Am Freitag vergangener Woche starb unser Freund, der Theaterregisseur und Schauspieler Jochen Fölster im Alter von 69 Jahren an den Folgen eines Krebsleidens. Ein Nachruf.
Es gibt Menschen, die sich Anderen sofort erschließen. Jochen Fölster gehörte mit Sicherheit nicht dazu. Der Zugang zum Menschen „Jochen“ funktionierte über die Auseinandersetzung mit Inszenierungsformen, Rollenverständnis oder Dramaturgie - alles was Theater ausmacht eben. Der Bühne, dem Schauspiel, der Umsetzung von interessanten Stoffen für das Theater gehörte Jochens ganze Leidenschaft.
„Was nichts mit Theater zu tun hat, interessierte ihn nur am Rande,“ sagt Roswitha Ziegler, seine Ehefrau. „Ein Zitat aus Shakespeares 'Wie Es euch gefällt' könnte als Motto über Jochens Leben stehen: „Die ganze Welt ist Bühne. Und alle Fraun und Männer bloße Spieler. Sie treten aufund geben wieder ab. Sein Leben lang spielt einer manche Rollen. Durch
sieben Akte hin.“
So habe ich Jochen auch erlebt: als einen Menschen, der sich fast todesmutig auf die extremsten Rollen einlässt, auch wenn sie ihm verdammt nahe kommen. Schon von einer Lungenkrankheit angekratzt, sagte er dennoch sofort zu, einen Text aus „Das letzte Band“ von Beckett zu lesen, in dem der todkranke, sterbende Protagonist mit schwacher Stimme, unterbrochen von heftigen Hustenkrämpfen, über die Tonbänder seines Lebens räsoniert.
Gefragt, ob er sich diese heftige Rolle wirklich zumuten wolle, antwortete Jochen fast beleidigt: „Wieso, das ist doch ein hervorragender Text!“ Sprachs und lieferte so eine beeindruckende Aufnahme ab, dass nichts mehr wiederholt oder geschnitten werden musste.
War es die Nachkriegs-Kindheit in Berlin-Charlottenburg, die er mit vier Geschwistern, einer Großmutter und den Eltern in einer Zwei-Zimmerwohnung verbrachte, die ihn so unnahbar werden ließ? Die Trümmerhäuser der Nachbarschaft wurden für ihn zu einer Art Abenteuerspielplatz. Früh war es Jochens Traum, Schauspieler zu werden, eine Theaterlaufbahn einzuschlagen und natürlich irgendwann große Rollen in berühmten Theatern zu spielen.
Erste Engagements in Marburg, Bremen, Heidelberg und Pforzheim führten ihn in die Welt der Stadttheater ein. Doch in den 68er Jahrenpolitisierte er sich und begann, die Hierarchie des Stadt-Theater-Daseins kritisch zu hinterfragen.
In der Folge entwickelte er unter dem Eindruck der 68er-Bewegung ein eigenes Verständnis von Theaterarbeit: Theater sollte nach Jochens Vorstellungen gesellschaftlichen Bezug haben, sollte aufklären und Mut machen, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Genervt von der starren Hierarchie in einem festen Haus entstand gemeinsam mit seiner ersten Frau Verena Reichhardt die Idee, eine freie Theatergruppe zu gründen. Beide träumten den Traum, sich mit Pferd und Wagen als fahrende Komödianten selbständig zu machen. Dieser Traum wurde für kurze Zeit mit einer Agit Prop Revue gegen Atomkraft in Brokdorf verwirklicht.
Sein Gerechtigkeits- und Freiheitsdrang führte dann dazu, dass seine Arbeit am Neumarkt-Theater in Zürich nach kurzer Zeit ihr Ende fand, weil Konflikte mit der Theaterleitung um Mitbestimmung am Theater nicht zu lösen waren. „Nie hat Jochen Kompromisse gemacht, immer hat er sich im Sinne von Gerechtigkeit und Mitsprache auf die Seite der Schauspieler gestellt,“ so Roswitha Ziegler. „Negative Konsequenzen, die daraus folgten, waren ihm egal. Diplomatie war nie sein Ding.“
Dementsprechend konsequent war denn auch der Ausstieg aus dem konventionellen Theaterbetrieb und die Gründung der „TheaterwehrBrandheide.“ Ab 1977 lebte die Gruppe, zu der u.a. Verena Reichhardt, Wolfram Moser, Werner Koller, Helen Kubel, Wolfgang Kragler und andere gehörten in einem Forsthaus bei Wirl. In dieser Zeit kam Jochen seinem Traum vielleicht am nächsten: alle Ensemblemitglieder lebten zusammen, diskutierten Lebensformen, neue Inszenierungen und Stücke und beteiligten sich mit Theaterstücken, Aktionen und Performances am Widerstand gegen die Atomanlagen in Gorleben. Politik, Kunst und Leben verschmolzen, wurden zu einer Einheit. Es herrschte Aufbruchstimmung. Endlich konnte Jochen mit gleichgesinnten Freunden an den Projekten arbeiten, die ihm wirklich am Herzen lagen, konnten seine Vorstellungen von „Freiheit und Demokratie“ über das Theater vermitteln.
Als „Akzeptanzforscher“ wurde Jochen in dem Film „Zwischenzeit“ der Wendländischen Filmkooperative bekannt. Diese Rolle trug ihm sogar den Preis der Dt. Filmkritik ein.
Die furiose Zeit mit der Theaterwehr Brandheide dauerte nicht lange. Die Gruppe trennte sich. Jochen tat sich mit Roswitha Ziegler zusammen und arbeitete fortan zweigleisig: als Regisseur inszenierte er für verschiedene Bühnen in Göttingen, Tübingen und Heidelberg, Hannover, Stuttgart oder Ulm vor allem Kinder- und Jugendstücke. Als Schauspieler und Mitdenker war er immer noch ein wichtiger Teil der Wendländischen Filmkooperative.
Vor vier Jahren dann beschloss Jochen, dass er für die Regie von Kinder- und Jugendstücken vielleicht doch etwas zu alt sei und hörte mit der Regiearbeit auf. Konkrete Pläne für Theaterprojekte in Lüchow-Dannenberg musste er dann allerdings ad acta legen, weil er krankheitsbedingt einfach keine Kraft mehr hatte, das zu tun, was ihm das Liebste war: Zusammen mit Schauspielern an einer Inszenierung zu arbeiten.
Und selbst über seinen letzten Tagen könnte ein Zitat von Shakespeare stehen:
„Der letzte Akt, mit dem Die seltsam wechselnde Geschichte schließt, Ist zweite Kindheit, gänzliches Vergessen, …“
(Wie es Euch gefällt)