Zwar sind in Lüchow-Dannenberg noch keine Geflügel- oder Schweinemastbetriebe wegen des Verdachts auf Dioxin-verseuchten Futters gesperrt werden. Aber auch hierzulande wird überprüft, ob und wie viele Betriebe womöglich betroffen sind. Unterdessen hat das Landwirtschaftsministerium angeordnet, dass alle betroffenen Betriebe ihre Vermarktung bis auf weiteres einstellen müssen.
Nach Mitteilung des Landwirtschaftsministeriums soll die flächendeckende Überwachungsaktion bereits am 23. Dezember 2010 angelaufen sein. "Überprüft wurden Mischfuttermittelhersteller, die diese Fettkomponente bei der Herstellung ihrer Futtermittel in unterschiedlichen Anteilen verwendet haben. Da in der Folge nicht ausgeschossen werden konnte, dass sich entsprechende Belastungen der Lebensmittel ergeben, wurde die Vermarktung von Eiern betroffener Betriebe vorsorglich eingestellt", heißt es in der Mitteilung des Ministeriums. Auf den Internetseiten des Ministeriums ist eine chronologische Übersicht der Geschehnisse nachzulesen - click!
Im Rahmen umfangreicher amtlicher Probenuntersuchungen wurden in Einzelfällen Überschreitungen des Höchstgehaltes festgestellt. Die betroffenen Betriebe bleiben bis zur Vorlage unbedenklicher Ergebnisse gesperrt, so das Ministerium. Betriebe in Lüchow-Dannenberg sind nach Auskunft der Kreisverwaltung bisher nicht betroffen.
Für die Verbraucher sieht das niedersächsische Landwirtschaftsministerium "keine unmittelbare gesundheitliche Beeinträchtigung" und verweist auf eine entsprechende Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung von Mai 2010. "Aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes sollte allerdings die Belastung mit Dioxinen so weit wie möglich minimiert werden", so der Ratschlag des Ministeriums.
AbL: Landwirte Opfer agrarindustrieller Strukturen
Beim erneuten Dioxinskandal sieht die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) die betroffenen Landwirte abermals als „Opfer agrarindustrieller Strukturen in der Futtermittelindustrie“. Eine extrem kostenminimierendere Futter-Industrie mische eine Unzahl von oftmals zweifelhaften Kompenenten zusammen und sei wegen der verschlungenen Wege dieser chemischen Zutaten kaum noch kontrolliertbar. Insofern werde selbst durch die andauernden Futtermittel-Skandale lediglich die „Spitze eines schmutzigen Eisberges“ aufgedeckt. Offenbar würden manche chemische Reststoffe dem Futter beigemengt, um Entsorgungskosten zu sparen. Anhang III der EU-Futtermittel-Verordnung benenne als „verbotene Materialien“ lediglich: Fäkalien, gegerbte Häute, pestizidbelastetes Saatgut, holzschutzmittelbelastete Stoffe, Materialien aus Abwässern und festen Siedlungsmüll...
AbL-Sprecher Eckehard Niemann forderte im Interesse von Verbrauchern und Landwirten eine klare und wesentlich enger gefasste Positivliste von Rohstoffen, die in Mischfutter Verwendung finden dürften. Diese Inhaltsstoffe müssten in einer „offenen Deklaration“ auch mengenmäßig wieder klar angegeben werden. Die Agrarpolitik müsse zudem endlich dafür sorgen, dass Futtermittel wieder hauptsächlich auf den eigenen Futterflächen der Landwirtschaftsbetriebe erzeugt würden. Durch ein Bauverbot müssten flächenunabhängige und damit total mischfuttermittelabhängige Tierhaltungsfabriken systematisch zurück gedrängt würden. Die AbL forderte die Politik auf, für einen vollständigen Schadenersatz der betroffenen Landwirte zu sorgen.
Grüne fordern Sondersitzung des Agrarausschusses
Angesichts des Dioxin-Skandals und der Sperrung von 1000 Höfen in Niedersachsen, fordern die Landtagsgrünen eine unverzügliche Sondersitzung des Agrarausschusses im Landtag. "Wir wollen wissen, wie das krebserregende Dioxin ins Ei kam und was die möglichen Folgen für die Betriebe und die Gesundheit der Verbraucher sind", sagte der stellv. Fraktionsvorsitzende Christian Meyer in Hannover. Nach Ansicht der Grünen müsse die Landesregierung auch aufklären, warum sie - im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen - nach den ersten Dioxinfunden im Tierfutter so lange gezögert hat und allein zwischen Weihnachten und Neujahr weitere 3 Millionen dioxinverdächtige Eier aus Niedersachsen in den Handel geraten und verzehrt werden konnten.
"Die Landesregierung hat zumindest fahrlässig, wenn nicht verantwortungslos gehandelt und erhebliche Mängel beim vorbeugenden Verbraucherschutz im Lande gezeigt. Das muss Konsequenzen und Veränderungen bei den Kontroll- und Meldestrukturen haben!", forderte Meyer. Dass das Haus mit dem Interims-Agrarminister Sander "kopf- und führungslos" sei, dürfe nicht auf dem Rücken von Bauern und Verbrauchern ausgetragen werden. "Auch in der Nach-Weihnachtszeit haben die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch auf gesunde Lebensmittel ohne Giftstoffe. Der Verbraucherschutz muss stets Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen der Betreiber und Verharmlosungen der Agrarindustrie haben", sagte der Agrarexperte.
Mit der Sondersitzung des Agrarausschusses wollen die Grünen auch Erkenntnisse über die gesamte Kette des Dioxin-Skandals erhalten. "Wie kann es sein, dass industrielle Abfälle bei der Biodiesel-Erzeugung im Tierfutter landen? Warum gibt es keine Kontrollen der Zulieferer auf Giftstoffe? Sind die Dokumente der Lieferanten vollständig überprüft worden? Ist die personelle und technische Ausstattung im Verbraucherschutz ausreichend? Wie lief die Abstimmung zwischen den Bundesländern? Warum wurde in Niedersachsen zunächst ausgeschlossen, dass es auch in Eiern eine erhöhte Dioxinbelastung geben kann? Wer haftet und kommt für den Millionenschaden auf? Welche Hilfe bekommen Landwirte, die verunreinigtes Futter bekommen haben? Werden jetzt auch die Eier aus den belasteten Betrieben aus dem Handel zurückgerufen? Warum werden die Verbraucher nicht über die Namen der belasteten Firmen und Handelsmarken informiert, so dass sie deren Produkte meiden können?", formulierte Meyer einige Fragen.
"Das Parlament muss jetzt vollständig über den größten Dioxinskandal der letzten Jahre informiert werden, um Konsequenzen im Sinne einer grundlegenden Verbesserung des Verbraucherschutzes zu ziehen. Das Frühstücksei muss genauso wie andere Lebensmittel giftfrei sein. Es muss vollständig transparent sein, wie und womit das Huhn gefüttert wurde", so Meyer abschließend.
Auch DIE LINKE im Landtag hat die Landesregierung aufgefordert, sich grundsätzlich mit dem Thema Dioxin in Futtermitteln zu befassen und den Verbraucherschutz in Niedersachsen zu stärken. "Wir brauchen mehr Kontrollen, um die Verbraucher vor Dioxinbelastungen in Lebensmitteln zu schützen. Gleichzeitig müssen die Ursachen bekämpft werden", sagte die agrarpolitische Sprecherin der Fraktion, Marianne König.
Die Landesregierung sei auch bei dem neuerlichen Dioxin-Skandal in den Reflex des Zögerns und der Zurückhaltung verfallen, anstatt das Problem offensiv anzugehen. "Die Vorschriften bei der Futtermittelherstellung reichen offenbar nicht aus, um eine unsachgemäße Produktion zu verhindern. Diese Richtlinien müssen jetzt geprüft und verändert werden", so König.