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Entlastung für den Pastor – damit der Endlagerdiskurs weitergeht

In Zeiten drastischer Stellenkürzungen verblüffte jetzt die Nachricht, dass die Landeskirche Pastor Kruse in Gartow eine junge Pastorin zur Seite stellt, damit Pastor Kruse seine Tätigkeit als „Beauftragter in Endlagerfragen“ so intensiv weiterführen kann, wie er es die letzten Jahre bereits getan hat. Ein Zeichen dafür, welch hohen Stellenwert die Evangelische Kirche dem Endlager-Dialog einräumt.

Monatelang hatten Gemeindemitglieder aus dem Gartower Raum versucht, zu verhindern, dass ihre Pastorenstelle gestrichen wird. Doch die Zahlen ließen bei der Landeskirche keinen anderen Schluß zu: die zweite Pfarrstelle, die sich um die Gemeinden rings um Gartow gekümmert hat, wurde ersatzlos gestrichen. Seitdem betreut Pastor Eckhard Kruse an die zehn  Gemeinden alleine. Damit diese verbleibende ganze Pfarrstelle nicht auch noch eingeschränkt wird, hatte Pastor Kruse erklärt, er könne die Endlagerfragen ohne eine angemessene Aufgabenentlastung nicht mehr weiter voran bringen.

Seit Jahren ist Pastor Kruse neben seiner seelsorgerischen Tätigkeit im Auftrag der evangelischen Landeskirche als „Beauftragter für Endlagerfragen“ unterwegs – vermittelt bei Castortransporten zwischen Polizei und Demonstranten, arbeitet mit in der Programmkommission zum Endlagersymposium, reist durch halb Europa, um sich in anderen Ländern zu informieren, wie dort Beteiligungsprozesse vonstatten gehen oder informiert selber, wie Kirche hierzulande sich einen optimalen Beteiligungsprozess vorstellt.

Der berufliche und persönliche Kollaps drohte. Dazu kam, dass der geistliche Vizepräsident der evgl. Kirche, Arend de Vries, bei einem der Treffen des von Minister Gabriel einberufenen Endlagersymposiums von Ministeriumsmitarbeitern angesprochen wurde, wie der Prozess weitergeführt werden kann. Wohl nicht ohne Grund machte das Ministerium sich Sorgen: Die Fronten waren verhärtet. Die Bürgerinitiative hatte die Tagung verlassen, die Energieunternehmer waren nicht bereit, Zugeständnisse zu machen. „Hier stellte sich die Frage, welche Rolle Kirche in dem Prozess spielen kann“, so Vizepräsident de Vries. „Pastor Kruse hat sich in die Thematik tief eingearbeitet, war ja schon jahrelang in unserem Auftrag auch im Ausland unterwegs – immer mit dem Focus darauf, wie der Prozess in anderen Ländern gehandhabt wird. Damit er dafür sorgen kann, dass die Gespräche weitergehen, schaffen wir als Landeskirche eine Entlastung.“  Für den Pastor einer kleinen Gemeinde auf dem Lande fast eine Sisyphusaufgabe, macht ihm das keine Angst? „Doch natürlich, mir ist sehr wohl bewusst, in welchem Spannungsfeld ich da agiere. Deswegen hatte ich auch erklärt, diese große Aufgabe, nicht mehr nebenbei in der Freizeit erledigen zu können“, so Kruse.

Seit dem 1. Juni 2009 kann Pastor Kruse deshalb für die nächsten zwei Jahre einen Teil seiner gemeindlichen Aufgaben an die junge Pastorin Anna Küster delegieren. In Zeiten massiver Stellenkürzungen und immer wiederkehrender Einsparmahnungen eine verblüffende Nachricht, macht sie doch den hohen Stellenwert deutlich, den die niedersächische Landeskirche dem Thema einräumt. „Ja, die Endlagerdiskussion ist deswegen so hoch angesiedelt, weil wir es hier mit einem Thema zu tun haben, von dem sehr viele Menschen betroffen sind. Außerdem haben wir als Kirche unter dem Stichpunkt, „Bewahrung der Schöpfung“ eine besondere Verantwortung, uns einerseits um die ethische Diskussion in der Endlagerfrage zu kümmern - andererseits dürfen wir die Menschen der Region nicht allein lassen“, so de Vries. „Wir wissen, dass 'interessierte' Gruppen unsere Entscheidung nicht gutheißen. Deswegen ist es wichtig, deutlich darauf hinzuweisen, dass hier keine zusätzliche Stelle geschaffen wurde. Pastorin Küster soll lediglich in der Gemeinde einen Anteil der Arbeit übernehmen, so dass Pastor Kruse seine Tätigkeit als Endlagerbeauftragter weiter führen kann.“ So steht den Gemeindemitgliedern zwischen Schnackenburg und Gartow wieder eine volle Pastorenstelle zur Verfügung.

Unterschiedliche Reaktionen auf die Entscheidung der Landeskirche

Für die Bürgerinitiative ist Pastor Kruse „erste Wahl“. Auch die EU-Abgeordnete Rebecca Harms, die sich ebenfalls seit Jahren in der „Gartower Runde“ für einen umfassenden Endlager-Dialog einsetzt, ist zufrieden mit der Kirchen-Entscheidung. „Ich finde es hervorragend, dass die Kirche schon so lange kontinuierlich und verantwortliche Rolle übernimmt. Schon frühzeitig hat auch die EKD (Evangelische Kirche Deutschlands) eindeutige Positionen in Richtung Atomausstieg entwickelt. Gerade angesichts der Ereignisse in der Asse ist es jetzt besonders wichtig, grundlegende Kriterien festzulegen. Da ist die Kirche ein starker Partner.“
Genau das weiß auch die Atomindustrie. Offiziell gibt es zwar keine eindeutige Kritik an der Entscheidung der Kirche, aber Teilnehmer am Endlager-Symposium wissen, dass hinter den Kulissen „massiv Druck ausgeübt wurde“. Auch die CDU ist nicht glücklich damit, dass die Kirche sich in den Endlagerdialog so deutlich einmischt. Doch offiziell möchte Karin Bertholdes-Sandrock, die für die CDU sowohl im Kreistag als auch im Landtag sitzt, das nicht kommentieren. "Da werden Sie wohl nicht auf Ihre Kosten kommen", ist ihre Reaktion auf die Bitte um eine Stellungnahme. Kreistags-Fraktionsvorsitzender Klaus Wohler war bisher nicht zu erreichen.

Eckhard Kruse kennt die Animositäten, die mit seiner Beauftragung in Zusammenhang stehen. Doch für ihn stehen die Menschen im Mittelpunkt. „Das empfinde ich als meine Hauptaufgabe“, beschreibt Eckhard Kruse seinen Auftrag, „die interessierten bzw. betroffenen Bevölkerungsgruppen miteinander zu vernetzen, sie im Gespräch zu halten, damit eine für alle Seiten befriedigende Lösung entwickelt werden kann – wobei ich in Sachen Endlager befürchte, dass es keine für alle befriedigende Lösung geben kann“. Doch er wird alles dafür tun, dass alle Betroffenen so weitgehend und transparent wie möglich beteiligt werden.

Seit Jahrzehnten im Dienst der Menschen

Seitdem er 1989 die Pfarrstelle in Gartow übernahm, ist er mit dem Thema „Gorleben“ konfrontiert. Ob als Seelsorger während der Castor-Transporte, wenn es darum geht, zwischen Polizisten und Gorleben-Gegnern zu vermitteln oder als Pastor einer Gemeinde, in der sich CDU-Politiker genauso finden wie vehemente Gorlebengegner.  „Da reichen die Konflikte um Gorleben oft bis in den Alltag der Gemeindemitglieder“, so Pastor Kruse. „Von Anfang ging es mir darum, die Menschen zu schützen, nicht nur die hier vor Ort, sondern vor allem auch die Menschen kommender Generationen, denen das Problem 'Atommüll' auf eine Million Jahre hinterlassen wird.“ Hier denkt er ganz im Sinne des biblischen Auftrags, „die Erde zu bebauen und zu bewahren“. „Und Kernenergie ist mit diesem Auftrag nicht zu vereinbaren“, so Pastor Kruse.

Unter seiner Gemeindeleitung fanden schon 1990 Gorleben-Gegner, die ihren Protest artikulieren wollten, offene Türen in der Gartower Kirche – immer wieder auch gegen den Widerstand anderer Gemeindemitglieder. Lilo Wollny, spätere Bundestagsabgeordnete und in den ersten Tagen der Bürgerinitiative dabei, erinnert sich: „Damals war es überhaupt nicht selbstverständlich, dass die Kirche sich politisch positioniert. Im Gegenteil. Der früher für uns zuständige Pastor war immer der Meinung, dass das Gorleben-Thema nicht in die Kirche gehört. Er befürchtete eine Spaltung der Gemeinde.“ Schon innerhalb der Gemeinde wohl keine unbegründete Sorge, gingen doch die Gorleben-Konflikte sogar quer durch Familien.

Auch die offizielle Haltung der Kirche war Anfang der 80er Jahre bei weitem nicht einheitlich: während zum Beispiel der damalige Pastor, der für die Gemeinden rings um Gartow zuständig war, die unpolitische Haltung vertrat, engagierte sich der frühere Gartower Pastor Gottfried Mahlke zusammen mit Dorothee Sölle und Fulbert Steffensky, zwei bedeutenden evangelischen Theologen, sehr gegen die Gorleben-Planungen. Auf der Bohrstelle 1004 zu predigen, wurde ihm damals von der oberen Kirchenbehörde verboten. Trotzdem blieb Pastor Mahlke zusammen mit weiteren Kollegen aus der Region dabei, den Widerstand zu unterstützen.

Der GAU von Tschernobyl änderte auch die Haltung der Kirche

Spätestens 1987, nach dem GAU von Tschernobyl, erteilte auch die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) auf ihrer 4. Synode der Nutzung der Kernenergie ganz offiziell eine klare Absage: „ „Die nicht mit Sicherheit beherrschbaren Gefahren der gegenwärtigen Kernenergiegewinnung haben zu der verbreiteten Einsicht geführt, dass diese Art der Energiegewinnung mit dem biblischen Auftrag, die Erde zu bebauen und zu bewahren, nicht zu vereinbaren ist. Wir müssen so bald wie möglich auf andere Energieträger umsteigen.“

Die niedersächsische Landeskirche und auch die EKD  bestätigte diesen Beschluss 1998. Zu dieser Zeit war Eckhard Kruse schon seit acht Jahren aktiv dabei, den Dialog zur Lösung der Endlagerfrage zu führen. „Dabei sehe ich das Problem eindeutig als Endlagerfrage, nicht als 'Gorleben-Frage' an. Es muss ein Endlager geschaffen werden, da stehen auch wir als Kirche in der Verantwortung, aber es muss zuvor ein vergleichendes Standort-Suchverfahren geben, an dem die Bevölkerung frühzeitig und umfassend beteiligt wird.“ Dabei macht Eckhard Kruse klar, dass bei einem vergleichenden Standort-Suchverfahren auch Gorleben einbezogen werden muss. „Aber es soll eben nicht als alleiniger Standort ohne vergleichende Untersuchung festzementiert werden“, so Pastor Kruse.

In seinem mündlichen Bericht zur 24. Landessynode im Mai formulierte es der geistliche Vizepräsident Arend de Vries so: „Nur durch ein transparentes und nachvollziehbares Verfahren der Sicherheitskriterienbildung und einen Standortvergleich in einem ergebnisoffenen Vorgehen wird das notwendige Vertrauen in die Menschen-, Umwelt- und Sachgerechtheit der Endlagerung hochradioaktiver, wärmeentwickelnder atomarer Abfälle gewährleistet bzw. wiederhergestellt werden können.“

Pastor internationale

In diesem Sinne versucht Eckhard Kruse seit langem einen konstruktiven Endlager-Dialog aufrecht zu erhalten. Man könnte ihn fast als „Pastor internationale“ bezeichnen. In Spanien, Frankreich, Schweden, Belgien, Slowenien und auch der Schweiz war er schon unterwegs, um einerseits zu hören, wie andere Länder mit Beteiligungsprozessen umgehen und andererseits von den deutschen Erfahrungen zu berichten. Zzusammen mit einem französischen Kollegen leitete er sechs Jahre lang eine Arbeitsgemeinschaft, die sich mit „langfristigen Prozessen in der Bevölkerung“ beschäftigte. Herausgekommen ist ein Konzept, nach welchem nur ein abgestuftes, schrittweises Vorgehen, an dessen Teilschritten die Bevölkerung beteiligt ist, garantiert, dass kein Ausschluss stattfindet.

„Ähnliches wird zwar in der Asse umgesetzt, dort kann es allerdings nicht gut laufen, da vorher kein vergleichendes Verfahren vorausging. Im Gegenteil: dort ist die Bevölkerung über Jahre hinweg getäuscht worden“, so Pastor Kruse.

Als Vermittler zwischen den Fronten konnte auch Pastor Kruse nicht verhindern, dass die Bürgerinitiative Umweltschutz letztlich die Zusammenarbeit mit dem Endlager-Symposium aufgekündigt hat.  Doch das hindert ihn nicht, mit seiner Arbeit fort zu fahren: „Ich kann die Haltung der BI respektieren. Es ist schade, dass die sie aus dem Prozess ausgestiegen ist – ich hoffe nicht, dass jetzt auch noch die andere Seite den Tisch verlässt – aber niemand darf durch den Dialog über den Tisch gezogen werden.“

Pastor Eckhard Kruse weiß, welche Herkulesaufgabe er sich da aufgebürdet hat. Und manchmal wird ihm auch etwas mulmig, wenn ihm einmal mehr bewusst wird, wie mächtig Energiekonzerne sind. Doch er wird nicht aufgeben, zu versuchen, die unterschiedlichen Interessen in Sachen „Endlager“ in  den Dialog zu bringen. „Dabei wird mein Fokus immer darauf liegen, die Schwächeren zu schützen und ihnen eine Stimme zu verleihen“, so Kruse.

Noch zwei Jahre kann sich Pastor Kruse auf die Mitarbeit seiner jungen Kollegin stützen, dann werden die Zeit und die Geschehnisse zeigen, ob er seine Arbeit als „Beauftragter für Endlagerfragen“ fortführen kann – und muss.

Foto: Eckhard Kruse/
Das Foto wurde während eines internationalen Treffens im Gartower Kirchenforum aufgenommen. Daran nahmen teil: Eckhard Kruse (zweiter von links)eine Vertreterin des französischen Amtes für Strahlenschutz, drei spanische Bürgermeister, ein kritischer schwedischer Experte, ein Professor für Ethik aus Nordfrankreich, und ein Ingenieur der für die Entsorgung militärischer radioaktiver Abfälle in Frankreich zuständig ist.

 

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2009-07-04 ; von Angelika Blank (autor),

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