Gorleben-Akten: Interview mit Landrat Schulz

Am Dienstag sorgte Greenpeace mit der Veröffentlichung niedersächsischer Behördenakten zur Gorleben-Geschichte für Schlagzeilen. Dirk Drazewski befragte Lüchow-Dannenbergs Landrat Jürgen Schulz zur Weitererkundung in Gorleben.

DD: Wie erklären Sie sich, dass die Bundesregierung weiterhin an der Erkundung Gorlebens festhält?

Jürgen Schulz: Das ist alles irgendwie unerklärlich. Es bewegt mich seit 30 Jahren, wie ein Staat, wie die Mächtigen dieses Staates mit ihren Bürgern umgehen. Das Tückische daran ist ja, dass niemand die Entscheidung, die er heute trifft - die er auch vielleicht auch ein bißchen leichtfertig mit einfädelt - am Ende verantworten muss. Es vergehen womöglich hunderte von Jahren, bis einem das Thema wieder vor die Füße fällt.

Dann sind es andere, die die Probleme regeln müssen. Darin liegt ja auch eine gewisse Gefahr, vielleicht nicht ganz so sorgfältig zu entscheiden – Hauptsache, man hat das Thema vom Tisch. Ich kann davor nur warnen. Denn ich finde, bei dem ganzen Atomthema - bis hin zur Lagerung der Überreste - egal, ob die Technologie feindlich oder friedfertig eingesetzt wird - ist doch die  Entscheidung, wo am Ende die Reste lagern, die weittragendste, die wir zu treffen haben. Das ist das Thema, welches wir, unsere Generation, mit zu begleiten hat.

DD: Wie sollte denn die Gesellschaft mit dem Problem Endlagerung umgehen?

Jürgen Schulz: Ich finde, da muß man schon als einfacher Bürger appellieren, dass mit höchster Sorgfalt, mit höchster Akribie, mit höchstem Fachwissen zu entscheiden und abzuwägen ist. Das heißt auch, dass man Alternativen kennen muss, die sorgfältig zu diskutieren und zu analysieren sind, um an Ende entscheiden zu können. Ich sage allerdings auch ehrlich - und das wird die Region hier vielleicht nicht erfreuen - wenn es dann, nach einem solchen sorgfältigen Prozess wirklich Gorleben ist, dann müssen wir auch Gorleben diskutieren.

Aber es kommt ja immer mehr hoch, dass mitnichten so entschieden worden ist. Alles, was da heute hoch kommt, zeigt, dass man alles andere Dinge im Kopf hatte bei der Entscheidung für Gorleben als Sicherheitskriterien. Was mich wirklich erschreckt hat und was für mich ganz neu war, war die Erkenntnis – untermauert durch Aktenbelege – dass schon seit mindestens 15 Jahren bekannt ist, dass da unten bis zu 1 Mio. Kubikmeter Salzlauge lagern und möglicherweise irgendwann eindringen können.

Genaues weiß man ja noch nicht. Ich habe es nur heute in den ersten Verlautbarungen gelesen. Das erschreckt mich zutiefst, denn ich kann mich gut an die Anfangsjahre Ende der 70er, Anfang der 80er erinnern, da hatte man ja nicht wirklich exakt festgelegt, wonach man sucht, nach welchen Such- und Sicherheitskriterien erkundet wird. Vieles war learning by doing.

Aber die Fachleute damals suchten nach einem homogenen, ungestörten Salzstock und sie suchten nach höchster Sicherheit und auch nach einem Deckgebirge. Sehr schnell stellte man allerdings fest, dass Gorleben das in Teilen nicht erfüllt.

DD: Was ist es denn hauptsächlich, was den Salzstock Gorleben bedenklich macht?

Jürgen Schulz: Diese Rinne, die den Salzstock stört und die dafür sorgen könnte, dass Wasser eindringt, das waren ja alles einmal Ablehnungsgründe. Und wenn man heute hört, es ist sogar schon Salzlauge im Untergrund genau auf der Solhöhe von 840 m möglicherweise vorzufinden,  dann erschreckt mich das zutiefst.

Möglicherweise ist das eine Begründung dafür, dass man die Suchbereiche verändert hat. Das ist ja vor ein paar Jahren immer mehr durchgesickert, wobei die Fragen einem nicht so recht beantwortet werden. Warum eigentlich nicht, frage ich mich. Also die ursprünglichen Suchbereiche sollten sich ja von den heutigen Tiefbohrungen eher nach Süden und Südosten bewegen. Und in die genau andere Richtung hat man sich plötzlich begeben, ohne dass so richtig erkennbar ist, warum eigentlich.

DD: Was sagt denn Ihr gesunder Menschenverstand zu dem Thema?

Jürgen Schulz: Ich denke mal, man kann nicht nur direkt in dem Bereich suchen, wo man mal einlagern will, sondern man muss natürlich auch das nähere Umfeld erforschen. Und wenn da solche Störungen und Probleme herrschen, kann ich mir nicht erklären, dass der Salzstock geeignet sein sollte. Ich meine, wir sind alle keine Fachleute, aber wir haben alle mal als Schüler Erdkunde gehabt. Wir haben mal gelernt, dass es eine Eiszeit gab, die etwa vor 15 000 Jahren endete und dass damals das Urstromtal der Elbe bis zum Harz reichte. Das heißt, da wo wir heute direkt im Nahbereich der Elbe nach einem Atom-Endlager suchen, war mal das Urstromtal eines unserer größten Flüsse.

Und wir wissen auch, dass eine solche Eiszeit auf jeden Fall wieder angekündigt ist. Irgendwann wird sie wieder kommen. Irgendwann wird wieder Eis und wieder abschmelzendes Eis über diesen Bereich gehen – und das mit solchen Rissen in einem Urstromtal eines Flusses... Also normalerweise hätte ich als Laie schon 1977 gesagt, das kann ja wohl nicht der Bereich sein, in dem man nach einem Atom-Endlgar sucht.

Ich weiß, das sind alles Erklärungen eines kleinen bescheidenen Bürgers, aber für mich erschließt sich nicht, warum Gorleben wirklich der geeignete Standort sein sollte.

DD: Es gibt ja für den Kreistag mehrere Anträge zu dem Thema. Kann man denn jetzt einfach weitermachen, kann man weiter erkunden?

Jürgen Schulz: Ich kann nachvollziehen, dass man sagt, wir können jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken, wir müssen jetzt zu Ergebnissen kommen. Bis jetzt ist Gorleben nicht zu Ende erkundet. Aber wenn dieser Hinweis wirklich stimmt, dass man seit mindestens 15 Jahren weiß, dass dort unten Salzlauge vorzufinden ist, dann müssen wir Bedenken haben. Immerhin waren solche Funde ja vom ersten Tag an eigentlich Ausschlusskriterien.  Und die sollen heute nicht mehr gelten?

Und wenn das alles sich wirklich so konkretisiert, dass nicht nur die Gorlebener Rinne, also dieser Riss im Salz vorhanden ist, sondern dass mindestens im Nahbereich der künftigen Einlagerung  riesige Mengen von Salzlauge nur darauf warten, sich irgendwann in Bewegung zu setzen … Dann sind das alles Gründe, die sachgerecht wohl dazu führen müssen, dass man sagen muss, Nein Schluss, das geht einfach nicht. Und dann wäre es meines Erachtens auch unsachlich zu sagen, das wir weiter erkunden müssen, denn wir wissen ja noch nicht alles.

DD: Ist der bisherige Prozess Ihrer Ansicht transparent abgelaufen?

Das ist auch so ein Thema, dass es nie seit 1977 Auswertungen der jeweiligen Erkundungsabschnitte gegeben hat, jedenfalls nicht nach außen – öffentlich und transparent. Vielleicht aus gutem Grunde, ich weiß es nicht. Aber auch das wäre ja notwendig, weil ja Generationen darüber hinweg gehen und Zuständigkeiten ständig wechseln.

Es kann ja auch eine Taktik sein, dass so zu verfolgen. Es gibt ja nahezu niemanden mehr, der vom ersten Tag an dabei war und noch das komplette Wissen hat. Entweder sind die Beteiligten mindestens schon pensioniert, oft schon darüber hinweg gestorben oder noch nicht so lange dabei.

Da gehören die jeweiligen Abschnitte sauber dokumentiert und festgehalten, weil wie gesagt , Generationen darüber hinweg gehen und natürlich Zuständige ständig wechseln. Nur so haben spätere Generationen überhaupt die Möglichkeit, nachzuvollziehen, welche Ergebnisse abschnittsweise in den Erkundungsphasen erreicht wurden und auf welchen Grundlagen heutige Äußerungen wirklich fußen.

Foto: GLL / Landrat Jürgen Schulz mit der Chefin der Behörde für Geoinformation, Landentwicklung und Liegenschaften (GLL) Claudia Korte vor einem Wald von Bioenergie-Pflanzen

Das Interview wurde geführt von Dirk Drazewski, in Schriftform übertragen von Angelika Blank

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2010-04-14 ; von Dirk Drazewski/Angelika Blank (autor),

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