Thema: musik

Eva Mattes: Start der Deutschland-Tournee als Sängerin

Eva Mattes singt. Diese Mitteilung alleine löst keine schockartigen Erregungszustände aus. Doch wer das Glück hatte, sie in der voll besetzten Breselenzer Kirche bei der Deutschlandpremiere des musikalisch-literarischen Programms „Und über uns der Himmel“ zu erleben, durfte Zeuge einer fast magischen Verwandlung werden. Feinsinnig in Szene gesetzte Texte und Lieder deutscher Emigranten voller Sehnsucht, aber auch überbordender Lebensfreude taten ihr Übriges, das Publikum zu stehenden Ovationen hinzureißen. 

Bereits 2006 erschien „Und über uns der Himmel“ als Live-Mitschnitt als CD. Über zwei Jahre haben Dirigentin und Regisseurin Irmgard Schleier und ihr Mann, Peter Homann, das Programm nun für die Bühne umgearbeitet. Live begleitet nun statt eines Orchesters der polnische Akkordeonist Dariusz Swinoga das Vokalensemble rund um Eva Mattes. 

„Und über uns der Himmel“ ist ein faszinierendes Kaleidoskop menschlicher Gefühlslagen angesichts Vertreibung und Heimatverlust. Vom sehnsuchtsvollen russischen Volkslied über den Umgang mit der fremden Welt (New Yorker  Sonntagskantate/Mascha Kaleko) bis hin zum bitteren, die Außenwelt vergessen machen wollenden, Lust am Exzess (Cabaret) schlugen Schleier und Homann einen Bogen durch die Musik- und Literaturgeschichte. Vor allem Berliner Emigranten wie Mascha Kaleko, Walter Mehring oder Kurt Weill standen dabei im Mittelpunkt.

Und doch ist das Programm kein reiner Beitrag zur Geschichtsbewältigung. Viele Facetten von Weggehen und Wiederkommen, aber auch Wegbleiben trotz Sehnsucht nach der verlorenen Heimat sind auch heute noch gültig, erinnern daran, dass „Heimat“ ein zwiespältiger Begriff ist, immer in Gefahr, zur verklärenden Sehnsuchtsmetapher zu verkommen.

Für Eva Mattes ist der Gesang kein Neuland. Seit Jahren arbeitet sie mit Irmgard Schleier zusammen. Das Programm „Und über uns der Himmel“ bietet ihr die Möglichkeit, Schauspielerei und Gesang miteinander in Einklang zu bringen. Und sie meistert es großartig. Blitzschnell wechselt sie von der Femme Fatale zur sehnsüchtigen Vertriebenen, von der frechen Berlinerin zur nachdenklichen Literatin. Nie bleibt sie in manierierten Posen hängen, immer „ist“ sie das, was sie gerade singt.
Natürlich ist Eva Mattes keine Sopranisten, kann – und will – nicht konkurrieren mit mehroktaviger Stimmkraft. Ihre Kraft liegt in der Präsenz, mit der sie die Chansons vorträgt. Sie scheut sich nicht, die ganze Vulgarität einer Berliner Vorstadt-Pflanze oder die Derbheit des Hamburger Seemanns in Körper und Stimme umzusetzen.

Dabei interpretiert sie die anspruchsvollen Chansons auf ganz eigene Weise, versucht gar nicht erst, alte Vorbilder wie z. B. Marlene Dietrich oder Lotte Lenya zu imitieren. So bleibt sie glaubwürdig. Die Besetzung von Irmgard Schleier tat ihr Übriges, auch tradierten Lieder einen völlig neuen Klang zu geben. Wenn Petra Borel und Johanna Mohr zusammen mit Eva Mattes „Youkali“ singen, so entsteht aus dem Zusammenspiel von Eva Mattes'  Chanson-Stimme und der flirrenden Begleitung durch die beiden klassisch ausgebildeten Sängerinnen ein Klangbild, welches an asiatische Liebeslieder erinnert.

Ein besonderer Coup ist Irmgrad Schleier mit der Verpflichtung des mehrfach preisgekrönten polnischen Akkordeonisten Dariusz Swinoga gelungen, der u.a. schon mit Giora Feidman  gearbeitet hat. So hat man Akkordeonspiel wohl kaum jemals gehört. Instrument und Spieler schienen zu einer Einheit zu verschmelzen, sobald Swinoga die ersten Töne anspielte. Die intensiven Akkordeon-Stücke des weitgehend unbekannten russischen Komponisten Wladislaw Solotarjew machten das literarisch-gesangliche Programm auch nonverbal zu einem eindringlichen Erlebnis. Auch Solotarjew musste vor der Verfolgung durch den russischen Geheimdienst flüchten.

Das Publikum in Breselenz quittierte den Abend mit tosendem Applaus, musste sich allerdings mit einer einzigen Zugabe begnügen, denn die zweitägige Probenarbeit noch kurz vor dem Konzert hatte bei den Stimmbändern aller Beteiligten ihre Spuren hinterlassen.

Demnächst ist „Und über uns der Himmel“ in vielen Theatern Deutschlands zu erleben.

 

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2009-06-23 ; von Angelika Blank (autor),

musik  

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