Thema: standortwahl

Gorleben-Akten: Geheim ist geheim - bleibt nicht geheim

Während die Oppositionsparteien im niedersächsischen Landtag noch Einsicht in die „Gorleben“-Akten fordern, liegt bereits seit Januar 2009 eine Doktorarbeit vor, die sich u.a. mit der Standortauswahl Gorlebens beschäftigt. Darin wird die Vermutung bestätigt, dass Gorleben aus rein politischen Erwägungen zum Endlager-Standort erkoren wurde.

Wie kam es zu Standortwahl Gorlebens vor 32 Jahren? Die BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg hatte unlängst den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) auf dessen Sommertour mit der Forderung nach Akteneinsicht konfrontiert. Die BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg geht davon aus, dass drei Dekaden nach der Wahl Gorlebens durch die Offenlegung der Akten ans Licht kommt, dass es keinen belastbaren Kriterienkatalog hinsichtlich der Qualität von Salzstöcken gab, sondern allein die Zonenrandlage und die dünne Besiedlung des Wendlands den Ausschlag gab.

Die Frankfurter Rundschau berichtete, in einem Vortrag eines Vertreters der Staatskanzlei hätte sich deren Justitiar zu der Behauptung verstiegen, "die Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Landesregierung dürfe nicht beeinträchtigt werden. "Die Akten sind als vertraulich eingestuft", sagte Sprecher Roman Haase der FR. Dies werde auch nach über 30 Jahre nicht geändert,  für Archivgut, das besonderen gesetzlichen Geheimhaltungs-, Sperrungs-, Löschungs- oder Vernichtungsvorschriften unterliegt, erhöht sich die Frist auf 50 Jahre".

Doch Niedersachsens Landesregierung will die Vorwürfe, angeblich brisante Akten zum geplanten Atommüll-Endlager Gorleben unter Verschluss zu halten, offensichtlich nicht auf sich sitzen lassen. "Die Mitglieder des Umweltausschusses bekommen alle Akten, die sie haben wollen", revidierte Staatssekretär Olaf Glaeseker am Wochenende den Standpunkt seines Regierungssprechers, auch Akten, die dem Datenschutz unterliegen, würden weitergegeben. "Diese sind aber vertraulich zu behandeln." Die Mitglieder des Umweltausschusses im Landtag dürften diese lesen, aber nicht daraus zitieren.

Konkret geht es um Protokolle von Kabinettssitzungen in den Jahren 1976 und 1977. Damals hatte sich die Ministerrunde unter Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) auf Gorleben festgelegt. Zur Auswahl standen insgesamt drei Salzstöcke - alle in Niedersachsen gelegen. Überraschend fiel die Wahl auf Gorleben, obwohl dieser Salzstock nach Aussage eines an der Auswahl beteiligten Geologen "nicht in die günstigste Kategorie" fiel.

Geologische Untersuchung nicht erforderlich

Und siehe da: obwohl Linke und Grüne weiterhin Einblick in die Akten fordern, tauchen erste Auszüge auf. Zum Beispiel der 24. Tagungsabschnitt der 58. Plenarsitzung am 17. Februar 1977.  In dieser Sitzung erklärte der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht wörtlich: „Die der Landesregierung zur Verfügung gestellten Unterlagen reichen aus, um eine vorläufige Standortauswahl zu treffen. Nach Auffassung der Landesregierung sind für diese vorläufige Standortauswahl geologische Untersuchungen an Ort und Stelle nicht erforderlich.“ Nur wenige Tage später, am 22. Februar 1977 verkündete Ernst Albrecht der Öffentlichkeit Gorleben als Standort für ein nukleares Entsorgungszentrum.

Doch jenseits der von den Landtags-Abgeordneten zur Einsicht geforderten Akten gibt seit Januar 2009 eine Doktorarbeit über die „Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Bundesrepublik“ detailliert Auskunft über die Abläufe rund um die Standortbenennung Gorlebens. In dieser Arbeit untersuchte Autor Detlev Möller für die Jahre 1955 bis 1979, wie die Endlagerungsfrage von Behörden und Beratern wahrgenommen wurde. Auswahl- und Durchsetzungsprozesse, Maßnahmen und Motive werden beleuchtet. Funktion und Eignung des zwischen 1967 und 1978 genutzten Salzbergwerks Asse II stehen dabei im Mittelpunkt. Für die Asse kommt Möller dabei zu dem Schluss, dass trotz zweifelhafter Langzeitsicherheit die Grube als Endlager bis zum Jahr 2000 dienen sollte. Der Atomwirtschaft und den zögernden Energieversorgungsunternehmen konnte damit signalisiert werden, dass die Endlagerungsfrage dem wirtschaftlichen Durchbruch der Atomenergie nicht im Weg stehen würde.

Noch liegt wnet nur ein Auszug der 390 Seiten starken Dissertation vor, doch schon daraus ergibt sich ein deutliches Bild: der Salzstock Gorleben wurde aus politischen Erwägungen zum Endlagerstandort benannt.

Erstmalig tauchte der Ort "Gorleben" im November 1976 in einem Gespräch zwischen Ministerpräsident Albrecht und den Bundesministern Maihofer, Matthöfer und Friedrichs auf. Im Dezember 1976 lehnte Bundeskanzler Schmidt allerdings den Standort Gorleben wegen seiner DDR-Nähe schriftlich ab.

Für Möller bedeutet diese Erkenntnis einerseits, dass Gorleben schon lange vor dem 22. Februar 1977 als möglicher Standort gehandelt, aber wegen „hier nicht zu analysierender Taktik der niedersächsischen Seite“ zunächst aus den offiziellen Verhandlungen herausgehalten wurde. Es dauerte noch bis zum Juli 1977, bis die Bundesregierung Gorleben letztlich akzeptierte.

Spätestens – so Möller – seit Anfang Oktober 1976 hatte damals die niedersächsische Seite die Position eingenommen, dass „vor dem positiven Abschluß der Prüfung des Gesamtkonzeptes Untersuchungen an Ort und Stelle nicht vorgenommen werden sollten.“ Interessant am Rande: Für diese „Prüfung“ veranschlagte die niedersächsische Regierung damals „sicherlich zwei Jahre“.

Die Weichen werden gestellt

Bis März 1979 arbeiteten verschiedene Firmen an der Untersuchung der sicherheitstechnischen Realisierbarkeit des Entsorgungszentrums. Im Februar 1978 allerdings wurde die Feststellung der grundsätzlichen Eignung durch eine eine Liste offener sicherheitstechnischer Fragen ergänzt. Die Migration von Laugeneinschlüssen, die Beherrschung von Wassereinbrüchen sowie der Sicherung der bei der Wiederaufbereitung entstehenden Abwässer und freiwerdenden radioaktiven Stoffe Laugen wurden zwar diskutiert, konnten aber beim Gorleben-Hearing im März 1979 wegen nur gering vorhandener Detailkenntnisse lediglich oberflächlich besprochen werden.

Nach Möller hatten sich die Arbeitsergebnisse bis 1978 so verdichtet, dass konkrete Beschreibungen und Zeichnungen des künftigen Endlagers möglich waren, deren (Zitat) „Veröffentlichung insofern problematisch war, als sie im Vergleich zum sogenannten Versuchsendlager ASSE II schwerwiegende Fragen aufwerfen konnten.“

Und weiter: „Nach den Landtagswahlen im Juni 1978 hatte MP Albrecht die Entscheidung über das Integrierte Entsorgungszentrum vom Ergebnis einer Anhörung unabhängiger Kritiker … abhängig gemacht.“ Obwohl dieses „Gorleben-Hearing“ die Probleme nur oberflächlich anreißen konnte, da wie gesagt, die grundlegenden Untersuchungen fehlten, zeigte sich Albrecht nach der Tagung dennoch zufrieden.

Doch trotz dieses angeblichen Abwarten-Wollens von MP Albrecht begann die niedersächsische Landesregierung bereits im November 1977 damit, die formale Struktur  für den Betrieb eines Endlagers aufzubauen.  Im September 1979 wurde dann die „Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe“ gegründet sowie ein Kooperationsvertrag mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt abgeschlossen.

Anmerkung: Im April 1979 hatte gerade einmal die übertägige Erkundung des Salzstocks begonnen. Die ersten Schachtabteufungen begannen erst 1986.

Ohne Endlager kein weiterer Ausbau der Atomkraft

Trotzdem war von der Bundesregierung, die nach Atomgesetz für die Endlagerung zuständig war, der Druck der drängelnden Atomindustrie genommen worden. Das eingeleitete Planungsverfahren reichte allen Beteiligten als für den Bau neuer Atomkraftwerke zwingend vorgeschriebener „Entsorgungsnachweis“ aus.

Eng war damals die Endlagerfrage mit der weiteren Nutzung der Atomenergie verbunden. Insbesondere die Bundes-CDU/CSU machte der Bundesregierung gehörig Druck. Und der damalige Innenausschuss empfahl der Bundesregierung, „dem Bundestag bis zum 1. Juli 1977 zu berichten … und dabei insbesondere dazu Stellung nehmen, 'ob der Stand (…) des Entsorgungsprojektes (…) eine grundsätzliche Überprüfung der weiteren Nutzung der Kernenergie nahe lege'.

Nach den Erkenntnissen von Detlev Möller forderte ein Kabinettsbeschluss noch am selben Tage (02. Juni 1977) die zuständigen Minister auf, in persönlichen Gesprächen mit der Niedersächsischen Landesregierung die Entsorgungsfrage zu klären.

Der Autor: Detlev Möller wurde 1969 in Düren geboren. Von 1991 bis 1995 studierte er Geschichtswissenschaft und Pädagogik an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Es folgten mehrere Fach- und Führungspositionen als Offizier in der Luftwaffe. 2007 erfolgte die Promotion an der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr, Hamburg.

Die Dissertation ist zum Preis von 56,50 Euro beim Peter Lang Verlag zu bestellen.

Foto: MP Albrecht bei der CDU in Trebel 1979

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2009-07-09 ; von Angelika Blank (autor),

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