das Fest nicht doch wieder einführen sollte.
Die Entdeckung der Schnellverkieselung
Warum aber ist eine Kartoffel, die eine Schulter trifft, so schlimm ist, dass man deswegen den ganzen Spaß verbieten muss? Mit der Beantwortung dieser Frage kommen wir zu den neuesten Forschungsergebnissen: diese Kartoffel könnte eine versteinerte Kartoffel gewesen sein. Denn kürzlich haben wir hier vom Flegel-Hof eine versteinerte Kartoffel bekommen, die auf dem Feld gefunden wurde.
Jetzt fragt man sich natürlich, wie kann es denn sein, dass eine versteinerte Kartoffel in Europa gefunden wird, wo doch der Versteinerungsprozess hundertausende Jahre dauert und die Kartoffel vermutlich erst Ende des 16. Jh. nach Europa gekommen ist?
Es gibt verschiedene Theorien dazu: z.B. gibt es eine tektonische Theorie, nach der die Erdplatten sich verschoben hatten … Aber ob es vor so langer Zeit schon Kartoffeln gab, das wurde sehr bezweifelt. Dann wurde überlegt, ob es einfach eine Laune der Natur war, dass der Stein so eine Kartoffelform hatte.
Aber dann hat 1999 eine Biologin, Brigitte Lemke, entdeckt, dass es bei bestimmten Kartoffelsorten – und zwar interessanterweise nur bei biologischen Kartoffeln – eine Schnellversteinerung gibt. Eigentlich handelt es sich dabei um eine Verkieselung, bei der die Zellmembranen mit einer Kieselsäure ausgelegt werden. Das gibt es eben nur bei biologischen Kartoffeln.
Man hat ja heute bei der Archäologie das große Problem, dass der Kunstdünger die alten Tonstrukturen auflöst. Darum kann eine Schnellverkieselung bei Phosphatkartoffeln nicht stattfinden, sondern nur bei biologischen Kartoffeln.
Brigitte Lemke hat im Labor eine Schnellverkieselung von Kartoffeln innerhalb von zwei Jahren erreicht. Normalerweise geht man davon aus, dass unter Idealbedingungen eine Kartoffeln zwischen 7 und 100 Jahren braucht, um zu verkieseln.
Vielleicht hat ja der Bürgermeister damals so eine versteinerte Kartoffel an die Schulter bekommen. Das würde erklären, warum er so erbost den Wettbewerb verbot.
Die schwarze Erna
Am Anfang des Dorfes, wo heute eine Künstlerin wohnt, stand in den 50er Jahren eine alte Kartoffelscheune, dort lebte die „schwarze Erna“. Von ihr weiß man wenig, aber als man die Scheune umbaute, kamen bei Ausgrabungen Patronenhülsen und unzählige leere Flaschen zu Tage. Die eingesessene Bevölkerung spricht wenig über die schwarze Erna. Alle kennen sie, sie sprechen aber nicht über sie. Es muss bei ihr immer lustig zugegangen sein. Aber ich weiß auch nichts Genaues – vielleicht findet man später mehr.
Zurück zum Äquator
Der Äquator ragt 42 km höher in die Atmosphäre als die Erdoberfläche hier in Norddeutschland. Das erklärt sichso: wegen der durch die Rotation der Erde entstehenden Fliehkräfte werden die Pole flacher und die Erde an der Äquatorlinie breiter. Dieses Phänomen nennt man die „Erdkordel“ oder die „Äquatorwulst“. Jetzt gibt es die Chaostheorie, welche sagt, dass das, was es im Großen gibt, auch im Kleinen vorkommt. Zum Beispeil ein Blumenkohl: man kann ihn noch so sehr zerteilen, jedes einzelne Röschen behält die Form eines Blumenkohls.
So ist es im Erdgeschehen auch: um den Äquator herum, entlang der Erdkordel, haben auch die Elektronen Wülste bzw. -kordeln auf ihrer Außenhaut. Und Kröte lag mehr als 300 Millionen Jahre – so lange wie sonst kein anderer Ort auf der Welt – am Äquator. Das hat natürlich extreme Folgen.
Bei der Bevölkerung gibt es z. B. ein Äquatorbewusstsein. Bei einer Umfrage hier vor einigen Jahren, hat sich herausgestellt, dass 70 % der Bevölkerung von Kröte Äquatorerfahrung hat.
Warum zieht es die Menschen so stark an den Äquator? Das sind sicher diese Auswirkungen, diese Ausstrahlungen, die umbewusst auf die Menschen wirken. Selbst die landwirtschaftlichen Produkte zeigen die typischen Ausbeulungen, wie z.B. wulstige Eier – ebenfalls von dem Biohof.
Wenn man ständig die Produkte dieser Gegend isst, wo die Elektronen sich schon so verändert haben, so verändert das auch die Menschen.
Doch kommen wir zurück zur Tektonik. Kröte lag ja am Rande des Kontinents Baltikum am Äquator. Hier schoben sich die Kontinente zusammen. Eigentlich ging man davon aus, dass dieser Verschiebungsprozess schon lange zum Stillstand gekommen ist.
Doch kurz vor der kulturellen Landpartie erreichte mich eine Alarm-Mail aus Kröte: Quer zur Dorfstraße hatten sich große Risse aufgetan, die erst kürzlich mit Teer wieder geschlossen wurden.
Also, es tut sich wieder etwas. Die Kontinente bewegen sich wieder. Passen Sie auf, nächstes Jahr müssen Sie die Dorfstraße vielleicht schon auf Hängebrücken überqueren.
Das wars – 500 Millionen Jahre Geschichte von Kröte bis heute. Sie sehen, die Erdplatten bewegen sich wieder.
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