Genau an dem Tag, als in Berlin die von Kanzlerin Angela Merkel bestellte Ethikkommission tagte, traf am Zwischenlager in Gorleben eine Gruppe aus Minsk ein, die mit eindringlichen Worten anmahnte, die Debatte um den Atomausstieg wirklich ethisch zu führen und nicht nach technischen Kriterien.
"Viele von uns sind krank - krank durch den GAU von Tschernobyl", so Prof. Irina Gruschewaja als Sprecherin der Gruppe, die auf Einladung der Gemeinnützigen belarussischen Stiftung die "Kinder von Tschernobyl" ins Wendland gekommen war. "Doch wir werden behandelt wie Beweismittel in einer technischen Auseinandersetzung. Wir rufen auch die Deutsche Regierung dazu auf, sich an Albert Schweitzer zu erinnern und seine Mahnung, Ethik als 'Ehrfurcht vor dem Leben' zu betrachten und nicht als Rechenexempel", rief Prof. Gruschewaja den Umstehenden mit Blick auf die am Donnerstag Morgen begonnene Sitzung der Ethikkommission zu.
„Es ist nicht die Frage, ob wir aus der Atomkraft aussteigen, sondern wie und unter welchen Bedingungen“. So hatte am Morgen der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer als Vorsitzender am Donnerstag die von Bundeskanzlerin Angela Merkel einberufenen Ethikkommission „Sichere Energieversorgung“ eröffnet.
Bei den rund 50 Interessierten, die sich die im Fernsehen übertragene Diskussion live an der Freundschaftshütte nahe des Gorlebener Zwischenlagers anschauten, stießen Töpfers Worte allerdings auf tiefe Skepsis.
„Nach den Ereignissen in Fukushima überrascht es nicht, dass der Atomausstieg jetzt Fahrt aufnimmt“, so Wolfgang Ehmke, Sprecher der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, die zum Public Viewing geladen hatte. „Aber ob Merkels politische Rechenspiele aufgehen, das bleibt noch abzuwarten.“ Denn Ehmke vermutet hinter dem dreimonatigen Nichtverlängerungs-Moratorium immer noch das klare Kalkül, dass der Protest gegen Atomkraftwerke abflauen wird.
„Doch da täuscht sich Frau Merkel“, so Ehmke weiter. „Wir bleiben wachsam. Denn da die Atommüllfrage bis jetzt ausgeklammert bleibt, befürchten wir, dass ein womöglich schneller Atomausstieg um den Preis ausgehandelt wird, dass wir die 'Kröte Gorleben' schlucken sollen.“
Landrat Jürgen Schulz, der sich ebenfalls Zeit nahm, in Gorleben gemeinsam mit AtomkraftgegnerInnen die Übertragung der Ethikkommission anzusehen, hofft, dass in dieser Gruppe wirklich die „gesellschaftlich Besten“ sitzen. „Ich hoffe, dass bei dieser Runde Ehrlichkeit, Sachlichkeit und daraus folgend Sachgerechtigkeit resultieren“, so Schulz. „Wenn wir mit dem Grundsatz der Sachgerechtigkeit Kassensturz machen, dann hoffe ich, dass das Thema Atommüll auch noch aufgenommen wird.“ Denn für die Lagerung des Atommülls brauche man „die beste und richtigste Lösung, die alle, die etwas beitragen können, herausfinden.“
Auch die Zusammensetzung der Mitglieder Ethikkommission stand in der Kritik. „Eine Ansammlung von alten Männern“, kritisierte Torsten Koopmann vom Vorstand der BI. „Außerdem wird die Diskussion, soweit ich sie bis jetzt beurteilen kann, rein technisch geführt.“
Dass die Meinung der Wendländer gefragt ist, war an der Anzahl der Fernseh- und Rundfunkteams zu erkennen, die mit rund einem halben Dutzend Teams das Public Viewing im Gorlebener Wald begleiteten.
So bekam auch eine Gruppe aus Weißrussland auf Tour durch das Wendland unversehens große Öffentlichkeit. Ihre Sprecherin, Prof. Irina Gruschewaja, mahnte aufgrund der schlimmen Erfahrungen in ihrem Land, die Diskussion wirklich ethisch, nämlich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, zu führen und nicht rein technisch. „Wir sind kein Beweismittel für technische Forschungen“, rief Prof. Gruschewaja, deren Ehemann an der Reise nicht teilnehmen konnte, weil er wegen Leukämie im Krankenhaus liegt, den Umstehenden zu.
Ein eindringliches Statemant, dass angesichts der vielen Kranken in der Reisegruppe betroffen machte.
Foto: Angelika Blank / Mit Bildern kranker oder bereits verstorbener Angehöriger und Freunde mahnte die 30-köpfige Gruppe aus Minsk am Gorlebener Zwischenlager dazu, sich mehr dem menschlichen Elend der Folgen des GAUs von Tschernobyl zu widmen.