Gorleben: Grundstückseigentümer wehren sich gegen geplante Enteignung

Fast täglich kommen neue Details zutage, was die Bundesregierung unter einer „Revolution in der Energiepolitik“ versteht: so ist ein Gesetzentwurf in Arbeit, nach dem Grundstückseigentümer über dem Salzstock Gorleben wieder enteignet werden können. Die betroffenen Eigentümer üben scharfe Kritik.

 

Rund 150 Eigentümer hatten per Vertrag zugelassen, dass der Salzstock erkundet werden darf. Doch diese Verträge laufen im Jahre 2015 aus, müssen also vor einer weiteren Erkundung neu verhandelt werden. Die evangelische Kirche und die Familie von Bernstorff, der weite Flächen des Waldes über dem Salzstock gehören, hatten dagegen nie einer Erkundung zugestimmt, weswegen bisher nur rund die Hälfte des vorgesehenen Einlagerungsbereiches erkundet werden konnte.

Nach Expertenmeinung ist eine weitere Erkundung des Salzstocks nach der derzeitigen Gesetzeslage nicht möglich, sollte auch nur einer der Eigentümer einer weiteren Erkundung nicht zustimmen. Die Genehmigung zur Einlagerung von hochradioaktivem Atommüll ist in den existierenden Verträgen schon gar nicht enthalten.

Evangelische Kirche: Wir lassen uns das nicht gefallen

Nachdem jetzt die Pläne für ein neues Enteignungsgesetz bekannt wurden, kündigte nicht nur die evangelische Kirche Widerstand gegen eine mögliche Enteignung an. "Gegen eine Enteignung werden wir uns natürlich wehren. Wir werden uns das nicht einfach gefallen lassen", sagte Stephan Wichert von Holten, Superintendent im evangelischen Kirchenkreis Lüchow-Dannenberg.

Superintendent Wichert-von-Holten kritisierte außerdem die Informationspolitik von Umweltminister Röttgen. Der Pastor sagte, er erwarte, dass die Bundesregierung das Gespräch mit den Menschen im Wendland suche. "Wir hoffen, dass sie auf uns zukommen und dass es zu vernünftigen Gesprächen kommt." Bislang habe es noch keinen Dialog mit den Menschen vor Ort gegeben. "Wir sind alle sehr enttäuscht und erbost über die Entscheidungen, die in Berlin getroffen werden."

Graf Andreas von Bernstorff und sein Sohn Fried von Bernstorff sehen die Situation derzeit noch etwas entspannter. „Wir leben ja immerhin in einem Rechtsstaat“, so Graf Andreas von Bernstorff, „Da kann eine Enteignung nur aus Gründen des öffentlichen Interesses durchgeführt werden. Und das muss zunächst einmal festgestellt werden, ob die Interessen der Energiekonzerne, sprich die Einlagerung von hochradioaktivem Müll im Salzstock, tatsächlich von öffentlichem Interesse sind.“

Des weiteren sehen die beiden Grundbesitzer, in deren Eigentum sich – je nach endgültigem Erkundungsbereich – zwischen 600 und rund 1000 ha Waldfläche über dem Salzstock befinden, noch nicht, dass die Pläne der Bundesregierung sich so ohne weiteres durchsetzen lassen. „Immerhin hat selbst Bundestagspräsident Norbert Lammert öffentlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Regierungspläne geäußert“, so Fried von Bernstorff. „Außerdem ist sich die CDU völlig uneins, ob die aktuellen Beschlüsse in Sachen Laufzeitverlängerungen oder Enteignung einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung stand halten.“ Immerhin muss der Gesetzesentwurf den Bundesrat passieren, in dem bekanntlich die CDU/FDP-Regierung keine Mehrheit mehr hat. Sollte der Gesetzesentwurf dennoch beschlossen werden, so ist mit Klagen beim Verfassungsgericht zu rechnen.

Rahmenbetriebsplan entspricht nicht den neuen Erkundungsbereichen

Und Graf Andreas von Bernstorff ergänzt: „So wie die sich das vorstellen, wird es nicht gehen. Derzeit soll die Erkundung mit einem Rahmenbetriebsplan von 1983 durchgeführt werden. Inzwischen ist aber die Rede von völlig neuen Erkundungsbereichen, die in diesem Betriebsplan gar nicht vorgesehen sind.“

Für Bernstorffs ist das Vorgehen der Bundesregierung wenig Vertrauen erweckend. „Das derzeitige Vorgehen widerspricht völlig den bisherigen Bekundungen von Offenheit, Transparenz und Bürgerbeteiligung. Jetzt soll ein Enteignungsgesetz her? Das schafft kein Vertrauen. Man will jetzt Fakten schaffen und mit dem Kopf durch die Wand. Das ist der komplexen Thematik nicht angemessen. Hier bedarf es einer parteiübergreifenden Vereinbarung. So macht sich die Politik von den Energiekonzernen abhängig.

Landes-Grüne: juristische Rosinen-Pickerei

Auch der niedersächsische Fraktionschef der Grünen im Landtag, Stefan Wenzel kritisiert die Absichten scharf.

"Die Nacht- und Nebelverträge und die Grundstücksenteignungen zugunsten der Atomkonzerne untergraben den Rechtsstaat", sagte der Grünen-Politiker nach der Sitzung des Umweltausschusses im Niedersächsischen Landtag. "Mit dem neuen Enteignungsparagraphen straft die Bundesregierung ihr Gerede von der Erkundung des Salzstocks Lügen", sagte Wenzel. Offenbar wolle man schlicht weiter bauen, Fakten schaffen und künftige Prozessrisiken minimieren. "Dabei bleibt das Vertrauen in einen verlässlichen rechtsstaatlichen Prozess auf der Strecke!"

Wenzel kritisierte, dass die Bundesregierung "juristische Rosinen-Pickerei" zur Durchsetzung der Atompläne betreibe: Für den Weiterbau in Gorleben wolle man Bergrecht einsetzen, um die Bürger außen vor zu halten; für Enteignungen wiederum solle das Atomrecht herhalten, weil es dann einfacher ginge.

Die aktuelle Entwicklung zeige, dass es nicht allein um die richtige energiepolitische Entscheidung gehe. Wenn parlamentarische Beratungen und Entscheidungsprozesse durch nächtliche Geheimverhandlungen ersetzt werden, würden sich "für die Demokratie bedrohliche Zustände" entwickeln. Es sei bezeichnend, dass die Mehrheitsfraktionen von CDU/FDP heute im Landtag gegen eine Unterrichtung über die Atomverträge gestimmt haben.

Foto: Angelika Blank / Graf Fried von Bernstorff (li.) und sein Vater, Graf Andreas von Bernstorff haben inzwischen Aktenschränke voller Unterlagen über die Auseinandersetzungen um die Erkundung im Gorlebener Salzstock.

 

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2010-09-14 ; von Angelika Blank (autor),

endlager_gorleben  

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