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Die Krise ist Chance

Jan Stehn schaut durch das Fenster der Möglichkeiten, das sich gerade in Zeiten der Krise weit öffnet - Die Medien vermitteln ein geradezu psychologisches Bild der Wirtschaftskrise: Gierige Spekulanten haben sich mächtig verzockt. Und weil die Wirtschaft ein global vernetztes System ist, bekommen nach und nach alle einen Kater.

Nach dem Leichtsinn der profitoptimistischen Jahre ist jeder nun vorsichtig beim Kredit, beim Investieren und zuletzt auch beim Konsumieren. So kommt die auf endloses Wachstum programmierte Wirtschaftsmaschine ins Stottern, und da springt Vater Staat ein, stürzt sich gewaltig in noch mehr Schulden, um Banken, Autobauer, andere zitternde Industriebranchen aus dem Sumpf zu ziehen und ein bißchen auch uns mit Steuergeschenken bei Konsumlaune zu halten.

So weit, so richtig – aber oberflächlich. Ein Wirtschaftseinbruch solchen Ausmaßes hat tiefergehende, strukturelle Ursachen. Das läßt sich nicht leicht erkennen – so mitten drin im Schlamassel. Und wenn einer absäuft, dann ist die Analyse, warum er ins Wasser gefallen ist, nicht unbedingt angesagt. Aber zur Zeit wird sie völlig vergessen.
Wenn die Profiteure unseres Wirtschaftssystems zuletzt zunehmend in das Häuslebauen für den US-amerikanischen Mittelstand investiert haben, dann war das nicht nur einfach profitverblendete Dummheit, sondern ein deutliches Zeichen dafür, daß überzeugende Entwicklungsperspektiven im produktiven Bereich fehlten. Die tiefere Ursache der Wirtschaftskrise ist, daß wichtige, die Wirtschaftsdynamik antreibende Technologien, Produktionsweisen und Konsummuster in ihrer Entfaltung an Grenzen stoßen, die ein einfaches „Weiter so!“ verhindern – das völlig normale Ende eines Wachstums, wie es überall in der Natur zu beobachten ist, kein Baum wächst bis zum Mond.

Die Autoindustrie gehört in Deutschland zu den Wirtschaftssparten, die über Jahrzehnte die ökonomische Dynamik mitgetragen haben. Kein Wunder: Ist doch das Auto hinsichtlich Bequemlichkeit und Flexibilität ein phantastisches Mobilitätsgefährt. Heute sind die Autohersteller neben den Banken von der Wirtschaftskrise besonders massiv betroffen. Das ist kein Zufall.

Die zerstörerischen Auswirkungen des Autoverkehrs sind mit dem zunehmenden Gesundheits- und Umweltbewußtsein nicht vereinbar. Dieser Widerspruch kann nur mit massiver Verdrängung überbrückt werden, aber auch das nicht endlos. Keine andere Technologie, die jede Woche allein in Deutschland einhundert Menschen tötet und jedes Jahr 100 000 auf grausame Weise verstümmelt, wäre in diesem Land weiterhin zugelassen. In der EU gehört der Straßenverkehr für unter 50-jährige zum größten Todesrisiko. Keine Technologie könnte heute noch eingeführt werden, die durch Feinstaub, Lärm, Ozon usw. die Gesundheit von Millionen Menschen derart schwerwiegend und nachhaltig beeinträchtigt. Die externen, das heißt nicht von den Autofahrern selbst getragenen Kosten des bundesdeutschen Autoverkehrs werden auf 50 bis über 100 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Und wir wissen, daß jetzt, heute, die Jahre, in denen wir leben und handeln, entscheidend dafür sind, ob sich ein bereits selbst weiter aufschaukelnder Prozeß der Klimaerwärmung noch zu stoppen ist. Wir wissen auch, daß wir gerade dabei sind, innerhalb weniger Jahre die in Millionen von Jahren entstandenen Erdöl- und Erdgasvorräte aufzubrauchen. Spätere Generationen  werden uns dafür verfluchen. Wenn die Folgen unseres außer Rand und Band geratenen Wirtschaftens auf die globalen Lebensverhältnisse durchschlagen, wird die Weltwirtschaftskrise des Jahres 2009 als harmloses Vorspiel erscheinen.

In dieser Situation versucht der Staat nun also, mit „Umweltprämie“ und Kfz-Steuerbefreiung die Automobilindustrie vor dem Absturz zu retten. Das scheint anzukommen – und ist doch nur die Fortsetzung des alten Verdrängungsprozesses . Schon bei der Produktion eines Autos fallen bis zu 40 Prozent der insgesamt von diesem Auto verursachten Umweltschäden an. Diese Schäden sind allerdings zum großen Teil in die Armutsregionen der Welt verlagert (zum Beispiel die „dreckige“ Produktion von Aluminium, das Autos leichter und spritsparender machen soll).

Die entscheidende Frage ist jedoch: Was wäre die Alternative zu der derzeitigen Weichenstellung, den festgefahrenen Wirtschaftskarren auf dem eingefahrenen, aber in die Sackgasse führenden Weg flottzumachen? In der chinesischen Sprache steht das Zeichen für Krise zugleich für Chance. Krise ist immer auch Chance zur Neuorientierung. Ganz nebenbei: die von allen so gefürchtete Rezession hilft durch weniger Energieverbrauch und Materialausstoß unserer arg geplagten Umwelt derzeit schon mehr als all die bisherigen halbherzigen, staatlich verordneten Umweltmaßnahmen.

Auch setzt jede Wirtschaftskrise ganz von selbst einen Prozeß der Neuorientierung auf vielen Ebenen in Gang: Wenn das Geld (tatsächlich oder vermeintlich) knapp ist, prüft jeder neu, was wirklich wichtig ist in seinem Leben und was Priorität hat: Brauche ich unter diesen Umständen ein neues Auto, schon wieder einen neuen Computer- oder die neue Handygeneration? Und: Der Niedergang von alten Wirtschaftsstrukturen schafft Raum und setzt Ressourcen frei für neue Ideen und innovative Projekte.

Die Krise als Chance für eine Neuorientierung hin zu einer zukunftsfähigen, den ökologischen und sozialen Anforderungen des 21. Jahrhunderts genügenden Ökonomie zu begreifen, hieße, den Schwerpunkt staatlicher Wirtschaftsförderung nicht auf die festsitzende Dinosaurier-Technologie, sondern auf Bildung und Qualifizierung zu setzen. Muß wirklich daran erinnert werden, daß Bildung mehr ist Crash-Kurse für Computernutzung ist?

Abschließend möchte ich mal ganz blauäugig fragen: Warum gibt es eigentlich keine Umweltprämie, wenn wir, statt mit dem subventionierten Flieger auf und davon zu jagen, mit den Kindern in der heimischen Therme toben? Wenn wir, statt das nicht mehr ganz so neue Auto zu verschrotten, es liebevoll pflegen und weniger fahren? Wenn wir in ein modernes Faltfahr-rad investieren und Rad und Öffentlichen Personennahverkehr kombinieren? Wenn wir dem Kabel- und Satellitenfernsehen entkommen und uns dafür, zum Beispiel, in der BI oder beim Nachbarn engagieren?

Foto: obs/Wilken GmbH

 

 




2009-05-24 ; von jan stehn (autor),

krise  

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