Thema: kunst

Die Prillwitzer Idole - von der Umdichtung der Wirklichkeit

Nicht nur im Wendland versucht man, durch Betonung der Geschichte die eigene Bedeutung zu erhöhen. Der Verein "Wendische Dialoge e.V." stellte am Samstag in Trebel eine skurrile Fälschungsgeschichte vor, die auch den Schweizer Objektkünstler Daniel Spoerri faszinierte.

Eigentlich war Daniel Spoerri Ende der 70er Jahre nur über ein Buch gestolpert, in welchem sich über 20 Zeichnungen von angeblichen slawischen Kultfiguren befanden, die unter einem Apfelbaum in Prillwitz (Neubrandenburg) gefunden worden waren.

Byzantinische Stilelemente waren darin ebenso enthalten wie Merkmale naiver Kunst oder germanische Einflüsse. Spoerri war fasziniert. Hier hatte offenbar eine slawische Kultur Kunstwerke hervorgebracht, die viele Gestaltungselemente vorwegnahm, die erst viel später in der Kunstgeschichte Bedeutung erlangen sollten.

Kreative Geister oder schlichtweg Betrüger?

Erst 25 Jahre später, nach Öffnung der DDR-Grenzen, erinnerte sich Spoerri wieder an die "Prillwitzer Idole", wie die Bronzestatuen genannt wurden und begab sich auf Forschungsreise nach Mecklenburg. Doch hier musste er eines schnell erkennen: die Sehnsucht nach Eigenständigkeit und Originalität dreht auch gerne die Wirklichkeit so, dass sie den eigenen Bedürfnissen entspricht. Selbst Georg III., von 1760 bis 1820 König von Großbritannien,  begeisterte sich für die angeblich altertümlichen Kultobjekte. Ein Hofmaler fertigte Zeichnungen der Kultobjekte an und die "Prillwitzer Idole" traten ihren Ruhmeszug durch halb Europa an. Über 100 Jahre wurden sie als Zeugnisse außerordentlicher Kreativität einer mächtigen slawischen Kultur, dem wendischen Stamm der Obotriten, öffentlich ausgestellt. Neubrandenburg (inkl. dem Herzog von Mecklenburg-Strelitz) war stolz auf die eigene, ach so kreative Geschichte.

Jedoch war bereits 1850 bekannt geworden, dass diese Figuren erst 1768 von zwei Goldschmieden aus Neubrandenburg, den Gebrüdern Sponholz, geschaffen worden waren. Beim Besuch eines Bekannten fielen diesem die kleinen Bronzefiguren auf. Flugs erkannten die Goldschmiede ihre Chance und erklärten die selbst geschaffenen Skulpturen zu Fundstücken aus slawischer Zeit. Angeblich habe sie ein Verwandter bei Gartenarbeiten unter einem Apfelbaum in Prillwitz gefunden. Nun galt Prillwitz zu der Zeit als "Rethra", dem mythischen Kultort der Wenden. Die Geschichte klang also glaubwürdig. In kürzester Zeit gelangten die "Prillwitzer Idole" zu nationaler Berühmtheit - und die Gebrüder Sponholz "fanden" wie zufällig in der Folge noch weitere 22 Figürchen, die zusammen mit ihren Vorgängern bis weit in das 19. Jahrhundert als wertvolle Fundstücke aus slawischer Zeit gehandelt wurden.

Kunst nach Kunst nach Kunst

Spoerri war keineswegs enttäuscht, als er von den „Fälschungen“ erfuhr. Im Gegenteil: die  tiefsitzende menschliche Sehnsucht nach Bedeutsamkeit, die offenbar so stark ist, dass sie (durchaus erkennbare) Laienkunst zu Kultobjekten erhebt, inspirierte ihn zu einer ganzen Reihe lebensgroßer Bronzeskulpturen, in denen er den Zusammenhang zwischen Kunst und Kult auf seine eigene Art thematisierte. So entwickelte er, wie der Kulturvermittler Bazon Brock es beschrieb, als Künstler „eine Art von experimenteller Geschichtsschreibung, indem er die Zusammenhänge zwischen Kunst und Kult in Objekten realisierte“. Nicht zuletzt verhalf Spoerri so den längst vergessenen kleinen „Fälschungen“ zweier Goldschmiede aus Neubrandenburg zu neuer Bedeutung.

In Trebel erzählte die Vietzer Ex-Journalistin Christa Tornow die Geschichte der Forschungsreise Daniel Spoerris und Dr. Rolf Voss, Museumsleiter des Regionalmuseums in Neubrandenburg berichtete über seine Begegnungen mit dem Schweizer Objektkünstler. Außerdem führte er in die Geschichte der Wenden in Neubrandenburg ein. Ein Dokumentarfilm berichtete zusätzlich über die Arbeit Daniel Spoerris an den „Prillwitzer Idolen", die 2006 erstmalig vollständig ausgestellt wurden. 

BU: Über die seltsame Geschichte der „Prillwitzer Idole“ (eine zeitgenössische Zeichnung siehe links) berichtete am Samstag in Trebel u. a. der Museumsleiter des Regionalmuseums Neubrandenburg, Dr. Rolf Voß.

Literatur:





2014-01-20 ; von Angelika Blank (autor),
in Hauptstraße, 29494 Trebel, Deutschland

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