Vor über 500 Menschen aus allen Lagern des Gorleben-Konflikts erläuterte Bundesumweltminister Peter Altmaier am Montag Abend seine Vorstellungen, wie der Weg zu einem Endlager für atomaren Müll aussehen könnte. Viel Neues war dabei nicht zu hören.
"Wir brauchen aller Seel und Kraft, dass nach viel böser Leidenschaft
ein neu Geschlecht erwache" - mit dieser Hoffnung sind wohl die
meisten Interessierten Montag Abend in das Lüchower Gildehaus gekommen.
Nicht umsonst hatten die Organisatoren der Veranstaltung - die Gruppe
Schulterschluss, zu der auch die Bäuerliche Notgemeinschaft sowie die BI
gehören - den Höhbecker Chor gebeten, den Abend mit diesem 58. Psalm
aus König Davids "Klageliedern des Volkes" zu eröffnen.
Bundesumweltminister Peter Altmaier trägts im prall gefüllten Saal sichtlich mit Fassung, dass ihm per alttestamentarischem Liedgut vorgeworfen wurde, "kein Recht sprechen zu können" oder "mutwillig Gewalt im Land" auszuüben.
Die Gorlebengegner: genervt von jahrzehntelangem Lug und Trug
Doch der Psalm war nicht falsch gewählt, wie sich im Verlaufe des
Abends immer wieder bestätigen soll: Tief sitzen in Sachen Endlagersuche
Misstrauen und Skepsis. Immer wieder muss sich Altmaier in
Redebeiträgen von Vertretern von Umweltverbänden, Kommunalpolitikern,
dem Endlagerbeauftragten der Evangelischen Kirche, der Bäuerlichen
Notgemeinschaft oder der Bürgerinitiative Umweltschutz anhören, wie sehr
man in den letzten 35 Jahren getäuscht wurde, wie sehr die Menschen in
der Region sich belogen und betrogen fühlen - geradezu "genervt" sei man
von den ewigen Lügereien, wie es die Vertreterin der Bäuerlichen
Notgemeinschaft, MOnika Tietke, ausdrückte.
Nicht nur der Greenpeace-Atomexperte Mathias Edler fordert Altmaier auf, endlich einen ernst gemeinten "echten" Neuanfang in der Endlagersuche zu starten - ohne Gorleben im Pool zu belassen. Die EU-Abgeordnete Rebecca Harms mahnt den Bundesumweltminister, nicht den Fehler einer seiner Vorgängerinnen im Amt, der heutigen Bundeskanzlerin Angela Merkel, zu wiederholen und trotz einer vorliegenden wissenschaftlichen Studie, die dem Standort Gorleben lediglich dritte Priorität einräumte, der Öffentlichkeit den in seiner Eignung umstrittenen Salzstock ohne wissenschaftliche Grundlagen als geeignet zu präsentieren.
Altmaiers Versuche, neues Vertrauen aufzubauen
Der Bundesumweltminister wiederum fiel zunächst durch seinen Umgangsstil auf, der sich deutlich von seinem Vor-Vorgänger Jürgen Trittin unterschied. Auch zu Trittins Besuch im Wendland hatten sich damals, im Winter 1999, über 500 Menschen ins Schützenhaus nach Dannenberg aufgemacht, sich seine Antrittsrede als rot-grüner Bundesumweltminister anzuhören.
Während Trittin sich damals per Hubschrauber einfliegen ließ und sich
den wartenden Demonstranten durch den Hintereingang entzog, wagt
Altmaier den Gang durch die Menge, lässt sich sogar einige Minuten auf
Gespräche mit aufgeregten Gorlebengegnern ein.
In seinen Formulierungen nähert sich Altmaier punktuell den Forderungen aus dem Wendland an: "Mein Vorschlag ist, diese Suche in einem parteiübergreifenden und gesellschaftlichen Konsens zu finden, auch wenn es Schwierigkeiten gibt, andere Bundesländer in die Suche mit einzubeziehen," so Altmaier. Dabei solle die Bevölkerung "umfassend" mit einbezogen werden.
Der zentralen Forderung der Gorlebengegner, den umstrittenen Salzstock endlich aus dem Topf zu nehmen, erteilt der Bundesumweltminister allerdings erneut eine Absage. "Wenn ich den Salzstock herausnehme, weil es hier Proteste gibt, muss ich damit rechnen, dass dies an anderen Standorten genauso passieren wird," so seine Argumente, deswegen müsse Gorleben so lange im Topf bleiben, bis er aus wissenschaftlich-geologischen Gründen ausgeschlossen werden könne.
Als seine "Pflicht" sieht es Altmaier an, einen Endlagerstandort zu finden - gesteht aber im nächsten Moment ein, dass es "ich es in meiner Amtszeit nicht erleben werde, dass wir auch nur zur Benennung eines Standortes kommen" - geschweige denn zu Bohrungen oder gar zur Einlagerung des ersten Atommülls.
Ähnliche Widersprüchlichkeiten ergeben sich im Laufe des Abends immer wieder. Beispiel: Angesprochen auf seinen umstrittenen Abteilungsleiter Gerhard Hennenhöfer, dem als ehemaligem EON-Mann offen strategischer Lobbyismus im Dienste der Energiekonzerne nachgesagt wird, gibt Altmaier sich vehement als Chef: "Greifen Sie nicht meinen Abteilungsleiter an, greifen Sie mich an. Denn ich trage die politische Verantwortung für alles, was in meinem Hause geschieht." Und: "Es sind meine Anweisungen, die die Mitarbeiter zu befolgen haben," unterstreicht Altmaier.
Dass der Arbeitgeber Altmaier aber nicht die Absicht hat, den umstrittenen Strategen aus zentralen Funktionen zu entfernen, belegt die Tatsache, dass der Arbeitsvertrag von Gerhard Hennenhöfer unter der Regide Altmaier bis über die Renteneintrittszeit hinaus verlängert wurde.
Bemerkenswert bleibt am Ende allerdings das Eingeständnis Altmaiers, dass man "das erste Kernkraftwerk nicht hätte bauen dürfen, ohne die Atommüllentsorgung geklärt zu haben."
Ob den Worten Taten folgen - wenn ja, welche?
Der persönliche Eindruck, den Bundesumweltminister Peter Altmaier im Wendland hinterließ, war zunächst positiv: Offen und gesprächsbereit stellte er sich seinem höchst kritischen Publikum, gab sich ehrlich ("ich will Ihnen nichts versprechen, was ich nicht halten kann") und bot immer wieder den Dialog an. Ob Altmaier unter "Dialog" allerdings wie befürchtet, nur die Akzeptanzsschaffung für bereits getroffene Entscheidungen meint oder ob er ernsthaft in einen völlig neuen Beteiligungsprozess einsteigt, wird sich zeigen müssen.
Landrat Jürgen Schulz hat ihm in dieser Hinsicht übrigens im Einzelgespräch Vorschläge mit auf den Weg gegeben. Schulz wünscht sich - wie übrigens auch Greenpeace - ein gerichtlich überprüfbares Beteiligungsverfahren mit geregelten Strukturen so wie es bei jedem größeren Bauvorhaben, welches Auswirkungen auf Landschaft und Region haben könnte, vorgeschrieben ist. Mindestens der Versuch, ein derartiges Verfahren im Endlagersuchgesetz vorzusehen, wäre die Messlatte, an der sich überprüfen lässt, ob Altmaier es ernst meint mit seinem Vorschlag "die Endlagersuche parteienübergreifend im gesellschaftlichen Konsens" zu organisieren.