1. Akt: die Minister Sander und Hirche schreiben einen Brief:
Am 19. Juni (!) schrieben die beiden niedersächsischen Minister einen Brief an Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee. In dem dreiseitigen BRIEF bitten sie Tiefensee ausdrücklich und mehrfach, auf einen Ausbau der Elbe zu verzichten. Dabei verweisen sie auch auf einen Landtagsbeschluss von Dezember 2007, nach dem die Landesregierung aufgefordert ist, „sich bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass Unterhaltungsmaßnahmen an der Mittelelbe nur im notwendigen Umfang und unter Berücksichtigung ökologischer Erfordernisse erfolgen, weitere Ausbaupläne nicht mehr verfolgt werden und statt dessen ein verstärktes Augenmerk auf die Optimierung der Nutzbarkeit des Elbe-Seitenkanals gerichtet wird.“
Genau dies tun die beiden Minister mit ihrem Schreiben vom 19.06. In mehreren langen Abschnitten wird ausgeführt, warum Investitionen an der Elbe aufgrund der ökologischen Bedeutsamkeit des Flusses nur „auf bestands- und kapazitätserhaltende Maßnahmen beschränkt“ bleiben sollten. Dringlicher sei es, die Ertüchtigung des Elbe-Seitenkanals als sinnvolle Alternative zur Elbe engagiert in den Focus zu nehmen. Zwar wollen auch Sander und Hirche die Potenziale der niedersächsischen See- und Binnenhäf wirksam ausgeschöpft sehen. Doch dabei setzen die beiden vor allem auf die Kanäle, insbesondere den Elbe-Seitenkanal als zentrale Transportwege.
2. Akt: Die Landtagsabgeordnete Bertholdes-Sandrock (CDU) gibt eine Pressemeldung heraus
Am 4. August – also mitten in der Sommerpause – gibt Frau Bertholdes-Sandrock eine Pressemitteilung heraus, in der sie aus dem dreieinhalb Seiten langen BRIEF der beiden Minister nur einige wenige Aussagen übernimmt. „Wir aus der Region Lüchow-Dannenberg wollen unsere Landesregierung bei ihrer Forderung nach Unterhaltung der Elbe-Reststrecke Hitzacker-Dömitz gegenüber dem Bund unterstützen“, heisst es in der Pressemitteilung. Und: „Ich begrüsse, dass sowohl der niedersächsische Umwelt- als auch der Wirtschaftsminister sich in einem gemeinsamen Schreiben an den Bundesverkehrsminister Tiefensee gewandt haben, um durch diese Instandsetzung der Reststrecke eine ganzjährige Schiffbarkeit der Elbe zu gewährleisten.“
Dann fordert die Landtagsabgeordnete noch, „dass im Bereich des ca. 13 km langen Elbe-Abschnittes zwischen Dömitz und Hitzacker, in dem als einzigem Teilstück vor dem 2. Weltkrieg die Niedrigwasserregelung nicht mehr vollendet wurde, durch strombauliche Maßnahmen gleichwertige Tiefenverhältnisse wie im übrigen Verlauf der Elbe erreicht werden. Hier geht es also nicht um eine zweifelhafte Vertiefung der Elbe, sondern lediglich darum, dass auf der Reststrecke genau dieselbe Tiefe herrscht wie auf den Abschnitten davor und dahinter.“
3. Akt: Die Linken entdecken das Thema
Am 17. August greift der Landtagsabgeordnete der LINKE, Kurt Herzog, in einer Pressemeldung wütend Umweltminister Sander an. "Jetzt erfahren wir, dass Sander beim Bundesverkehrsminister den Ausbau der Elbe in diesem Bereich hinter dem Rücken des Landtags brieflich eingefordert hat. Es ist bezeichnend für die CDU/FDP-Politik, dass Parlamentsbeschlüsse missachtet werden und Ministerworte inzwischen eine Haltbarkeitsdauer von einem halben Jahr haben“, heißt es in der Pressemeldung. Der Minister müsse sich statt dessen dringend zum Schutz der Flusslandschaft Elbtalaue bekennen, so Herzog weiter.
Auf die Frage nach dem BRIEF muss Herzog zugeben, das Schreiben der Minister Sander und Hirche nie gesehen zu haben. Er bezog sich in seiner Pressemitteilung lediglich auf einen Artikel in der Lüchow-Dannenberger Lokalzeitung, die die Ansichten von Frau Bertholdes-Sandrock mehr oder weniger ungekürzt abgedruckt hatte.
In der Pressemitteilung der LINKEN sahen nun wiederum die GRÜNEN Grund zu einer Stellungnahme. Auch sie verurteilten scharf das Verhalten Sanders.
Der eigentliche BRIEF allerdings, den die beiden Minister wie gesagt bereis Mitte Juni abgeschickt hatten, blieb zunächst verschollen. Über zwei Tage hinweg suchte die Pressesprecherin von Minister Sander danach. Dann kam die Meldung: diesen BRIEF gibt es nicht. Von der Kreisverwaltung in Lüchow-Dannenberg wussten wir aber inzwischen, dass es den BRIEF sehr wohl gibt. Vor einigen Wochen war er über den Tisch des zuständigen Fachdienstleiters gegangen – dann allerdings ohne Kopie an den Verwaltungsvorstand zurückgegeben worden. Dort war niemand erreichbar, so dass DER BRIEF sich bis Dienstag Nachmittag zu einem Objekt ungeheurer Wichtigkeit entwickelt hatte.
In der Zwischenzeit recherchierten wir beim Bundesverkehrsministerium: Dort war der BRIEF ebenfalls nicht bekannt – ebenso wie bei den Bündnisgrünen im Bundestag. Diese hatten aber auch keinen Zweifel daran, dass es hier um eine Achtung-gebietende Angelegenheit geht. „Vorsicht, schon in anderen Bundesländern wurde der Ausbau der Elbe als Unterhaltung getarnt – siehe die Steinigung der Elbe bei Magdeburg und Torgau“, hiess es im Büro des zuständigen Bundestagsabgeordneten in Berlin. Aber den BRIEF kannte auch dort niemand.
4. und (vorerst) letzter Akt: der BRIEF trifft ein
Um kurz nach 17.00 Uhr dann endlich im elektronischen Posteingang: der BRIEF. Vor Verblüffung reiben wir uns die Augen: nichts von „Ausbau der Elbe“, nichts von „Missachtung des Landtags“, statt dessen ein klares Bekenntnis zum Biosphärenreservat und dessen Schutzbedürftigkeit und die Forderung nach einem Ausbau des Elbe-Seitenkanals. Wir verstehen - NICHTS.
Zur Sicherheit lassen wir den BRIEF noch einmal von Fachkundigen gegenlesen – soviel haben wir inzwischen gelernt, dass Politiker sich gern hinter verklausulierten Sätzen verstecken. Vielleicht haben wir ja etwas übersehen. Die Rückmeldung ist eindeutig: ökologisch gesehen völlig in Ordnung.
Das einzig Bemerkenswerte, was die Teilnehmer des Vierakters - ausser den niedersächsischen Grünen - bisher alle nicht wahrgenommen hatten: Sander und Hirche fordern in dem Brief den Bau eines zweiten Schiffshebewerks in Scharnebeck. Das wiederum könnte tatsächlich Anlass für eine öffentliche Diskussion sein.
Also Leute – auf in den nächsten Akt.
Foto: Angelika Blank
Während des politischen Sommertheaters fliesst die Elbe weiterhin gemächlich gen Nordsee - und hofft, dass bei all diesem Geplänkel ihre Interessen nicht aus dem Auge verloren werden.