In ihrer Sitzung am Montag ließ sich die Endlagerkommission juristische Probleme des Endlagersuchgesetzes erläutern. Die trübe Erkenntnis: JuristInnen beider Lager bewerten das derzeitige Endlagersuchgesetz als nicht vereinbar mit Verfassungs- und Europarecht - allerdings aus völlig gegensätzlichen Gründen.
Wie die grüne Bundestagsabgeordnete Dr. Julia Verlinden mitteilte, habe zum Beispiel die Umweltjuristin Dr. Bettina Keienberg die Kritik deutlich formuliert. Diese fordert einen besseren Rechtsschutz durch Klagemöglichkeiten, die im bisherigen Verfahren nicht vorgesehen sind. Gegen die geplante „Legalplanung“ mit Parlamentsentscheidungen spreche demnach vor allem, dass sie nicht europarechtskonform sind. Denn der Sicherheitsnachweis würde erst nach dem Parlamentsentscheid erfolgen. Ebenso würde das Parlament über eine Umweltverträglichkeitsprüfung entscheiden, was europarechtlich unzulässig wäre. Sie plädiert daher für normal beklagbare Behördenentscheidungen.
Die Schaffung einer neuen Oberbehörde, das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung (BfE), wurde mehrfach als rechtlich unnötig und für die Arbeit zum jetzigen Zeitpunkt als nicht zielführend abgelehnt.
Auch von Seiten der Betreiberjuristen wurden erhebliche Rechtsbedenken vorgetragen. So beschrieb der EON-Anwalt Prof. Dr. Christoph Moench die juristische Lage als "hyperkomplexe Problemlage", die derzeit nur als Zusammenstellung von Problempunkten und Fragestellungen diskutiert werden könnte. Moench stellte vor allem in Frage, ob nach den politischen Entscheidungen für das Standortauswahlgesetz das Verursacherprinzip überhaupt noch gelte, da im Gesetz auch der Stopp der Erkundungen in Gorleben festgelegt worden sei. Zudem forderte er vor der Kommission die weitere Einlagerung von Castor-Behältern in Gorleben. Weil die Endlagersuche zu lange dauert und nach seiner Meinung Gorleben mutmaßlich eignungshöffig sei, sei eine vergleichende und offene Endlagersuche nicht durch das Verursacherprinzip gedeckt und müsse vom Staat finanziert werden.
Gegen solche massiven Angriffe auf das Verursacherprinzip wendet sich Dr. Julia Verlinden entschieden. Sie fordert, wie einige kritische Gutachter auch, eine schnelle Überführung der Entsorgungsrücklagen in einen öffentlich-rechtlichen Fonds, damit überhaupt eine geordnete und ergebnisoffene Suche beginnen kann und der Prozess nicht ständig von Klagen und Erpressungsversuchen durch die Energiekonzerne gestört wird. „Dieses Vorgehen passt nicht zu einer Kultur des fairen Umgangs miteinander, wie es für einen gemeinsamen Prozess notwendig wäre“, so Verlinden.
Moench ging in seinem Vortrag sogar noch weiter: nach seiner Ansicht ist die Änderung des § 9 Abs 2a Atomgesetz, welcher die Zwischenlagerung radioaktiven Abfalls in "standortnahen" Lagern festlegt, ein "Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung". Den Energieversorgen werde damit die Verpflichtung auferlegt, die Abfälle aus der Wiederaufarbeitung künftig nach der
Rückführung in standortnahen Zwischenlagern unterzubringen – anstatt die
bislang vorgesehenen, bereits entsprechend genehmigten und aufgrund
vertraglicher Vereinbarungen vorgehaltenen Kapazitäten des TBL-Gorleben
zu nutzen. " Auch dafür müssen die Energiekonzerne nach Ansicht Moenchs nicht mehr bezahlen
"Das Ergebnis unzähliger Forschungsberichte, Screenings, Peer-Review-Verfahren und Bewertungendurch renommierte Körperschaften / Anstalten (des Bundes wie der Länder), Institute, Wissenschaftlern und Organisationen, im In- und Ausland, wurde gewissermaßen auf Hold gestellt," so Moench. "Die von der GRS ab Herbst 2010 durchgeführte vorläufige Sicherheitsanalyse (mit einer Vielzahlvon Anlagebänden) einschließlich des zuvor erstellten Syntheseberichtes bestätigen die (mutmaßliche) Eignungshöffigkeit von Gorleben. Dies ist gewissermaßen eine Meta-Analyse der vorhandenen Untersuchungsergebnisse. Wenn und solange Gorleben als mutmaßlich geeigneter Endlagerstandort angesehen werden kann, muss dieser Standort zu Ende untersucht werden;und diese Untersuchung ist von den vorausleistungspflichtigen künftigen Nutzern des Endlagers zu tragen (wie schon bisher seit Anfang der 80-er Jahre)."
Der Schwenk zu einer alternativen Standorterkundung ist lt. Moench sachlich nicht begründet, weswegen die Kosten von der Allgemeinheit zu tragen sind und nicht von den Betreibern der AKW. Ausserdem hätten die Betreiber der AKW über Jahrzehnte Beiträge im Voraus "im Vertrauen darauf bezahlt, weil sie davon ausgehen durften, dass Gorlebensolange untersucht wird, bis entweder die Eignung feststeht oder es Erkenntnisse über die Nicht-Eignung gibt." Weswegen in Moenchs Logik die Betreiber keine weiteren Vorauszahlungen mehr leisten müssen.
Schwierige Rechtslage für das Standortauswahlgesetz
Wie eine Durchsicht der Kurzvorträge nur dieser beiden JuristInnen zeigt, wird das Standortauswahlgesetz einen schwierigen Stand haben, sollte es vor Gericht verhandelt werden müssen. Und damit ist zu rechnen: Eon hat bereits Klage eingereicht , weil der Energiekonzern die Kosten für die Unterbringung von 26 Castorbehältern in anderen Zwischenlagern als Gorleben nicht zahlen will. Weitere Energieunternehmen wehren sich mit Milliardenschweren Schadensersatzklagen gegen die Abschaltung älterer Atomkraftwerke.
Foto / Christina Palitzsch ... publixviewing: Im Juni 2013 demonstrierte die Anti-Atom-Initiative ausgestrahlt! mit symbolischen Atommüllfässern gegen das damals gerade verabschiedete Standortauswahlgesetz.