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Geschwindigkeitsbegrenzung: Sind wir zu blöd, uns im Straßenverkehr zu bewegen?

Wieder einmal hat der Landkreis Geschwindigkeitsbegrenzungen verordnet - dieses Mal auf zwei Kreisstraßen im Ostkreis. Nach Ansicht der Behörde ist es gefährlich, dort zu fahren. Wie gut, dass X-tausende Autofahrer, die seit Jahrzehnten dort gefahren sind, dies nicht wussten: Sie sind allesamt unfallfrei über diese Strecken gekommen. 

Deutschland gilt als das Land mit den meisten Verkehrsschildern. Bundesweit sind es mehr als 20 Millionen, die uns Bürger die uns sicher durch das öffentliche Straßensystem leiten sollen. Des Weiteren mehren sich in den letzten Jahren die Schutzvorschriften für Bürger. Deutschland wird zum Kindergarten. Der Staat als Helikopterpapa, der seine Bürger vor sich selber schützen will.

In Lüchow-Dannenberg will nun offenbar die Kreisverwaltung AutofahrerInnen im Ostkreis vor den Folgen ihrer (womöglichen) Fahruntüchtigkeit bewahren - indem sie ihnen auf zwei Kreisstraßen die Geschwindigkeit auf 80 km/h begrenzt: auf der K34 zwischen Gartow und Nienwalde und auf der K28 zwischen Restorf und Brünkendorf. Diese Maßnahme hält die Verwaltung für notwendig, obwohl sich hier seit die Bewohner denken können, keine nennenswerten Unfälle ereignet haben. Das bestätigt auch die Kreisverwaltung.

Nichts gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen, dort wo sie notwendig sind: auf bekannten Raserstrecken, an Unfallschwerpunkten oder vor besonders kritischen Straßenführungen. Auch nichts gegen Tempo 130 auf Autobahnen, dort fahren immerhin tagtäglich Millionen Autos, deren Abgase einen erheblichen Anteil am CO2-Anstieg haben. 

Doch die beiden Strecken, für die jetzt eine Geschwindigkeitsbegrenzung angeordnet wurde, sind nichts von alledem: dort sind keine Raser unterwegs, Unfälle hat es dort seit Jahrzehnten nicht gegeben und besonders kritisch sind die Straßenführungen auch nicht. Und die Frequenz, in der Autos über diese Strecke fahren, bewegt sich die meiste Zeit im mehrere Minuten-Takt.

Die Verbindungsstraße zwischen Restorf und Brünkendorf ist eine schnurgerade Straße (siehe Foto), die ca 2 km lang bis zum Ort Brünkendorf voll einsehbar ist. Wann sie das letzte Mal saniert worden ist, ist unklar, aktuell ist sie eher ein Plattenweg als eine Straße. Nach 1970 fand keine grundlegende Überholung mehr statt. Die Breite ist dementsprechend eher den damaligen Automaßen angepasst - was ein Überholen auf dieser Strecke zu einem herausfordernden Ereignis macht. Weshalb es auch niemand tut, der bei klarem Verstand ist.

Das größte Problem sind hier die ausgefahrenen Seitenstreifen, weil Trecker oder LKW ausweichen, um entgegenkommenden Fahrzeugen genug Platz einzuräumen. Wenn sie denn ausweichen - dann bleibt dem PKW-Fahrer nichts anderes übrig, als in den Seitenstreifen zu fahren. Eben wegen der engen, holprigen Straße und der Schwierigkeiten mit entgegenkommenden Fahrzeugen fährt hier eh niemand mehr als 80 km/h - es sei denn, er will sein Auto verschrotten.

Auswärtige, vor allem die aus den Städten, fahren hier oft sogar nur Schritttempo, entweder weil sie die ausgedehnte Auenlandschaft bewundern wollen oder es schlichtweg nicht gewohnt sind, sich ohne Leitplanken, Mittel- und Seitenlinien oder Ampeln über öffentliche Straßen zu bewegen. Außerdem könnte mensch ja in die Reihe junger Birken fahren, die eine Straßenseite säumt und auf Kilometer hinaus klar zu erkennen ist. Eine vorgeschriebene Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h macht hier soviel Sinn wie auf einer Flugzeuglandebahn ein Schild "Achtung Flugzeuge" aufzustellen.  

Insofern hat die Kreisverwaltung Unrecht, wenn sie in ihrer Begründung schreibt,  dass die enge Fahrbahn und vor allem die Bäume am Fahrbahnrand besonders für Ortsfremde nicht als Gefahr zu erkennen sind. Das Gegenteil ist der Fall: Auswärtige halten den holperigen Plattenweg für so gefährlich, dass er nur äußerst langsam befahren wird. Der Landkreis sollte also eher ein Schild aufstellen "Nur Mut. Mit 80 km/h und etwas Aufmerksamkeit kommen Sie gut über die Strecke! Und Ihr Auto wird auch keinen Schaden nehmen."

Das Phänomen der auf nicht markierten Seitenstraßen extrem langsam fahrenden Ortsfremden ist übrigens überall im Landkreis zu beobachten. Gespräche über das Warum bestätigten die Annahme: diese Autofahrer fühlen sich auf nicht markierten Straßen extrem unsicher. Vor allem Städter sind derartiges nicht gewohnt.

Die Kreisverwaltung setzt noch eins drauf: Auf der weiteren Strecke der K28 zwischen Brünkendorf und Vietze (Wasserschutzgebiet) setzt sie die Geschwindigkeit von 70 km/h auf 80 hinauf - "zur Verstetigung" wie es der Landkreis beschreibt. Gibt es neue Erkenntnisse, die besagen, dass man dort auch schneller als 70 fahren kann ohne das Grundwasser zu schädigen?

Der Verdacht liegt nahe, dass im Keller des kreiseigenen Bauhofs noch eine Reihe 80-km-Schilder schlummern, die verteilt werden wollen. Wie gesagt: seit Jahrzehnten hat es auf beiden Strecken keine nennenswerten Unfälle gegeben.

UPDATE: Gestern teilte uns eine Nienwalder Bewohnerin mit, dass im Zuge der aktuellen Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Strecke Gartow - Nienwalde das Ortsein(Aus-)gangsschild Gartow um rund 200 m zurückverlegt wurde. Heißt: 200 m lang musste hier bisher 50 gefahren werden - nun dürfen es 80 sein. Und: die Ausfahrt vom Waldkindergarten liegt jetzt innerhalb der 80er-Zone- bisher alt hier 50 km/h.

Foto | Angelika Blank: Dieser Straßenabschnitt zwischen Brünkendorf und Restorf gilt der Kreisverwaltung als so gefährlich, dass sie dort eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h vorschreibt.



2022-08-10 ; von Angelika Blank (text),
in Lüchow-Dannenberg, Deutschland

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