„Dioxin ist überall vorhanden und entsteht jeden Tag neu“ so die alarmierende Nachricht aus dem niedersächsischen Ministerium für Verbraucherschutz. Und dl-PCB, ein dioxinähnlicher Stoff, wird immer noch nachgewiesen, obwohl seine Herstellung schon 1983 in Deutschland vollständig eingestellt wurde. Durch aktuelle landesweite Verzehrwarnungen für belastete Schafleber rückte das Thema wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Wie kann es sein, dass auch in Schaflebern grenzwertüberschreitend hohe Belastungen an Dioxin und dl-PCB gefunden wurden, die weitab aller als belastet bekannten Flächen ihre Weiden abgegrast haben? Und die kein Zusatzfutter außer dem Gras auf „ihrer“ Weide bekommen haben? Dabei beschränken sich die Belastungen nicht wie bisher angenommen, auf die Überschwemmungsgebiete der Elbe. Flächendeckend weisen die weisen untersuchte Schaflebern so hohe Dioxin- und dl-PCB-Belastungen auf, dass nicht nur in Niedersachsen, sondern bundesweit vor dem Verzehr von Schaflebern gewarnt wird.
Die trübe Antwort ist: niemand scheint derzeit zu wissen, woher die allgegenwärtige Belastung mit Dioxinen und dl-PCB herkommt. „Wir können es uns derzeit nicht erklären, aber die Belastungen wurden flächendeckend nachgewiesen“, so Dr. Eberhard Hauenhorst, Präsident des Landesamtes für Verbraucherschutz (LAVES) gestern in einem Gespräch mit wnet. „Das Phänomen ist bundesweit aufgetreten und wird dementsprechend auch bundesweit untersucht.“
Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin weiß keine Antwort. Das Forschungsinstitut wertet lediglich die Belastungen in Futter- und Lebensmitteln aus, kann aber über die Ursachen nichts sagen.
Beim Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (NMELV) hat man immerhin zur Dioxinbelastung einige Hinweise - und entsprechende Konsequenzen gezogen. „Dioxine entstehen jeden Tag neu. Bei jeder Kerze, die verbrennt, bei jedem Osterfeuer oder dem Betrieb eines Ofens mit fossilen Brennstoffen entsteht Dioxin. Deswegen gibt es auch seit einiger Zeit strengere Vorschriften für Großfeuer und Feueranlagen.“ Für die Pressesprecherin des NMELV handelt es sich hierbei jedoch um eine sogenannte „Hintergrundbelastung“, die nicht zu gesundheitlichen Schäden führt. In Lebern von Schafen reichert sich Dioxin allerdings – ebenfalls aus bisher nicht endgültig geklärten Gründen – besonders an, so dass es bei einem wöchentlichen Verzehr von Schaflebern zu Gesundheitsschäden kommen kann.
Bei dl-PCB, einem dioxinähnlichen Stoff, muss auch die Pressesprecherin passen. „Die nachgewiesenen Belastungen mit PCB nehmen zwar kontinuierlich ab. Trotzdem: obwohl die PCB-Herstellung bereits 1983, seine offene Anwendung sogar schon 1978 verboten wurde, finden wir immer noch Belastungen mit diesem Stoff in Luft, Wasser, Boden – und eben in konzentrierter Form in Schaflebern.“
PCB wurde in Deutschland seit 1929 industriell hergestellt. Bis zu seinem Verbot im Jahre 1983 wurden von diesem Stoff insgesamt 1,5 mio. to hergestellt und in Verkehr gebracht. Als Kühlmittel für Transformatoren, aber auch als Inhaltsstoff von Schmiermitteln, Kunststoffen, Wachsen sowie Imprägnier- und Flammschutzprodukten fand der Stoff vielfältige Anwendung. „Definitiv ist PCB heute noch überall vorhanden. Doch wo kommt es her? Wird es vom Boden ausgedünstet? Man weiß es nicht. Tatsächlich wird das Thema bundesweit diskutiert, doch niemand hat derzeit eine Ahnung, wie und warum sich der Stoff immer noch in der Umwelt befindet“, so die Pressesprecherin des NMELV.
Unterdessen fragen sich nicht nur die betroffenen Schäfer in Lüchow-Dannenberg, was sie tun können, um die ominöse Belastung ihrer Schafe zu vermeiden. Die Tiere 106 m hoch auf den Höhbeck zu stellen nutzt offensichtlich ebenso wenig, wie sie nur noch im überschwemmungsfreien Hinterland grasen zu lassen.
Foto /Hokuzai/ Jost Jahn @ Wikipedia : Obwohl im Sinne der Art keine Schafe, sind Heidschnucken von der Dioxin-Problematik genauso betroffen. wikimedia.org