Auf harsche Kritik von Gorlebengegnern stößt die von dem Historiker Dr. Anselm Tiggemann erstellte Expertise zur Vorauswahl des Standortes Gorleben, die heute (28.05.010) in Hannover vorgestellt wurde.
Tiggemann hatte im Auftrag von Umweltminister Sander eine Expertise zur Vorauswahl des Standortes Gorleben erstellt, die sich auf den Zeitraum vom 1. Januar 1976 bis zum 22. Februar 1977 bezieht.
"Wir sind gespannt, zu welchen Einsichten Dr. Tiggemann gelangt, wenn er eine Auftragsstudie für den glühenden Gorleben-Verfechter Sander erstellt", schrieb dazu die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI). "Die nicht abreißenden Aktenfunde und Presseberichte, die die Vermutungen der Gorleben-Gegner bestärkten, dass Gorleben nicht Ergebnis eines wissenschaftlichen Auswahlverfahrens, sondern "aus dem Hut" gezaubert wurde, um 1976/77 einen Entsorgungsnachweis zu liefern, haben offensichtlich die Gorleben-Befürworter dermaßen in die Defensive gedrängt, dass sie mit dieser bestellten Expertise in der öffentlichen Diskussion wieder punkten wollen", so die BI.
BI-Sprecher Wolfgang Ehmke:" Schon auf dem internationalen Endlagersymposium im Oktober 2008 in Berlin tischte der NMU-Vertreter die Mär eines angeblich vergleichenden Auswahlverfahrens auf, das heutigen Anforderungen genügen würde, das aber im Folgenden Punkt für Punkt durch die Aktenfunde zerpflückt wurde. Der FDP-Politiker Sander will vor allem Stimmung für das unsinnige Festhalten an Gorleben machen und den Skandal überspielen, dass Schwarz-Gelb in Berlin an einem wissenschaftlich skandalösen Vorgehen sowie einem undemokratischen Verfahren ohne Öffentlichkeitsbeteiligung, nämlich einer Erkundung ohne Standortvergleich festhält. Gorleben ist politisch und geologisch tot."
DIE LINKE: Gorleben-Studie ein politischer Rohrkrepierer
Kurt Herzog, der umweltpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Landtag, bezeichnete die Expertise als politischen Rohrkrepierer. "Herr Tiggemann hat nur längst bekannte Tatsachen vorgelegt. Er konnte niemandem weismachen, dass die Endlager-Auswahl fachlich fundiert und seriös vorgenommen wurde", sagte Herzog. Er verwies darauf, dass Tiggemann sogar bestätigt hat, dass die Geologie lediglich eine untergeordnete Rolle gespielt hatte. "Die Kritik der Fachbeamten aus den Ministerien am Auswahlverfahren sprach Tiggemann nicht an. Beim Konflikt von Ministerpräsident Ernst Albrecht mit Bundeskanzler Helmut Schmidt fehlen die letzten Kapitel", betonte Herzog. Schmidt hatte noch zwei Tage vor Albrechts Standortverkündung seine Bedenken gegen Gorleben in einem Brief erneuert.
Tiggemannn habe Erklärungen von Albrecht, die darauf hindeuten, dass es eine politisch motivierte Wahl war, überhaupt nicht mit einbezogen. Herzog erinnerte daran, dass Albrecht einst Aussagen gemacht hat wie: "Ihr Geologen kommt später dran" und "die Ostzonalen mal richtig ärgern". "Die Landesregierung hätte sich sonst dem Vorwurf ausgesetzt, lediglich ein Gefälligkeitsgutachten in Auftrag gegeben zu haben, um Gorleben zu retten", so Herzog. Er erinnerte außerdem daran, dass Tiggemann im Asse-Untersuchungsausschuss noch anders reagiert habe. Angesprochen auf die Kritik von Fachbeamten am Gorleben-Auswahlverfahren hatte Tiggemann noch von Verfahrensschwächen zugegeben. "Das war eine ganz andere Sprache", so Herzog.
Sander habe sich mal wieder ahnungslos gezeigt, besonders in der Frage der Rückholbarkeit des Atommülls. "Der Umweltminister weiß fachlich nicht, wovon er spricht. Er befürwortet die Möglichkeit der Rückholung lediglich in der Betriebsphase, womit niemandem gedient wäre", sagte Herzog.
GRÜNE: Unvollständig, fehlerhaft und politisch motiviert
Für den Fraktionsvorsitzenden der Landtagsgrünen Stefan Wenzel ist die Expertise ein "zweifelhafter Versuch der Geschichtsklitterung". Das von Umweltminister Hans-Heinrich Sander und dem Historiker und CDU-Mitarbeiter Anselm Tiggemann präsentierte Papier sei "unvollständig, enthalte falsche Informationen" und würde sich in Teilen mit politischen Interpretationen beschäftigen, die sich vom eigentlichen Gegenstand der Arbeit weit entfernen, sagte der Grünen-Politiker. Die Auftragsarbeit der schwarz-gelben Landesregierung sei erkennbar ein Versuch, "33 Jahre später die falsche Standortscheidung nachträglich wissenschaftlich zu legitimieren. Die Fakten sind andere. So leicht lässt sich die Geschichte nicht neu schreiben!".
"Die Auswahl von Gorleben war politische Willkür" sagte Wenzel. Der seinerzeitige Ministerpräsident Ernst Albrecht habe im Winter 76/77 "wie ein Getriebener agiert". Der Grünen-Politiker verwies auf eine in dieser Woche erschienene umfangreiche Presserecherche die verdeutliche, wie die emsländische CDU damals das Ergebnis des ersten bundesweiten Auswahlverfahrens für ein Atommülllager mit Wiederaufarbeitungsanlage zu Fall gebracht habe. Das Ergebnis des "KEWA-Auswahlverfahrens wurde in die Tonne getreten", sagte Wenzel. Der Salzstock in Gorleben sei von Albrecht "wie Phoenix aus der Asche" gezaubert worden, obwohl er schon viel früher wegen Carnalitt- und Gasvorkommen aus den fachlichen Bewertungen ausgeschieden war.
"Albrecht brauchte keinen geeigneten Salzstock, sondern einen Trumpf im Poker um die Entsorgungsnachweise der Atomkraftwerke", sagte der Grünen-Politiker. "In diesem Punkt waren sich CDU, SPD und FDP damals sehr einig: Sie wollten eine große Zahl von Atomkraftwerken und brauchten zumindest auf dem Papier eine Lösung für die Atommüllfrage!"
Die fehlende geologische Eignung wurde genauso ausgeblendet wie fehlende und problematische Forschungsergebnisse zur Eignung von Salz als Lagermedium", sagte Wenzel.
Foto: "Erkundung" des Endlagergeländes durch Gorlebengegner / publixviewing
{{tpl:tocbox |style=width:60%;margin:6px; |hd=Mehr zu "Endlager" |bd={toc |dt=Wiki |groupID=wnet |public=1 |tags=endlager |max=10 |template=tpl:link-list }
}}