So bunt war der Protest schon lange nicht mehr: jung und alt hatte sich massenhaft auf den Weg nach Gorleben macht. Die Polizei geht von 14 500 Menschen aus, die Widerstandsgruppen nennen 16 000, die an der Auftaktkundgebung in Gorleben teilnahmen. Vielfältige Aktionen machten den kilometerlangen Demonstrationszug fast zu einer Karnevalsveranstaltung: Trommelgruppen erinnerten an die Gefahren der Atomkraft, ein Kinderchor hatte ein schier unendliches Repertoire an Liedern parat und selbst ein Dudelsackspieler hatte sich unter die Menge gemischt.
Mit über 40 Bussen waren aus verschiedenen Bundesländern auch über 2000 "grüne" Politiker angereist. Claudia Roth, Bärbel Höhn und die Europa-Abgeordnete Rebecca Harms konnten in der Menge geortet werden - viele andere prominente Grüne sollen aber auch vor Ort gewesen sein. Ansonsten war wenig Politprominenz auszumachen, lediglich die im niedersächsischen Landtag vertreten LINKEN nahmen mit einer Abordnung teil. Ihr Lüchow-Dannenberger Landtagsmitglied Kurt Herzog, umweltpolitischer Sprecher der niedersächsischen LINKEN nahm an der Kundgebung nicht mit einer Rede, sondern mit einem Programm von plattdeutschen Liedern mit Gitarrenbegleitung teil.
Die Bürgerinitiative zeigte sich begeistert über den gewachsenen Protest. Wolfgang Ehmke, der für die Bürgerinitiative die Kundgebung moderierte, fasste zusammen: "Man ist sich einig in dem Ablehnung der Atomkraft. Das Atommülldesaster in der AsseII und Morsleben kommt einem rasanten Glaubwürdigkeitsverlust beteiligter Institutionen wie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe gleich, die für Salz als Endlagerformation und Gorleben plädieren. Solange Atomkraftwerke betrieben und Gorleben im Pool möglicher Endlagerstandorte bleibt, gäbe es starre Fronten, nur dass sich das Kräfteverhältnis zugunsten der Atomkraftgegner verschiebe.
Hartmut Meine, Bezirksleiter der IG Metall der Bezirke Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, geißelte die Atomkraft als veraltete, rückwärtsgewandte Technologie. Es reiche nicht
aus, sich gegen die Atommülldeponien zu wehren. Den Energiekonzernen schrieb er ins Stammbuch: "Ich rufe den Herren in den Chefetagen zu, zieht euch warm an, wenn die Anti-Atomkraftbewegung und die Gewerkschaften gemeinsam handeln, dann, meine Herren, wird es verdammt ungemütlich für euch." Meine plädierte für den Einsatz regenerativer Energien und mehr Energieeffizienz und hob die Pionierleistungen von Ingenieuren und Metallarbeiterinnen und -arbeitern bei der Entwicklung und Produktion der
Zukunftstechnologien hervor. Zugleich beklagte der IG Metaller, dass bei einigen Betrieben der Windenergie- und der Solarbranche Tarifdumping betrieben würde und die Wahl von Betriebsräten hintertrieben würde.
Und Kerstin Rudek, BI -Vorsitzende, erklärte:" Es ist eine Erfolgsstory, was wir alle hier in Gorleben immer wieder auf die Beine stellen. Und ich würde mich freuen, wenn von den x- tausend Menschen, die heute hier sind, ganz viele bleiben über die nächsten Tage".
Die Polizei beschränkte sich während der friedlich verlaufenen Demonstration weitestgehend auf Anwesenheit.
Nach Einbruch der Dunkelheit setzten sich über 200 Personen der Widerstandsinitiative X-tausendmal-quer vor den Türen des Zwischenlagers auf die Strasse und bekundeten vehement die Absicht, diesen Platz für die nächsten Tage nicht mehr zu verlassen. Unterstützt werden sie von rund einem Dutzend Traktoren, mit denen zusammen sie die Zufahrt zum Zwischenlager derzeit blockiert halten.
Blockiert ist auch der Castorzug. Bereits um 12:45 Uhr hat eine Gruppe von drei Aktivisten, die Castorstrecke kurz hinter der französisch-deutschen Grenze, 500 Meter nördlich des Bahnhofs Berg, unpassierbar gemacht. Drei Frauen und Männer haben ihre Arme in dem unter den Bahnschwellen versteckten massiven Block befestigt. In einer Pressemeldung der Blockierer heisst es: "Wir ketten uns an in Solidarität mit AtomkraftgegnerInnen in Frankreich, im Wendland und weltweit. Den Transport von hochradioaktivem Atommüll ins niedersächsische Zwischenlager Gorleben nehmen wir nicht einfach hin. Die Durchfahrt der elf Castor-Behälter ist bis auf Weiteres unmöglich."
Um 17:30 Uhr am Samstag Abend stand der Castorzug immer noch. Planmässig hätte der Transport um 13:45 die deutsche Grenze passieren sollen. Somit hat der Transport derzeit ca. 4 Stunden Verspätung.