Thema: endlagersuche

"Ein bißchen unbeschwerter leben, aber ..."

Was sagen Gorlebengegner, die teils seit Jahrzehnten gegen ein Endlager in Gorleben gekämpft haben? Sind sie jetzt glücklich und fühlen sie sich als Sieger? Gibt es jetzt Änderungen in ihrem Leben?

43 Jahre aktiver Widerstand - das hieß auch viel Arbeit, viele Auseinandersetzungen - "und immer mit dem Kopf beim Thema" wie es jemand ausdrückte. 43 Jahre lang immer wieder die gleiche Argumente vorbringen - auf der Straße, in Gremien, Ausschüssen und Fachkommissionen.

Das hat auf einmal Erfolg - und dann auch noch mit den gleichen Argumenten, die jahrzehntelang gebetsmühlenartig immer wieder vorgetragen worden waren. Macht das glücklich, entsteht das Gefühl, Sieger zu sein? Ändert das Aus für Gorleben auch so manches Leben? Wir befragten einige Menschen auf der "Jubel"feier am (ehemaligen) Erkundungsbergwerk.

Verena - Schauspielerin:

Es ist toll, dass es Gorleben als Standort nicht mehr gibt. Fühle ich mich als Siegerin? Nein, ich alleine auf jeden Fall nicht ... und ich weiß auch nicht, ob das jetzt allein unser Verdienst ist - vielleicht wäre es auch ohne uns so gekommen. Nein, an meinem Leben ändert sich nichts - das Problem ist ja noch da. Es ist ja nicht weg.

Kerstin - Schauspielerin:

Ob ich glücklich bin? ... es gibt tausend Gründe für Glück ... auf jeden Fall ist das Aus für Gorleben ein Grund für große Freude. Es ist schon ein geiles Gefühl, dass all dieser Widerstand über Wochen, Monate und Jahre erfolgreich war.  Aber ich finde es immer noch richtig Scheiße, dass jeden Tag Tonnen an Atommüll produziert werden und keiner weiß, wohin der Müll soll.

Drei junge Frauen:

"Glücklich? Auf jeden Fall ist es schön, dass der Müll jetzt hier nicht hinkommt. Aber es bleibt immer noch die Frage, wo er denn jetzt hinkommt? Sich als Sieger fühlen? Ist schwierig zu sagen. ... Wir können hier jetzt ein bißchen unbeschwerter leben. Aber wenn es hier nicht ist, triffts halt jemand anders, was schade ist"

"Ich denke, dass ich mich jetzt hier länger wohlfühlen kann und nicht den Drang habe, irgendwo anders hin zu müssen. Nur weil man jetzt woanders lagert, geht die Strahlung ja nicht weg."

"Auch ich kann mir jetzt vorstellen, hier länger zu bleiben."

Peter - Drehbuchautor und Regisseur

Natürlich bin ich glücklich. Das ist ja wirklich ein halbes Leben gewesen, dass uns dieses Problem begleitet hat. Und jetzt steht es Anderen bevor. Ich denke, es ist jetzt unsere Aufgabe, denen Beistand zu geben - nicht Widerstand zu leisten, aber die Erfahrungen mit politischen Tricks und all dem weiterzugeben.

Als Sieger fühlen? Sagen wir mal so, es ist ein schöner Abschluss - das entschädigt mich für all die Nächte, Quälereien, Fantasien und Ideen – aber es hat ja weiß Gott auch Spaß gemacht. Dass das alles jetzt zum Erfolg geführt hat - das hat schon gut getan.

Gisi - Schafhalter

Glücklich? Das ist übertrieben, aber ich bin froh, dass wir ein Stückchen weiter sind. Es ist schon eine Genugtuung, dass Politik und Wissenschat unsere Argumente übernehmen.

Mein Leben wird sich nicht ändern. Aber in der Bäuerlichen Notgemeinschaft wird jetzt schon diskutiert, wie das mit den Castorbehältern ausgeht. Da stehen noch 113 im Zwischenlager. Und da sind einige dabei, die mit abgebrannten Brennelementen gefüllt sind.

Wenn ich höre, dass in den USA einige Castorbehälter aufgeschnitten worden sind und das darin sehr übel aussah ... Und sowas liegt hier. Ende 2034 läuft die Betriebsgenehmigung für das Zwischenlager aus und wir wissen nicht, ob und wie die Castoren hier wieder wegtransportiert werden. Womöglich laden sie das auf und die Scheiße fällt in sich zusammen.

Gottfried Mahlke - Pastor

Ja, ich bin glücklich - dafür haben wir 43 Jahre gekämpft, dass das jetzt so ist. Aber ich sehe mich nicht als Sieger. Dafür ist die ganze Problematik zu umfangreich. Es geht um 5G, es geht um Klima, es geht um Rüstung … es gibt ganz viele Sachen, wo es nötig ist, die Welt zu verändern.

Ich werde mehr dafür kämpfen, dass Vertrauen in der Bevölkerung entsteht und dass Politik dafür sorgt, dass Mensch ihr wieder vertrauen kann. Nicht nur einfach Befehle geben - mit Masken und so etwas - sondern durchschaubare Entscheidungen mit der Bevölkerung finden.

Christian - Anwalt

Glücklich ist das falsche Wort. Natürlich bin ich zufrieden, dass das Endlager gekippt ist.  Aber es bleibt ja noch sehr viel Arbeit, das ganze Atommüllproblem zu lösen. Den Weg muss man jetzt weitergehen, auf der Suche nach einem geeigneten Ort. Man kann nicht einach gar nichts machen. Der Müll ist ja da.

Nein, als Sieger fühle ich mich nicht - das kann man nicht sagen. Das ist eine Etappe in einem langen Prozess. Das ganze Leben habe ich mit diesem Thema auseinandergesetzt. Da glaube ich nicht, dass mein Leben sich ändert. Das wird wohl so bleiben, dass man sich da Gedanken macht.

Eckhard Kruse - Pastor

Das ist ein Meilenstein - und ein ganz großer Moment. Als ich 21 Jahre alt war, habe ich darüber nachgedacht, habe ich mir zeigen lassen, was mit dem Nuklearen Entsorgungszentrum werden soll. Jetzt bin ich 64 Jahre alt - und würde schon heute den 21-jährigen sagen, dass das hier eine Lebensaufgabe ist.

Sieger? Nein. Es ist einfach so, dass alles was wir gesagt haben richtig war. Immer wieder haben wir die gleichen Argumente vorgetragen.  Ich bin immer noch entsetzt darüber, dass es so lange gedauert hat, bis man darauf gehört hat.

Als die Polizei nach einem Castortransport einmal wegfuhr und „we are the champions“ spielte – da haben sie sich als Sieger gefühlt. Aber sie sind die Verlierer gewesen.

Für mich wird sich das Leben schon ändern. Ich werde die ganze (Gorleben)Endlagergeschichte zusammentragen und mich als Chronist betätigen. Und ich werde die Kirchengemeinden beraten, die jetzt betroffen sein werden.

Foto | Andreas Conradt: Bei der letzten Schachtfahrt im April 2019 waren einige Stollen schon abgesperrt.










2020-10-04 ; von Angelika Blank (text),
in 29475 Gorleben, Deutschland

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