Während Umweltminister Hans-Heinrich Sander am Samstag unter dem Beifall seiner CDU-Kreistagsabgeordneten noch fröhlich Sperrelemente für den Hitzackeraner Hochwasserschutz heran trug, drohte Ärger aus Berlin: Bundesagrarministerin Aigner forderte nicht nur seinen Rücktritt, sondern auch den von Staatssekretär Ripke.
Am Freitag hatte sich die Bundesumweltministerin beim Landesamt für Verbraucherschutz in Oldenburg über die Lage in Niedersachsen und daraus folgende Maßnahmen informiert. Bei diesem Termin war Aigner weder von Ministerpräsident McAllister, der ebenfalls an dem abendlichen Termin teilnahm, noch von Minister Sander oder Staatssekretär Ripke mitgeteilt worden, dass weitere mehr als 900 Betriebe gesperrt werden müssten, nachdem ein Futtermittelhersteller aus Damme Lieferdaten zurückgehalten hatte und so weiterhin 934 Betriebe mit belasteten Futtermitteln beliefern konnte. Die Ministerin fühlte sich vom niedersächsischen Ministerium getäuscht.
Am Samstag Vormittag hatte Ministerpräsident McAllister in einer Presseerklärung mitgeteilt, dass weitere rund 900 Betriebe gesperrt worden seien, nachdem das LAVES festgestellt hatte, dass "ein Futtermittelhersteller aus Damme zu wenige Betriebe im Verhältnis zu seiner Betriebsgröße übersandt hatte". Die Staatsanwalt sei umgehend über diesen Umstand informiert worden. "Es muss davon ausgegangen werden, dass zirka zehn Tage Endprodukte, hier in erster Linie Eier, in den Markt gelangt sein könnten. ... Warum die betroffene Firma verspätet und erst auf massiven Druck der Behörden die vollständigen Listen geliefert hat, wird derzeit geklärt", so McAllister.
Aigner würde nach diesen Vorgängen am liebsten die Kontrollpraxis der Länder überprüfen, doch das verbiete ihr das Grundgesetz, bedauerte die Agrarministerin am Samstag in den Medien. Wütend forderte die Aigner Ministerpräsident McAllister auf, bis Samstag Abend personelle Konsequenzen zu ziehen. Doch die Frist verstrich ohne niedersächsische Reaktion.
Statt dessen zeigte sich Umweltminister Sander am Samstag Vormittag bestens gelaunt beim Sperrelemente-Schleppen in Hitzacker, eifrig beklatscht von seinen Koalitionskolleg/innen aus der Region. Sander leitet derzeit kommissarisch auch das Agrarministerium, bis der designierte neue Agrarminister Gerd Lindemann vereidigt ist. Ministerpräsident McAllister wiederum verabschiedete währenddessen in Hannover niedersächsische Soldaten in den Afghanistan-Einsatz. Auch hier war von ihm keine Reaktion auf die bundesministerielle Schelte zu hören.
Aigner selbst sah sich seit Donnerstag Kritik der Bundeskanzlerin ausgesetzt. Flugs präsentierte sie daraufhin am Freitag einen 10-Punkte-Aktionsplan, der in Zukunft dafür sorgen soll, dass ähnliche Skandale nicht mehr vorkommen können. Doch angesichts ader Tatsache, dass in den vergangenen Jahren auch von CDU-Ministern immer wieder radikale Vorschläge in Richtung Verbraucherschutz gemacht worden waren, die nach massiven Einreden der Ernährungs-Lobby nie umgesetzt worden sind, steht zu befürchten, dass es auch Aigners neuestem Vorstoß so gehen wird wie all seinen Vorgängern: er wird in einer ministeriellen Schublade verschwinden.
Grüne: GAU des gesamten Krisenmanagements
Der Fraktionsvorsitzende der Landtagsgrünen Stefan Wenzel war sich ausnahmweise einmal mit der CDU-Bundesministerin einig. Von einem "GAU des gesamten Krisenmanagements von Landes- und Bundesregierung" sprach Wenzel am Samstag. Die Ministerien würden zum Tollhaus. "Die Verantwortlichen sind offenbar nicht mehr Herr und Frau des Verfahrens", sagte der Grünen-Politiker.
"Solch eine katastrophale Fehlleistung - nachdem man tagelang behauptet hatte alles im Griff zu haben - ist durch nichts zu entschuldigen. Damit ist auch das letzte Vertrauen in das Regierungshandeln zerstört. Wenn Umweltminister Sander und Staatssekretär Ripke am Freitag Abend beim Besuch im Landesamt in Oldenburg weitere Kenntnisse hatten und verschwiegen haben, dass zusätzlich 943 Betriebe gesperrt werden müssen, dann muss Ministerpräsident McAllister seinen beiden Regierungsvertretern sofort die Verantwortung entziehen! Personelle Konsequenzen sind jetzt unabweisbar."
Die niedersächsische Landesregierung hat sich bislang geweigert alle Futtermittelbetriebe zu nennen, die dioxinhaltiges Futter vertrieben hatten. Offenbar hätten einige Betriebe diesen Schutzraum genutzt und nur selektiv die Namen ihrer Kunden zur Verfügung gestellt. Deshalb müsse auch geklärt werden, welche Vertriebsstrukturen den Augen der Öffentlichkeit gezielt entzogen wurden und wer davon zu welchem Zeitpunkt Kenntnis hatte, so Wenzel weiter.
Ähnliche Forderungen gibt es auch von der LINKE im niedersächsischen Landtag. Hans-Henning Adler, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Niedersächsischen Landtag: "Die Schelte der Bundeslandwirtschaftsministerin ist ein einmaliger Vorgang: Eine schwarz-gelbe Bundesministerin fordert Konsequenzen von einem schwarz-gelben Landeskabinett. Der Skandal wirft ein dunkles Licht auf Niedersachsens Regierungschef David McAllister. Er hat sein Kabinett offenkundig nicht im Griff. Das Krisenmanagement der Landesregierung ist eine Katastrophe. Umweltminister Hans-Heinrich Sander und Agrar-Staatssekretär Friedrich-Otto Ripke als Krisenmanager des zuständigen Ministeriums müssen zurücktreten. Ripke hatte kürzlich noch erklärt, die Situation sei unter Kontrolle - das erweist sich jetzt als falsch."
Foto: Struktur von 1,3,7,8-Tetrachlor-2-hydroxydibenzo-p-dioxin (OH-TCDD)